LUCIO SILLA

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Theater an der Wien
27. April 2016
Semikonzertante Aufführung

Dirigent: Laurence Equilbey

Szenische Einrichtung: Rita Cosentino

Insula Orchestra
Arnold Schönberg Chor

Lucio Silla - Alessandro Liberatore
Giunia - Olga Pudova
Cecilio -
Franco Fagioli
Cinna - Chiara Skerath
Celia -
Ilse Eerens


Countertenor statt Mezzo
(Dominik Troger)

Die letzte konzertante Opernaufführung der Saison 2015/16 im Theater an der Wien war Mozarts Jugendoper „Lucio Silla“ gewidmet. Besonders spannend: Countertenor Franco Fagioli war in Wien erstmals in einer Mozart-Partie zu hören.

Der Sänger hat 2014 am ROH Covent Garden als Idamante debütiert. Jetzt hat er den Cecilio in sein Repertoire aufgenommen. Einerseits knüpft hier Fagioli an die Besetzung der Uraufführung 1772 an, andererseits ist, was bei Händel & Co. bereits üblich, bei Mozart doch noch etwas „ungewohnt“. Fagiolis viriles Timbre ist schwer mit einem Mezzo zu vergleichen, bei ihm ist jeder Ton körperhafter, angereichert mit einem kräftigen maskulinen „Parfum“ und in den Rezitativen wirkt die Artikulation dadurch etwas breiter.

Franco Fagioli konnte gleich bei seiner ersten Arie „Il tenero momento“ loslegen, die über alles verfügt, was das Herz eines Countertenors begehrt: Intervallsprünge von sattfärbender Tiefe bis zu Sopranhöhen – und der enorme Stimmumfang ist ohnehin eines der Markenzeichen des Sängers, gepaart mit einer außerordentlichen Flexibilität. Und die Tiefe gewann einen besonderen Reiz (die Arie geht bis zum tiefen A). Ich habe Fagioli in der Vergangenheit schon mit Ceclia Bartoli verglichen, die Tiefe ist freilich spektakulärer als bei einem Mezzosopran. Die viril-brustige Grundierung gibt dem Rollencharakter eine Basis, die sie aus dem „Hosenrollen“-Image heraushebt. Das ist für Mezzos vielleicht keine gute Nachricht, aber hat nicht beides seine Reize? Wie immer man dazu steht, von der Stimmbeherrschung sind sowohl Fagioli als auch Bartoli rare Ausnahmeerscheinungen.

Außer Fagioli war nur Ilse Eerens bereits Gast im Theater an der Wien: als schicksalsgebeutelte Marianne in den „Geschichten aus dem Wienerwald“. Von ihrem etwas leichten lyrischen Sopran werden mir vor allem die klaren auf- und ablaufenden Staccato-Passagen im „Se lusinghiera speme“ in Erinnerung bleiben. Ihre Stimme lief bei Spitzentönen Gefahr, etwa grell zu färben. Chiara Skerath sang den Cinna. Sie ließ einen hübsch timbrierten, agilen Sopran hören, der etwas Zeit brauchte, um sich „warm“ zu singen – und den „Heroismus“ der Opera seria in den dramatischen Forte-Passagen etwas forcieren musste.

Olga Pudovas Giuna überzeugte einerseits mit stupender Geläufigkeit, aber ihr Sopran klang immer wieder etwas streng und mit metallischem Beiklang. Das weite schwarze Kleid verhüllte die Schwangerschaft der Sängerin, die sich vielleicht auch ein wenig auf den Klang der Stimme ausgewirkt haben mag. Allesandro Liberatore sang den Lucio Silla mit raumfüllendem Volumen, von der Stimmanlage schon mehr dem 19. Jahrhundert zugehörig, angenehm timbriert, jedenfalls von der Wirkung der Autorität eines Lucio Silla angemessen.

Das der historischen Aufführungspraxis verpflichtete Insula Orchestra unter Laurence Equilbey hinterließ einen guten Eindruck, in der Ouvertüre akustisch noch etwas forsch, dann mit frischer, jugendlicher, vorwärtsstrebender Energie. Der Arnold Schönberg Chor bildete die bewährte Basis für die Chorszenen. Es gab einige Kürzungen, die Figur des Audifio war gleich ganz gestrichen worden.

Die Aufführung fand halbszenisch statt, bei heruntergedimmtem Licht. Auf der Bühne standen fünf Paravents, die aussahen wie halbierte Wahlkabinen. Diese Paravents ließen sich vielfältig nutzen, beschreiben (mit „MORTE“ oder „AMOR“ oder anderen Hauptwörtern.) In einer war ein Spiegel für die narzisstische Selbstbeschau Lucio Sillas angebracht, Fotos von Gesichtern mit rot übermalten Mündern waren aufgeklebt, die handelnden Personen des Stücks konnten sich dahinter verbergen etc. Diese eigentliche sehr einfache Anordnung ermöglichte den auswendig singenden Protagonisten ihren Vortrag szenisch anzureichern. Aus einem großen roten Kochtopf wurde ein Brautschleier hervorgeholt. Insofern setzte die szenische Einrichtung von Rita Cosentino sogar emanzipatorische Akzente.

Das Publikum war zufrieden und spendete rund sechs Minuten langen starken Schlussapplaus.