DIE SCHULDIGKEIT DES ERSTEN GEBOTES
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Theater an der Wien
Premiere
12.4.2006

Dirigent: Nikolaus Harnoncourt
Inszenierung: Philipp Harnoncourt
Ausstattung: Renate Martin & Andreas Donhauser
Licht: Kurt Schöny

Orchester: Concentus Musicus Wien
Altposaune: Othmar Gaiswinkler

Christ - Christoph Genz
Christgeist - Michael Schade
Weltgeist - Patricia Petibon
Barmherzigkeit - Juliane Banse
Gerechtigkeit - Elisabeth von Magnus


Wollte Gotte, dass du kalt oder warm wärest: dieweil du aber lau bist, und weder kalt noch warm, will ich anfangen dich auszuspeyen aus meinem Munde
*
(Dominik Troger)

Die Aufführung von Mozarts erstem Bühnenwerk, „Die Schuldigkeit des ersten Gebotes“ (1767), hatte nichts von der Sperrigkeit dieses Namens an sich – ganz im Gegenteil: Lebhaft und munter bestand die barocke Allegorie die Auseinandersetzung mit einem verweltlichten Zeitalter.

Dieses geistliche Singspiel entstand im Auftrag des Salzburger Erzbischofs Sigismund von Schrattenbach. Das Textbuch von Ignaz Anton Weiser behandelt in drei Teilen die Belehrung einer lauen Christenseele. Der „Weltgeist“ will sie vom rechten Weg abbringen, aber die „Gerechtigkeit“, die „Barmherzigkeit“ und natürlich der „Christgeist“ bemühen sich redlich um sie – und mit Gewinn. Leider ist es dem Zuhörer nicht gegönnt, mit Mozarts Musik „in den Himmel einzugehen“, weil Mozart nur den ersten Teil komponiert hat. Vom zweiten Teil (Michael Haydn) und dritten Teil (Cajetan Adlgasser) ist die Komposition verschollen.

Das Libretto gibt Zeugnis von einer barocken Bigotterie, deren Naivität etwas Rührendes an sich hat – so wie wenn man in alten Reiseberichten über Begegnungen mit Ureinwohnern liest. Heutige Augen sind meist an das Vitrinenglas eines Museums gewöhnt, das der Beschäftigung mit solchen Exsikaten naiver Frömmigkeit eine wissenschaftliche Distanz – und damit seine gesellschaftliche Berechtigung verleiht. Aber das ist für „lebendiges“ Theater, das eineinhalb Stunden lang die Zuschauer fesseln möchte, wohl keine gute Voraussetzung?

In diesem Fall hat Mozart selbst dafür gesorgt, dass der gelehrte Text Ausgangspunkt für musikalische Explosionen ist, die einen die Beunruhigung des Kindes durch die bildreiche Sprache nachempfinden lassen. Wie tönt die Hölle und welche Aufforderung verbirgt sich hinter der göttlichen Posaune, bei deren Klang sogar Stadtmauern einfallen, wie das Buch Josua berichtet? Der ergrimmte Löwe brüllt im Walde fürchterlich und die Versuchung des Weltgeistes ist Koloratur. Mozart hat den Text mit kindlicher Ernsthaftigkeit vertont – und die Lustigkeit des Weltgeistes war ihm so nahe wie das Drohen der Gerechtigkeit mit Tod und ewiger Verdammnis. So züngeln Lust- und Höllenflammen gleichermaßen auf. Aber das Kernstück ist womöglich jene „Posaunenarie“ geworden, Nr. 5, („Jener Donnerworte Kraft, / Die mir in die Seele dringen, / Fordern meine Rechenschaft“): eine beängstigende Selbstanklage der lauen Christenseele in der die Musik wie ein Folterinstrument den armen Menschen minutenlang nicht zur Ruhe kommen lässt. Und auf der Bühne schoben sich vom Rand – ganz stereophon – von links und rechts, zwei überlange Posaunen auf den armen Sänger zu, um das Böse von ihm wegzublasen so wie eben einstens die Mauern von Jericho.

Eine Allegorie ist natürlich keine solche ohne Bilder. Auf der Bühne wurden die Bildtexte zu lebendigen Szenerien, das Bild vom Garten, der gepflegt wird, das Bild vom Arzt, der die Seele heilt, der lockere Weltgeist: Patricia Petibon, die roten Haare wie zwei Teufelshörnchen in die Höhe gedreht. Überhaupt Patricia Petibon – bei solcher animierender Beweglichkeit und bei den Geschichten, die allein ihre Augen erzählen, was soll da der seelenhegende Christgeist noch ausrichten? Spitzbübisch erklettert sie die Koloratur, erklärt sie die Wollust zum göttlichen Gebot, keine Sekunde zögert man daran, ihr zu glauben. Da hatte der seriöse Christgeist (Michael Schade) einen schweren Stand beim Kampf um die „laue Seele“. Als Arzt verkleidet möchte er sie heilen. Die Operation, die er dann wortwörtlich am „Christen“ vornimmt, ist kabarettreif – und es ist nur schade, dass man beim Lachen nicht mehr so viel Ohr für Schades exquisit vorgetragene tenorale Predigt hat.

Was auf der Bühne passierte war in der Tat eine sehr launige Fastenpredigt, mit altem und neuem Inventar pikant gewürzt. Der ehrwürdige Erzbischof hätte damit seine Probleme gehabt, der Mozart der späteren Jahre hätte sich gewiss köstlich dabei amüsiert: zumal am Schluss der humoristisch-ironische Balanceakt bestens abgefedert wurde und der geläuterten Christenseele jene göttliche Ruhe gab, die sie ursprünglich erst zwei Teile später errungen haben würde. Außerdem strömte aus dem Orchestergraben Mozarts Musik mit unbändiger Energie und einem Absolutheitsanspruch, der einen als Zuhörer immer wieder nur staunen ließ. Aufhorchen ließ auch Christof Genz, der eine junge, schöne Tenorstimme für den Christen bereitstellte, genug Zartheit für die schwankende Seele, aber auch genug an Verzweiflung für den Kampf mit seiner „Lauheit“. Für die allegorisch-musikalische Ergänzung sorgten Elisabeth von Magnus (Gerechtigkeit ) und Juliane Banse (Barmherzigkeit).

Das Publikum war nachher sehr angetan, von Vater und Sohn Harnoncourt und den SängerInnen – Patricia Petibon allen voran – und sorgte für lange anhaltenden, lautstarken Beifall. Eine unbedingt empfehlenswerte Aufführung, die leider nur noch am Karfreitag zu sehen ist.

* Offenbarung des Johannes/ Zitiert nach dem Programmheft zur Aufführung