IDOMENEO

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Staatsoper
5. Oktober 2014
Premiere

Dirigent: Christoph Eschenbach

Regie: Kasper Holten
Bühne: Mia Stensgaard
Kostüme: Anja Vang Kragh
Licht: Jesper Kongshaug
Beegungsregie: Signe Fabricius

Idomeneo - Michael Schade
Idamante - Margarita Gritskova
Ilia - Chen Reiss
Elettra - Maria Bengtsson
Arbace - Pavel Kolgatin
Oberpriester - Carlos Osuna
Stimme des Orakels -Sori
n Coliban
Zwei Trojaner - Dritan Luca, Ion Tibrea
Zwei Kreter - Oleg Zalytskiy, Konrad Huber
Zwei Kreterinnen - Secil Ilker, Arina Holecek


Langatmiger Premierenabend
(Dominik Troger)

Das war rekordverdächtig: Nur fünf Minuten Premierenapplaus gab es für den neuen Staatsopern-„Idomeneo“, dann strebte das Publikum zielstrebig dem Ausgang zu. Mozart hat dem Haus wieder kein Glück gebracht.

Der Volksmund behauptet bekanntlich, jeder wäre selbst seines Glückes Schmied – und die Direktion der Wiener Staatsoper hätte sich den „Idomeneo“ schon „zurecht schmieden“ können – auch wenn diese Oper nicht gerade zu den vom Wiener Publikum heiß geliebten Werken zählt, die im Staatsopern-„Repertoire“ einen festen Platz haben sollten. (Da gäbe es weit prominentere Kandidaten, die seit Jahren nicht gespielt werden und die im Fall des Falles dann kleine „Völkerwanderungen“ an die Volksoper auslösen – siehe die „Turandot“-Auführungen am Währinger Gürtel im letzten Frühjahr.)

Nun sieht es der Staatsoperndirektor sicher nicht gerne, wenn man an der Sinnhaftigkeit der von ihm angesetzten Premieren zweifelt, trotzdem sei der Vollständigkeit halber angefügt, dass der „Idomeneo“ in den letzten Jahren in Wien nicht unter- sondern überrepräsentiert war: 2003 wurde die Oper im Theater an der Wien im Rahmen des Wiener Klangbogen Festivals gespielt. 2006/07 wurde die Oper ebenfalls im Theater an der Wien (in einer Koproduktion mit der Wiener Staatsoper!) gegeben. Und 2013 musste sich „Idomeneo“ erneut im Theater an der Wien mit Poseidon messen.

Die Geschichte des „Idomeneo“ an der Wiener Staatsoper hat seit 1971 immerhin Nikolaus Harnoncourt am Pult gesehen und drei Mal Placido Domingo in der Titelpartie – darauf darf man allerdings nicht mehr zählen. Immerhin wäre es naheliegend gewesen, dass sich die Staatsoperndirektion für eine erneute Aufnahme des Werkes in den Spielplan etwas Besonderes einfallen lässt. Vielleicht erklärt ein kleiner Blick über den Tellerrand, was ich meine: Das Royal Opera House in London wird in dieser Saison einen neuen „Idomeneo” zur Aufführung bringen und einen Countertenor als Idamante ansetzen – und keinen Mezzo. Dass Kasper Holten, der Regisseur des Wiener „Idomeneos”, Direktor des ROH ist, macht diese Sache fast pikant. Außerdem wird Martin Kušej laut ROH-Webseite mit dem „Idomeneo” sein Regiedebüt in Großbritannien geben. Die Kunst solchen „Seitenlinien” abseits des vielbefahrenen Repertoires eine gewisse Aufmerksamkeit zu sichern, würde allerdings eine kreative Herangehensweise benötigen. Das muss kein Countertenor sein und kein Kušej, das hätte auch ein junger, energiegeladener Dirigent sein können, der aus der Barockmusik kommt – und sozusagen justament auf der Staatsopernbühne den „Idomeneo“ endlich einmal als Mozarts „Synthese“ von „Opera seria“ und „Tragédie lyrique“ dem Publikum vorstellt.

Aber von solchen „Ideen“ kann derzeit nur geträumt werden, denn an der Staatsoper wird immer öfter eine respektable Zweitbesetzung als „erste Garnitur“ ins Feuer geschickt. So auch an diesem Abend – noch dazu unter der Stabführung eines Dirigenten, der schon immer in der zweiten Liga gespielt hat. „Aufgepeppt“ wurde diese Kombination durch eine – unter diesen Aufführungsbedingungen – zu lange und uneinheitliche Fassung. Kein Wunder, wenn an diesem Abend die Premierenbesucher nach kurzem Pflichtapplaus rasch das Weite suchten.

Natürlich hat der „Idomeneo“ ein „Fassungsproblem“ – vereinfacht gesprochen in „Münchner“- und „Wiener“-Fassung unterschieden. Die Wiener Aufführung des „Idomeneo“ 1786 war allerdings eine konzertante Aufführung. Der neue „Staatsopern-„Idomeneo“ mischt in die Münchner-Fassung Elemente der Wiener-Fassung, in der Idamante von einem Tenor (!) gesungen wurde. Vor allem ist hier Idamantes Arie mit Violinsolo zu nennen (Nr. 10b) „Non temer, amato bene“, die einen stark konzertanten Charakter besitzt. Sie wurde in der Neuproduktion nach der vom dritten Akt vorgezogenen Arie der Ilia „Zeffiretti lusinghieri“ und dem Duett „S’io non moro a questi accenti“ platziert. Die Arie der Ilia „Se il padre perdei“ folgte erst darauf. Der zweite Akt, der eigentlich auf Idomeneos zentrales „Fuor del mar“ zuläuft, wurde dadurch dramaturgisch verwässert – und die Arie Nr. 10b mit ihrer stark konzertanten Ausrichtung – so schön die Violine auch gespielt werden mag – entpuppte sich im Handlungsfortlauf als starkes und unpassendes Verzögerungsmoment.

Das Regiekonzept von Kasper Holten lässt sich am besten anhand der Inhaltsangabe im Programmheft ablesen – zu der mit keinem Wort vermerkt wird, dass sie die Sicht des Regisseurs (!) und nicht den eigentlichen Inhalt der Oper wiedergibt. Als Beispiel sei der Schluss der Inhaltsangabe zitiert: „Idomeneo schwankt zwischen der Opferung seines Sohnes und der Rettung seines Volkes. Als er sich für sein Volk und gegen seinen Sohn entscheidet, verhindert Ilia dessen Tötung und bietet sich selbst als Opfer an. Dazu kommt es allerdings nicht. Idamante befreit sich vom übermächtigen Vater und tritt mit Ilia die Herrschaft Kretas an. Idomeneo und Elettra verfallen den Dämonen ihrer Vergangenheit.“ Der Orakelspruch, der die zugespitzte Situation auflöst, und die Auseinandersetzung, die zwischen Mensch und Gott (!) stattfindet, wird mit keiner Andeutung erwähnt, sondern die Geschichte lückenhaft auf eine Art Palast- oder Volksrevolte zurechtgebogen. Idomeneo wird zudem als schwer traumatisierter Kriegsknecht durch die Handlung geführt, am Schluss den Furien überantwortet und zusammen mit Elettra in einer rot ausgemalten Bühnesenke verwahrt. Idomeneos letzte Arie (Nr. 30a) in der ihm „der Friede ins Herz zurückkehrt“, hat hier natürlich keinen Platz. Das Schlussballett wurde gestrichen.

Die optische Auflösung (Bühnenbild: Mia Stensgard, Kostüme: Anja Vang Kragh) zeigte in der Grundausstattung eine offene Bühne (mit etwas nachteiliger Akustik), die von einer Landkarte beherrscht wurde – Kreta, Argos, Troja – auf der Figuren wie bei einem Stragiespiel platziert waren. Die teils schönen Kostüme, einige gute Effekte wie die vom Schnürboden baumelnden Trojaner samt Ilia am Beginn, die beiden großen Rahmen, die in die Höhe oder zu Boden klappten und eine Art von Weltausschnitt festlegten oder ein über der Bühne platzierter Spiegel, wirkten anregend. Die Produktion blieb in der Personenregie und in den szenischen Effekten aber zu stark auf die Höhepunkte wie die Aktschlüsse begrenzt. Die langen Rezitative und viele Arien gerieten zu sprichwörtlichen Stehpartien, die nichts zur Charakterisierung der Figuren beziehungsweise der in den Arien ausgedrückten Affekte beitrugen. Idomeneo wurde immer wieder von den untoten Kriegsopfern bedroht, Symbole für seine Erinnerungen, die sich im Finale auf ihn und Elettra zu bewegten wie die Teufelchen auf Don Juan.

Weil Holten den göttlichen Aspekt der Geschichte möglichst ausklammern wollte, musste sich Idomeneo in epileptischen Zuckungen am Boden winden oder ein aufgeregter „Bürger“ als Orakelstimme herhalten. Immerhin wurde das „minoische“ Standbild des Königs im Finale des dritten Aktes effektvoll zersprengt. Idamante tat allerdings auf der Bühne nichts dazu, um sich – wie die Inhaltsangabe im Programmheft zitiert – vom Vater zu befreien: ohne Ilia und Volksaufstand hätte sein Opferblut rot den Altar gesprenkelt. Holten hat die Widersprüche seiner Sichtweise zu Mozarts Vorgaben einigermaßen gut kaschiert, aber ist es ihm nicht gelungen, das Werk zu einem spannenden Bühnenleben zu erwecken.

Musikalisch blieb diese Premiere viel schuldig: Bis auf den Idomeneo-erfahrenen Michael Schade wurde die Aufführung von jungen SängerInnen geprägt, die mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrem gesanglichen Ausdruck den Abend nicht „herausreißen“ konnten – wie zum Beispiel die Ilia der Chen Reiss. In den Programmheften ist jetzt dankenswerter Weise immer eine gesangliche Beschreibung der Hauptpartien enthalten, verfasst vom Künstleragenten Erich Seitter, also jemandem, der Bescheid weiß. Die Anforderungen an die Gesangsstimme der Ilia beschreibt er mit „jugendlich-lyrischer Sopran“, von „runder Farbe, mit einer Träne im Stimmklang, jedoch ohne Larmoyanz“. Chen Reiss hat sich Verdienste bisher vor allem im slawischen Repertoire erworben, ihre Stimme ist eher klein, eher hart, ein leichtes Vibrato zeigte sich bereits, als aufblühend „rund“ würde ich sie nicht charakterisieren. Nicht nur bei ihr war auffallend, wie gleichförmig die emotional unterschiedlichen Arien dargeboten wurden. Oder die Elettra der Maria Bengtsson (mit Hausdebüt): Seitter beschreibt die Elettra als „jugendlich-dramatischen Sopran“ mit einer Spannweite bis zu „exaltiert-hysterischen, dramatischen Koloraturausrufen“. Viel Dramatisches war an der Elettra von Maria Bengtsson nicht zu bemerken, aber sie sang recht hübsch – und war eigentlich mehr eine Ilia als eine Elettra. Es ist eigenartig, dass die Staatsoper die Partien nicht mit Stimmen besetzt, die den Anforderungen gerecht werden, die sie im eigenen Programmheft stellt!

Den stärksten Applaus heimste Margarita Gritskova ein – im ersten Akt noch mit etwas engem Mezzo fand sie immer besser in den Abend hinein. Allerdings entwickelte die Stimme wenig Leuchtkraft und vor allem fehlte ihr eine etwas tiefgründigere Konturierung, die für Idamantes heroische Ader gepasst hätte. So ergab sich der überraschende Eindruck, dass sich alle drei wichtigen Frauenstimmen akustisch zu ähnlich waren, teils zu lyrisch, teils etwas metallisch, insgesamt fast austauschbar und zu wenig individuell.

In der Titelpartie hätte Michael Schade vielleicht die koloraturlose Fassung von „Fuor del mar“ singen sollen. Sein Tenor ist schwerer geworden, starke dynamische Unterschiede im Gesang irritierten, so sie nicht Absicht gewesen sein sollten. Schade spielte sehr gut und nicht zuletzt war es ihm zu verdanken, dass phasenweise Spannung aufkam. Die Nebenrollen reichten von einem gesanglich, aber von der Regie sehr farblos behandelten Arbace (Pavel Kolgatin), bis zu einem schon eher durchwachsenen Oberpriester (Carlos Osuna). Sorin Coliban durfte das „bürgerliche Orakel“ beisteuern.

Aus dem Orchestergraben unter Christoph Eschenbach tönte ein eher breit angelegter „Einheitsmozart“, der sich kaum auf eine besondere Akzentsetzung oder dynamische Akzentuierung einließ. Spannung kam selten auf, etwa bei einigen Chören (auf der „Habenseite“ der Produktion: der Staatsopernchor) oder in der Opferszene – aber nur, um dann wieder gleich zu verpuffen. Für eine differenzierte Umsetzung der Arien reichten Gestaltungskraft und Tiefenschärfe nicht aus, es gab kaum Schattierungen in den Klangfarben und die Posaunen des Orakels ertönten harmlos und unarchaisch.

Am Schluss spendete das Publikum fünf Minuten lang Applaus. Die paar Buhrufe – nur für den Dirigenten – seien noch der Historie wegen erwähnt. Das Saallicht war noch nicht angegangen, da strömte schon alles den Ausgängen zu. Einige Besucher hatten schon in der zweiten Pause das Haus verlassen. Der Abend dauerte rund dreieinhalb Stunden.