LA CLEMENZA DI TITO
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Staatsoper
4. September 2023
Wiederaufnahme

Dirigent: Pablo Heras-Casado


Tito - Matthew Polenzani
Vitellia - Federica Lombardi
Servilia - Slávka Zámecníková
Sesto - Kate Lindsey
Annio - Patricia Nolz
Publio - Peter Kellner

Stumme Rolle der Berenice: Amelle Parys


Saisonstart mit Mozart

(Dominik Troger)

Wolfgang Amadeus Mozarts „La clemenza di Tito“ haftet nicht gerade der Ruf an, ein besonderer „Reißer“ zu sein. Es gibt öffentlichkeitswirksamere Werke, um in ein neues Opernjahr zu starten. Der Enthusiasmus des Publikums hielt sich dementsprechend in Grenzen. Vielen Touristen wird das „Selfie“ auf der Opernterrasse ohnehin wichtiger gewesen sein.

Gleich unangenehm ins Auge gestochen ist das neue Layout der Programmzettel und der Abendplakate. Sie bieten viel „Bold“ und eine schlechte Raumaufteilung des Textes. Man steht eine Minute lang vor dem Abendplakat und findet das Datum und die Beginnzeit nicht, weil diese nicht ganz unwichtigen Informationen an den unteren Rand „gerutscht“ sind. Ich gebe zu, dass die feinere, elegantere Schrift auf den alten Programmzetteln das Lesen bei schlechtem Licht erschwert hat, aber diese Ansammlung von Fettdruck ist unansehnlich.

Außerdem sind auf den Plakaten die Produktionsdetails nicht mehr deutlich von der Besetzung abgesetzt: Man stolpert lesend über Inszenierung, Bühne, Licht etc. bis man endlich bei den Sängerinnen und Sängern angekommen ist. Der Abstand zwischen Funktion/Rolle und dem jeweiligen Namen ist viel zu groß, um die wichtigen Informationen auf einen Blick erfassen zu können. Die unmotivierte Kursivsetzung von Aufführungszeit und Pause links bzw. rechts vom Datum ist ein weiteres wenig überzeugendes Detail dieses Layouts, mit dem ich mich als Grafiker nicht würde schmücken mögen.

Die Wiener Staatsoper listet in ihrem Online-Archiv seit dem Jahr 1880 42 Vorstellungen von „La clemenza di Tito“ – die hier besprochene Wiederaufnahme eingeschlossen. Davon entfallen 17 auf die letzte Neuinszenierung aus dem Jahr 2012. Diese Inszenierung von Jürgen Flimm, am Premierenabend mit vielen Buhrufen bedacht, rückt einen genusssüchtigen und psychisch instabilen „Borderline-Kaiser“ ins Zentrum, angeblich um „Machtmechanismen“ am römische Hofe aufzuspüren. Schon bei den Reprisen der Produktion haben die jeweiligen Sänger der Titelpartie das Regiekonzept nur bedingt nachvollzogen. Auch Matthew Polenzani, der Tito dieser Wiederaufnahme, bot im Rahmen dieser Inszenierung eine viel zu seriös gezeichnete Herrscherfigur.

Natürlich liegt Polenzani damit deutlich näher bei Mozart als Flimm, der Tito in der Premierenserie rüde und aggressiv durch die schäbigen Kulissenelemente eines mit Laufstegschönen ausstaffierten Palastes gejagt hat. Und weil man bei dieser Wiederaufnahme die Personenregie offensichtlich nicht im Sinne der ursprünglichen Intention „rekonstruiert“ hat, ergab sich dadurch eine unüberbrückbare Kluft zwischen Polenzanis ehrenhaftem Kaiser und Flimms Eskapaden – wie der Pistole, mit der Titus im Finale herumfuchteln muss, um das Publikum im Glauben zu belassen, Sesto und Vitellia könnten trotz aller „Milde“ doch noch exekutiert werden.

Insofern hätte Polenzanis Tito eines anderen szenischen Settings bedurft, um sich wirklich entfalten zu können: Sein leicht trockener, angerauter Tenor punktete jedenfalls mit Würde und Ausstrahlung, zeichnete musikalisch wie darstellerisch das seriöse Porträt eines Herrschers, der glaubwürdig darauf vertraut, er könnte mit Gnade den mörderischen Konflikt befrieden, der den Palast erfasst hat. In der Verhörszene im zweiten Akt kam sogar Spannung auf und trotz der plakativen Bebilderung der Inszenierung spürte man den Ernst von Titos Seelenpein, die der „Aufdeckung“ irgendwelcher dunkler Abgründe durch die Regie überhaupt nicht bedarf.

Wer sich an Kate Lindseys Nerone in Monteverdis „Poppea“ erinnert, könnte in diesem einen unberechenbaren Bruder des Flimmschen Titus erkennen. Vielleicht ist also der Sesto für diese Sängerin sogar ein zu harmloser Charakter? So blieb einem ihr vehaltenes Klagen mit feinem Piano im Ohr oder ihr um Vitellia werbendes, etwas fahl getöntes Mezzogold, das in der Tiefe allerdings schnell dahin schwindet. Aber ohne in eine darstellerische Expressivität gedrängt zu sein, wirkt ihr Gesang doch etwas flach, wenn er aus barocken Fahrwässern in die üppigeren Gefilde Mozartscher Emotionen überzuwechseln hat.

Federica Lombardi schürte als Vitellia zuerst expressiv ihre Rachegedanken und fand in ihrer großen Arie vor dem Finale zu einem, ihre warmtimbrierte Mittellage schön in Szene setzenden Vortrag. Ihre Tiefe ist weniger gut ausgebaut, die Höhe klang mehrmals zu forciert. Dazu gesellten sich noch Patricia Nolz als Annio mit burschikoser Ausstrahlung und angenehmem Gesang sowie Slávka Zámecnicova als Servilia mit ihrem agilen lyrisch-silbernen Sopran. Peter Kellner war ein stimmlich mit festem Bassbariton agierender Publio. Der Chor schleppte bei jedem Auftritt regiebedingt Notenständer mit auf die Bühne – aber Regisseur Jürgen Flimm ist heuer verstorben, möge er in Frieden ruhen. Er hat auch besseres geleistet, als diesen Staatsopern-„Titus“.

Pablo Heras-Casado hat an der Staatsoper bis jetzt nur Monteverdi dirigiert. Er zählt zu jenen Dirigenten, die in der „Titus“-Ouvertüre nach der festlich gestimmten Einleitung sofort stark auf das „Gaspedal“ drücken, um der Gemessenheit eines imperialen „Klassizismus“ eine überschießende, auf mich deplatziert wirkende Emotionalität gegenüberzustellen. Doch Heras-Casado hat im weiteren Verlauf des Abends diese „Zuspitzung“ kaum weiter betrieben. Vielleicht saß sein Mozart insgesamt ein wenig zu unflexibel zwischen den Stühlen der „historischen Informiertheit“ und einer mehr sängerorientierten Spieltradition des Staatsopernorchesters?

Das Publikum spendete während der Vorstellung kurzen Szenenapplaus und danach sechs Minuten langen Schlussbeifall, begleitet von einigen Bravorufen. Insgesamt betrachtet, kennzeichnete die Aufführung ein bisschen viel „Alltag“ für eine Saisoneröffnung.