LA CLEMENZA DI TITO
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Museumsquartier Halle E
Wiener Festwochen, Premiere

21. Mai 2024

Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock

Regie: Milo Rau

Neueinstudierung: Giacomo Bisordi
Bühne: Anton Lukas
Kostüme: Ottavia Castellotti
Video: Moritz von Dungern
Licht: Jürgen Kol


Camerata Salzburg
Arnold Schoenberg Chor
, Choreinstudierung: Viktor Mitrevski

Tito - Jeremy Ovenden
Vitellia - Anna Malesza-Kutny
Servilia - Sarah Yang
Sesto - Anna Goryachova
Annio - Maria Warenberg
Publio - Justin Hopkins


Keine Milde mit Mozart

(Dominik Troger)

Festwochenintendant Milo Rau hat seine Genfer Produktion von „La clemenza di Tito“ aus dem Jahr 2021 nach Wien mitgenommen. Er bespielt damit die Halle E im Museumsquartier: eine langatmige, ideologisch ausufernde Theaterarbeit, bei der die Musik nur mehr eine Nebenrolle spielt.

Das waren noch Zeiten, als das Musikprogramm der Wiener Festwochen internationales Renommee genoss. Und man erinnere sich: 1995 wurde bei der Festwocheneröffnung auf dem Rathausplatz Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ gegeben. Wäre dergleichen heutzutage noch vorstellbar? Aber die Festwocheneröffnung 2024 war ohnehin etwas „speziell“ – mehr ein von aggressiven gesellschaftlichen Spaltpilzen durchsetztes Vorprogramm für das Donauinselfest.

Milo Rau hat bekanntlich die „Freie Republik Wien“ ausgerufen – eine Spielwiese für alle, die sich gerne einmal auf Zeit als (kultur-)politische Rätinnen und Räte verdingen wollen, sozusagen durch späte Geburt verhinderte „Pariser Kommunarden“. Die leicht infantile „Sturmhaubenromantik“, die dabei idealisiert wird, erinnert allerdings auch an eine gern verdrängte Vergangenheit terroristischer Aktivitäten: Aufführungen von Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ oder von John Adams kontroversem „The Death of Klinghoffer“ hätten als Beiträge aktuellen Musiktheaters viel besser in dieses konzeptionelle Umfeld gepasst als Mozarts „Tito“.

Aber ideologisch gefestigte Regisseure haben ein Faible fürs altgediente, interpretatorisch längst ausgequetschte Kernrepertoire, und schmücken sich mit den von ihnen dekonstruierten Meisterwerken wie Großwildjäger mit Trophäen von Wasserbüffeln und Tigerfellen. Der Wahnsinn hat System. Die „alte“ Oper wird zur ästhetisierenden, abgehobenen „Blase“ erklärt, der man ein wenig „Realität“ einpauken müsse. Dazu gesellt sich eine grundlegende Abneigung gegen jegliche Elite. „Wir entschieden uns bewusst dafür, nicht-professionellen Akteuren Raum auf der Bühne zu geben, da Professionalität mit einer Ausbildung verbunden ist, zu der nicht alle gleichermaßen Zugang haben.“ (Milo Rau im Festwochen-Programmfolder zur Aufführung). „Unterschwelliger“ kann man die große Skepsis gegenwärtigen „links-woken“ Denkens gegenüber einer über Jahrhunderte gewachsenen europäischen Hochkultur kaum formulieren.

Rau und seinesgleichen dient die Oper nur als Vorwand. Rau versucht mit ihr die Bastion einer hochartifiziellen und bewusst als „bürgerlich“ diffamierten Kunstgattung zu stürmen, um dort seine rote Fahne aufzupflanzen, so wie er auf der Bühne im Museumsquartier das berühmte Revolutionsbild von Eugène Delacroix hat nachstellen lassen. (Die Fahne hielt allerdings anstelle einer busenfreien Revolutionärin ein Schwarzer mit nacktem Oberkörper in der Hand. Derart wird auch die Kunstgeschichte in das System der Dekonstruktion einbezogen.)

Wer auf dem Theater laienhafte Gleichmacherei zur „Staatsdoktrin“ erheben möchte, wird in seinem Umfeld die Möglichkeiten von professionellen Künstlern einzuschränken suchen. Er wird sie sich unterwerfen. Er wird versuchen, das Publikum zu beeinflussen. Zum Beispiel hat Rau bei seinem „Tito“ immer wieder Arien mit „Video-Biographien“ aufgemotzt, mit menschlichen Schicksalen von Brasilien bis Oberösterreich, während sich im Vordergrund Orchester und Sänger damit abmühten, Mozarts anspruchsvolle Arien zum Besten zu geben: Die Aufmerksamkeit wird dadurch vom musikalischen Teil bewusst abgezogen, der Mensch auf der Videoprojektion und seine Probleme sollen unser Mitgefühl gewinnen. Die Musik wird ihrer virtuosen Gegenwart beraubt, dient nur mehr der psychologischen Verstärkung, so wie sie im Supermarkt zur „Kauflust“ anregt.

Dieser Plan ist voll aufgegangen. Musikalisch war diese Premiere ein ziemlich fragwürdiger Beitrag zur Mozartrezeption bei den Wiener Festwochen. (Die nicht ideale akustische Situation in der Halle E samt Verstärkung ist natürlich in Betracht zu ziehen.) Jeremy Ovenden hat den Titus bereits 2019 im Theater an der Wien gesungen, mit heller, nüchterner und etwas zu leichtgewichtigem Tenor waren ihm dieses Mal die Mühen der Partie (vor allem nach der Pause) zu deutlich anzuhören. Im Spiel war er natürlich in den Aktionismus der Produktion eingebunden, bis zu einem schamanistischen Wiederbelebungsritual (!) nach der Pause. (Der Mordanschlag ist also offenbar geglückt?!) Die Rolle wurde seitens der Regie nicht psychologisch ausgedeutet, aber mittels rockartigem Kostüm „genderfluid“ gestaltet. Projizierte Live-Videos haben auch diesem bis zum Schluss naiv-gutgläubigen Titus immer wieder großformatig ins Auge geschaut und von der mäßigen Personenregie abgelenkt.

Der Sesto der Anny Goryachova war jugendlichem, feinabgestuftem Mozartgesang schon etwas entwachsen. Das „Parto, mà tu ben mio“ entwickelte auch seitens des Orchesters nicht diese berückende Klangsprache, die hier möglich gewesen wäre, und formte sich zu keinem Ganzen. Die Vitellia der Anna Malesza-Kutny forcierte bei Spitzentönen weit über Gebühr, was zu einem recht unausgewogenen Gesamteindruck führte. Maria Warenberg als Annio und die Servilia von Sarah Wang haben die Bilanz nicht wirklich aufgebessert. Der Publio klang so unausgegoren, das sich der Verdacht aufdrängte, bei einigen Mitwirkenden könnte im Sinne der gelebten entprofessionalisierenden „Konzeptualisierung“ die persönliche Biographie wichtiger gewesen sein als die Stimme. Der Arnold Schönberg Chor stellte wieder eifrig seine künstlerische Selbstlosigkeit und Qualität in den Dienst einer anzweifelbaren Sache. Der ganze Abend litt außerdem unter dem wenig inspirierten, zerdehnenden Dirigat von Thomas Hengelbrock, und dem wenig klangvollen Spiel der Camerata Salzburg. Die dumpfe Ouvertüre war nicht so der Reißer und auch im Fortschreiten des Abends blieb der Gesamteindruck bei der musikalischen Begleitung ohne innerer Begeisterung.

Der Abend begann aber gar nicht mit Mozart, sondern mit dem Herrn Kovárnik, der dem Publikum seine Lebensgeschichte erzählt. Er zieht sich dann bis auf die schwarze Unterhose aus, wird ermordet, und ihm wird sein Herz entnommen. Dieses Herz „wandert“ durch die ganze Vorstellung. Danach verzeiht im Zuge einer Vernissage (Tito ist offenbar Künstler?) der „Kaiser“ Sesto und Vitellia. Dann beginnt erst die eigentliche Oper mit der Ouvertüre, um nach über drei Stunden (inklusive einer Pause) wieder mit der Vernissage samt Verzeihung und dem Finale zu schließen. Der Slogan „Kunst ist Macht“ wird auf die Bühne projiziert, ist minutenlang zu lesen, wird überdeckt, taucht wieder auf. Er soll vielleicht auf die Kunst und die Sprache der Mächtigen abzielen, die mit diesen „Produktionsmitteln des Geistes“ ihre Herrschaft untermauern.

Die Drehbühne mischt die Innen- und Außenansicht eines Museums oder eines Palastes, der offenbar von einer Zeltstadt umgeben ist. Dort wohnen Menschen, die vor dem im Werk kurz thematisierten Vesuvausbruch nach Rom geflüchtet sind. An Bühnenbeleuchtung wird gespart, es gibt oft Videoeinspielungen, am Beginn des zweiten Aktes wird unvermutet eine Ukrainerin von russischen Soldaten hingerichtet, nachdem sie von ihrer Flucht aus Luhansk berichtet hat. Die Figuren aus „La clemenza di Tito“ mischen sich mehr wie Versprengte einer früheren Epoche unter dieses szenische Sammelsurium.

Rau schreibt in besagtem Programmfolder, dass er auch zur Selbstkritik engagierter Kunstschaffender anregen möchte. Solche Momente sind aber rar – etwa wenn im Finale die ganze Gesellschaft wie ein Festzug von der Bühne marschiert, von den Geschehnissen scheinbar unberührt, und die Musik langsam ausklingt, so als würde sie sich in der Ferne verlieren. Darauf setzt – wie ganz am Beginn – wieder Vogelgezwitscher ein. Beim Schlussvorhang durchkreuzten einige Besucher den Jubel für das Regieteam mit starken Buhrufen.

PS: Die Uraufführung von „La clemenza di Tito“ 1791 wurde nicht so einheitlich negativ aufgenommen wie es dem Publikum in Videotexten während (!) der Aufführung suggeriert wird. Siehe u. a.: Mozarts Opern. Hrsg. vom Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth. München 2005.S. 250ff).