LA CLEMENZA DI TITO
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Theater an der Wien
17. Oktober 2019
Premiere

Dirigent: Stefan Gottfried

Inszenierung: Sam Brown
Ausstattung: Alex Lowde
Choreographie: Stina Quagebeur
Video: Tabea Rothfuchs
Licht: Jean Kalman

Concentus Musicus

Arnold Schoenberg Chor

Tito - Jeremy Ovenden
Vitellia - Nicole Chevalier
Servilia - Mari Eriksmoen
Sesto - David Hansen
Annio - Kangmin Justin Kim
Publio - Jonathan Lemalu

Stumme Rolle
Berenice - Stina Quagebeur


„Zu milde?

(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien wird in der zweiten Premiere der laufenden Saison der Milde des Kaisers Titus gehuldigt. Im Gegensatz zur gewohnten Aufführungspraxis von Mozarts „La clemenza di Tito“ sind die Partien des Sesto und des Annio jeweils mit einem Countertenor besetzt.

Mozarts „La clemenza di Tito“ ist kein Publikumsrenner, stand in den letzten Jahren in Wien aber doch relativ oft auf dem Spielplan. An der Wiener Staatsoper brachte es die Oper von 2012 bis 2016 auf sechzehn Aufführungen. 2014 gab es eine Neuproduktion an der Kammeroper in einer adaptierten Fassung. Im Theater an der Wien war der „Titus“ zuletzt im Jahr 2006 in einer Koproduktion mit der Oper Frankfurt zu erleben. Elina Garanca sang damals den Sesto.

Szenisch durfte mit der aktuellen Neuproduktion der englische Regisseur Sam Brown sein Hausdebüt am Theater an der Wien feiern. Er versuchte – wie viele andere vor ihm – im „Titus” das „Beziehungsdrama” zu entdecken und die Seelenqualen herauszuarbeiten, die in den Protagonisten wühlen. Die politische Komponente wurde weitgehend ausgeblendet.

Als Rahmen diente ein stark abstrahierendes Bühnenbild: ein nahezu dreieckiger, auf die Drehbühne gestellter, kreuzwegähnlicher Gang, der mit neonröhrenähnlichen Beleuchtungskörpern drapiert postmodernes Flair verbreitete. Spiegeleffekte und Videoeinspielungen (meist Gesichter in Großaufnahme) haben diesen szenischen Rahmen nicht attraktiver gemacht. (Eine semikonzertante Aufführung hätte ihren Zweck genauso gut und viel kostengünstiger erfüllt.) Am raffiniertesten war noch das Kleid der Vitellia, deren erotisch getriebener Hass aus dem tiefen Dekolleté blitzte. Ein seltsame „Regieidee“ bestand darin, im zweiten Akt die Chordamen schwanger werden zu lassen. Im Finale repräsentierten sie mit ihren Babypuppen das fruchtbar zukunftshoffende römische Volk. Ob die Milde des Titus mit diesem Volk kompatibel ist?

Musikalisch ist an erster Stelle der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried zu nennen, der vom Cembalo aus den Abend musikalisch leitete. Der Klangkörper hat der Partitur neben griffig-pompösen (Chor-)Momenten, vor allem in der Arienbegleitung auch viel sentimentale Empfindung, fast Zärtlichkeit, abgelauscht. Solistische Einzelleistungen, speziell der Klarinette und ihren altertümlichen Anverwandten, seien besonders herausgehoben.

Auf der Bühne sorgte vor der Pause vor allem das Spiel von Nicole Chevalier als Vitellia für „Bewegung“. Sie geriet mit ihrer Gestik immer wieder an die Grenze zur Outrage, so als wollte sie die unbedeutende szenische Einrichtung wenigstens durch ihren Bühneneinsatz retten. Ihr Sopran konnte mit dieser körperlichen Präsenz nicht mithalten: ein flaches, sehniges, in der Tiefe wenig ansprechendes Organ, das in den Arien kaum zu einer großen Linie fand und in der „Attacke“ schnell forciert klang.

Sesto wirkte neben Vitellia zuerst sehr blass und statisch, nützte jedoch mit dem Fortgang der Handlung die seelischen Qualen des Bühnencharakters, um im Gesang expressiver zu agieren. Ein Countertenor als Sesto entspricht zwar mehr einer historisch informierten Aufführungspraxis, muss aber gegen Erwartungshaltungen ansingen, die sich zum Beispiel am eingangs genannten Mezzowohlklang orientieren. David Hansen bot in diesem Sinne ein emotional starkes, mit seinem scharf konturierten Countertenor aber für meinen Geschmack klanglich wenig ansprechendes Rollenporträt. Inniges „Mozartschwelgen“ war bei ihm nicht angesagt.

Der zweite Countertenor auf der Bühne, Kangmin Justin Kim, führte eine – abgesehen von einigen Spitzentönen – deutlich wohltönendere Stimme ins Feld, die obgenannten Erwartungshaltungen besser entsprochen hätte. Mari Eriksmoen hatte als Servilia wenig Möglichkeiten, um ihren runden lyrischen Sopran einzubringen. Jonathan Lemalu gab einen raustimmigen Publio.

Als Titus wirkte Jeremy Ovenden mit seinem eng klingenden, nüchternen Tenor auf mich leicht unterbesetzt, auch wenn er im Laufe des zweiten Aufzugs der Figur etwas mehr Profil verleihen konnte. Die Regie hat zudem kaum mitgeholfen, Titus als Persönlichkeit „interessanter“ zu machen. Dergleichen kann natürlich daneben gehen (etwa wenn man aus der Figur einen Psychopathen formt) – aber auch ein zu „milde“ gewürztes Essen schmeckt schnell ein bisserl „fad“.

Am Schluss gab es starken Jubel für die Sänger, Dirigenten, Chor und Orchester, ein paar Buhrufe für die Regie. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause fast drei Stunden.