MITRIDATE, RE DI PONTO
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Theater an der Wien
24.4.2009
Premiere

Dirigent: Harry Bicket

Inszenierung: Robert Carsen
Bühne: Radu Boruzescu
Kostüme: Miruna
Boruzescu
Licht: Robert Carsen / Peter van Praet

Wiener Symphoniker

Koproduktion mit dem Théatre Royal de la Monnaie Bruxelles

Mitridate - Bruce Ford
Aspasia - Patricia Petibon
Sifare - Myrtò Papatanasiu
Farnace - Bejun Mehta
Ismene - Christiane Karg
Marzio - Colin Lee
Arbate - Jeffrey Francis


Ausgebombt
(Dominik Troger)

Auf der Bühne liegen massive Betonteile einer aufgesprengten Wand verstreut. Hat hier eine römische Granate eingeschlagen? Militärs wuseln herum. Das einzige was noch fehlt, ist der Nachrichtensprecher von CNN.

Im Theater an der Wien ist Mozarts Jugendwerk (1770 in Mailand uraufgeführt) in der Gegenwart angekommen – Robert Carsen zeigt kaputte und sich nach Liebe und Hoffnung sehnende Menschen und stellt sie in ein desolates, kriegsbeschädigtes Ambiente. Hier regiert das Militär in Form und Farbe – nur Aspasia, die zukünftige Königin, huscht in weißem Kleide durch die Trümmer. Vielleicht verkörpert sie eine Utopie der Freiheit, die hier zaghaft umherflattert wie ein Singvogel im Käfig?

Die gutgemachte Lichtregie bringt keinen Hoffnungsstrahl, düster und staubig wirkt die Szene, drängt hin zu einem naturalistischen Leinwanddrama. Da stapfen zum Marsch im ersten Akt die Soldaten des Mitridates über die Trümmer, steigen vom Bühnenhintergrund herab, zerstört und müde vom Kampf, ermattet und erschüttert bis in die Glieder. Bühnennebel umwabert sie mit heldischem Pathos. Da gibt es oben, über dem aufgesprengten Mauerteil noch eine Balustrade. Dort wird Marzio im dritten Akt seine tückische Arie singen und mit seinem Gesang die Kriegsruinen beleben. Die Opera seria als Abschiedsgesang auf eine von Menschenhand zerstörte Welt?

Während man fraglos zugestehen muss, dass Carsens Konzept – in gewohnter Weise solide umgesetzt – mit schlüssigem Naturalismus punktet, so zerstört er doch genau dadurch die virtuose Leichtigkeit, mit der Mozarts Musik die Opera seria in eine Aneinanderreihung von zugkräftigen, den Sängerinnen und Sängern alles abverlangenden Bravourstücken verwandelt. Da wird das, was als Schablone dient, viel zu ernst genommen. Da drücken die bühnengerechten Betonteile Mozarts jugendlichem Esprit den Atem ab. Außerdem – man hat das alles schon zu oft gesehen. Was früher Koffer und Regenschirme sind heutzutage Maschinenpistolen: langsam wird’s langweilig.

Dabei gäbe es Anknüpfungspunkte, die den Mitridate nicht nur als „Kriegsdrama“ ausweisen: die Spannung zwischen den Söhnen, die um die Gunst der Braut des Vaters (!) buhlen. Aber gerade hier bleiben die von Carsen gesetzten Akzente blass: eine sexuelle Selbstbeschäftigung Farnaces, eine versuchte Vergewaltigung, Mitridate verzweifelt mit einer Flasche Wein. Aspasia darf zu Koloraturen ein Bett abziehen und sich in den Laken wühlen. Am Schluss tauchen die Römer in den Trümmern auf und zielen auf die jungen Brautpaare, die Mitridate sterbend noch zusammengeführt. Es ist wirklich alles ohne Hoffnung.

Das eigentlich problematische an dieser Produktion ist aber die musikalische Umsetzung: sie lehnt sich viel zu stark an das Bühnenambiente an und sucht einen rauhen Erregungszustand, wo zu allererst eine fundierte technische und virtuose Umsetzung der höchst anspruchsvollen Arien gefunden werden müsste. So wurde schon der federnde Esprit des jungen Mozart von Harry Bicket durch eine stringente, aber letztlich uninspiriert wirkende, zu erdgebundene Orchestersprache ersetzt.

Die Sängerinnen forcierten sich in einen Erregungszustand, der auch vor vielen schrillen Tönen nicht zurückschreckte. Von der kontrollierten Virtuosität, die Mozart den Protagonisten abverlangt, wurde zu wenig vermittelt. Sogar bei Patrica Petibon (Aspasia) war eine Angespanntheit in der Stimme hörbar, die in unschönen Höhen resultierte. Myrtò Papatanasiu (Sifare) machte es ihr bei den Höhen nach, sie „übersang“ aber auch vieles an Verzierungskleinwerk, ihre Stimme klingt ohnehin etwas eng, nach oben zu verschlankend. Bejun Mehta enttäuschte mich diesmal, das klang mir zu schwammig, zu wenig exakt.

Die Besetzung des Mitridate war nicht sehr glücklich gewählt: Bruce Fords Stimme klang, als hätte sich der Staub der geborstenen Betonteile in seine Kehle gezogen. So viel Naturalismus muss nicht sein. Colin Lee entledigte sich achtbar der undankbaren Aufgabe das Marzio. Christiana Karg sang eine hübsche Ismene. Jeffrey Francis als Arbace war vor allem Stichwortgeber.

Der Abend dauerte fast vier Stunden inklusive zwei Pausen. Der Schlussapplaus war stark, aber kurz. Für die Regie gab es auch deutliche Buhrufe.