DIE ZAUBERFLÖTE
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Wiener Staatsoper
1.6.2000


Dirigent: Roger Norrington

Inszenierung, Raum, Licht: Marco Arturo Marelli
Kostüme: Dagmar Niefind-Marelli
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Sarastro - Eric Halfvarson
Tamino - Michael Schade
Die Königin der Nacht - Natalie Dessay
Pamina, ihre Tochter - Juliane Banse
Erste, zweite dritte Dame der Königin - Ingrid Kaiserfeld, Stella Grigorian, Svetlana Serdar
Papageno - Franz Hawlata
Papagena - Katalin Halmai
Monostatos, ein Mohr - John Dickie

 

"Zauberhaftes Flöten" muss Dirigent Roger Norrington ganz offenhörlich strengstens verboten haben -
(Dominik Troger)

und das Orchester reduzierte die philharmonischen Klangberückungen zu einem dermaßen "verdumpften" und "verpaukten" Mozartsound, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Ja, man wäre fast verleitet gewesen, den Worten des Hofmannsthalschen Tanzmeisters zu folgen, der da so salopp und selbstherrlich formuliert: "In meinem linken Schuhabsatz steckt mehr Melodie als in dieser ganzen Oper Ariadne auf Naxos." Dass man diesen Satz auch einmal auf die Mozartsche Zauberflöte ummünzen könnte, hätte wohl niemand für möglich gehalten.

Nun, Norrington gelang dieses Wunder. Schon am Beginn subsummierte sich seine Zauberflöten-Interpretation zu einer ausgehöhlt klingenden, dahingehechelten Overtüre, akzentuiert durch den massiven Einsatz der Pauken. In der Folge degradierte Norrigton das Orchester zu einer Bühnenmusik für eine Nestroy-Posse, offenbar weil er auf diese Weise den Vorstadtcharakter der Uraufführung rekonstruieren wollte. (Es gibt da im Programmheft ein paar diesbezügliche Anmerkungen zu lesen, zB. "Können wir es akzeptieren, sie [=Mozarts Musik] so zu hören, wie er sie gehört haben könnte?") Das mag zwar musikhistorisch interessant sein, allerdings sind solche Bemühungen in der Staatsoper und auf dem Klangbild der Philharmoniker fußend schon ein wenig gewagt. Dabei geht es gar nicht so sehr um das "originale" Klangbild: die Uraufführung mit ähnlicher Fadesse und Espritlosigkeit dirigiert, wäre die Zauberflöte wohl ein für allemal durchgefallen und auf den Müllhalden der Opernhistorie gelandet.

Was tun da aber die Sänger, die ja keine Couplets zum besten geben sollen, sondern hochartifizielle Gesangsstücke, die sehr genau darauf berechnet sind, in der Zuhörerschaft Sympathien zu wecken, Rührung zu erzeugen, sie einzubeziehen in diese märchenwunderhafte Handlung der Zauberflöte? Denn das Orchester musste ihnen dabei, verharrend in der erzwungenen Bedeutungslosigkeit, jede Hilfe versagen. Das Resultat war dementsprechend und schlug sich überall dort fatal nieder, wo nicht die Hans-Wurstiaden eines Papageno, sondern der Ernst eines Sarastro gefragt waren. Die großen Arien der Pamina (Juliane Banse) und des Sarastro (Eric Halfvarson) zogen ihre Verzweiflung und ihre Würde nur aus den begrenzten Möglichkeiten der Sänger, was vor allem bei der blassen Gestaltungsgabe des Sarastro in purste Langeweile umschlug. Auch bei der Pamina zeigten sich die Schranken stimmlicher Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, aber weniger störend und mehr für die gesanglichen Leistungen des Abends symptomatisch. Durchwegs verdeutlichte sich eine gewisse Unreife des gesanglichen Vortrags, die gerade in der Zauberflöte besonders auffallen muss, wo man die Ohren voller repräsentativer Gesangesbeispiele hat. Denn auch Michael Schade (Tamino) stieß in der Bildnisarie an die Grenzen seines an sich schönen lyrischen Organs. So sorgte unumstritten Natalie Dessay (Königin der Nacht) mit der Arie im zweiten Akt für den musikalischen Höhepunkt des Abends. Spielfreude und pointierte Dialogführung brachten dem Papageno von Franz Hawlata, trotz seines grobschlächtig geführten Baritons, einen großen Erfolg.

Ja, das mit der Komödie gelang überhaupt recht gut, und versehen mit ein paar effektvollen pyrotechnischen Events, ergab das den volkstheatralischen Anstrich, der für die Zauberflöte essentiell ist. Weil das allein aber keinem intellektuell angekränkelten Regisseur des 21. Jahrhunderts genügen könnte, mussten die Sarastro-Priester auch demonstrativ die (Frei-)Maurerkellen schwenken und überhaupt in einem mit grossen weißen Fliesen ausgelegten Tempelbezirk wohnen - Fliesen, die mit mathematischen Formeln beschrieben waren. Dieser "Physiksaal" kontrastierte kühl die farbenfroh von grün ins rot gezeichnete Papageno-Welt, ohne eine symbiotische Durchlässigkeit zu ermöglichen. Aber weil das Regieteam letztlich doch Schikaneder vertraute, sogar oftmals gestrichene Dialogstellen aufmachte und dem Papageno einen gestalterischen Freiraum ließ, konnte man sich die Lacher des Publikums und somit den Erfolg sichern. (Dass es für Norrington nach der Pause deutliche Zischer gab, sei der Vollständigkeit halber angemerkt.)

Fazit: Berechtigt war diese Zauberflöten-Premiere keineswegs, aber man wird mit dieser Inszenierung leben können - vor allem dann, wenn wieder ein anderer Dirigent am Pult steht...

"Halb geglückt und ganz bejubelt" resümierte Peter Vujica im Standard (3.6.00). Für ihn ist Roger Norrington ganz wesentlch dafür verantwortlich, der immer wieder versucht habe, "diese glasklare Partitur gegen den Taktstrich zu bürsten", dass sich der Abend zu keinem einheitlichen Erfolg entwickeln konnte. Er lobt die Inszenierung überall dort, wo sie "Altwiener Pawlatschen Idylle" zum Vorbild hat und bemängelt den "verdeptschen blassgrauen Würfel" im zweiten Aufzug (in dem auch die Prüfungen stattfinden), der ihm für die wenig gelungene Darstellung der Sarastro-Welt symptomatisch scheint.

"Entzauberflöte" bringt Wilhelm Sinkovicz in der Presse (3.6.00) seine Eindrücke auf den Punkt."Recht langsame Allegro-Sätze, zügig genommene Adagios nivellierten den Puls der Aufführung auf einen öden Einheitstakt" so seine Kernaussage bezüglich Dirigat. Was die Sänger betrifft, so sieht er auch sie vor allem als Opfer Norringtons: "Eric Halfvarson, ein Sarastro, der wirklich über alle Höhen und Tiefen seiner Rolle gebietet, litt sehr unter Norringtons unflexiblem Dirigat, das ihm keine Zeit gab, die Stimme wirklich zur Entfaltung zu bringen. Ähnliches gilt für Juliane Banses Pamina, (...)" Die Inszenierung ist für ihn Inkonsequent und zeigt "eine insgesamt sterile, unsinnliche Atmosphäre".

Heinz Rögl in den Salzbuger Nachrichten (3.6.00) lässt auch kein gutes Haar an der Inszenierung. Für ihn ist sie auch wesentlich daran schuld, dass die Sänger Kommunikationsprobleme mit Orchester und Publkum haben, weil sie "immer weit weg von der Rampe" agieren müssen. Mit Norrington ist er zufrieden: "Seine wunderbaren, frischen (teils doch etwas rascheren) Tempi atmen allesamt Natürlichkeit und Sangbarkeit." Doch "Warum es - bei hervorragender Orchesterdisposition wie Sängerbesetzung - bei der Premiere dennoch nicht das erwartete musikalische Fest der Superlative wurde, (...)" vermag auch er nicht zu beantworten.