IDOMENEO

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Theater an der Wien
13. November 2013
Premiere

Dirigent: René Jacobs

Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Licht: Alessandro Carletti
Videodesign: rocafilm

Freiburger Barockorchester
Arnold Schönberg Chor

Idomeneo - Richard Croft
Idamante - Gaëlle Arquez
Ilia - Sophie Karthäuser
Elettra - Marlis Petersen
Arbace - Julien Behr
Gran Sacerdote di Nettuno - Mirko Guadagnini


Viel Sand im Getriebe
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien servierte dem Publikum in seiner dritten szenischen Produktion der laufenden Saison einen Albtraum-“Idomeneo”, der aber beim Verfasser dieses Berichtes mehr Schlafbedürfnis als Unruhe auslöste. Es wurden drei sehr lange Stunden an diesem Premierenabend.

Die Inszenierung von Damiano Michieletto schwankte zwischen plakativem „Hyperrealismus” und den Versuchen, das Vater-Sohn-Verhältnis von Idomeneo und Idamante psychologisch aufzuarbeiten. Der Regisseur hat 2012 mit einer gelungenen Produktion von Puccinis “Il trittico” am Theater an der Wien debütiert – aber der „Idomeneo“ ist keine Verismo-Oper. Mit seiner sehr durchschaubaren Personenführung – so ganz nach dem Motto: Zornausbruch ist „Gegenstand-durch-die-Gegend-schmeißen“ – brachte Michieletto die SängerInnen um eine glaubwürdige Bühnenwirkung und sich selbst um die Früchte seiner Arbeit.

Als Spielfläche diente ein sandstrandartiges Ambiente, das sich weit in den Bühnenhintergrund erstreckte, oft von weißen Vorhängen begrenzt. Der Strand war mit halbhohen Soldatenstiefeln übersät, die wie Muscheln aus dem Untergrund ragten: eine Metapher für Krieg und Verlust, durchaus zur Handlung passend. Mit Requisiten wurde sparsam umgegangen, und sie wurden nach Bedarf in den „Sand” gestellt, schlichtes Mobiliar: Sessel, Tische, ein Bett für Idomeneo, Koffer wurden geworfen und weggeräumt. Nach der Pause wurde alles zu einem großen Haufen gemüllt. Der Nachteil dieses Bühnenbildes: Die offene Bühne und wahrscheinlich auch der mit körnigem Material aufgefüllte Boden sorgten für eine im Theater an der Wien ungewohnt magere Akustik. Die Stimmen klangen durchwegs „köperloser“ als gewohnt – für die teils ohnehin nicht sehr „füllig“ timbrierten Mitwirkenden ein großer Nachteil.

In diesem Bühnenraum wurde eine Vater-Sohn-Beziehung abgehandelt, die schon zur Ouvertüre als Video „angerissen” wurde: der „beanzugte” Vater kleidet seinen Sohn ein, schafft nach sich seinem Ebenbild. Danach trieben sich Ilia und Idamante in dieser „seeseitigen“ Endzeitstimmung herum: Ilia schwanger und den ganzen Abend lang zu einer ermüdenden Mitleidsgestik in Spiel und Gesang gedrängt; Idamante mal verliebt, mal zornig pubertär. Erst der Auftritt Elettras setzte der Aufführung ein paar Farbtupfen auf. Aber ihre Charakterisierung als äußerst modebewusstes, aber doch recht dümmliches „Blondinchen” passte überhaupt nicht in das bis zu dieser Szene gepflegte Betroffenheitspathos.

Seltsam geriet der Auftritt Idomeneos, der mit seinem Bett an „Land gespült“ wurde, von einem Ballett an Rettungswestenträgern auf die Bühne getragen. Idomeneo erwachte gekünstelt aus einem Albtraum, blickte verstört um sich, und wurde wenig später von einem „Zombie” mit Blut beschmiert. Der kretische König zeigte sich den ganzen Abend über depressiv und verbürgerlicht, ein Antiheld, dem die Probleme über den Kopf wachsen. Konsequenter Weise legte er sich am Schluss sterbend zu den Schuhen in den Sand – ein „verbogener Stiefel” mehr.

Vieles wirkte an dieser Aufführung nur mehr grotesk, ganz besonders Elettras furiengepeitschtes Schlammbad im Finale, und die Geburt des Idamante’schen-Ilia’schen Nachwuchses unter heftigen Wehensschmerzen zum Schlussballett als Draufgabe. Apropos Nachwuchs: zum (vom Band eingespielten) Orakelspruch wurde eine riesige Ultraschallaufnahme von Ilias Ungeborenem projiziert – und das war überraschender Weise einer der wenigen Momente, wo sich der Abend auf der Höhe des Stoffes und der Musik befand. Aber warum hat Michieletto überhaupt einen Stammbaum der kretischen Könige entwickelt? Soll sich die Geschichte an Idamantes Sohn wiederholen? Ist die Geburt des Sohnes zugleich Idamantes „Mannwerdung”? Michielettos „Konzept” ist nicht ohne „Reiz”, aber es haperte an der Umsetzung.

Womöglich lag es auch daran, dass sich die Mitwirkenden von diesem Konzept zu wenig emanzipieren konnten. Zwar halte ich die „Über-Zeichnung“ der Elettra durch Michieletto für sehr fragwürdig, aber Marlis Petersen hat gezeigt wie frau das selbstbewusst spielen und singen kann – und da schlägt sich dann sogar ein Moorbad nicht auf die Stimme. Petersen war das große Plus an diesem Abend. Auch wenn sie beim „Idol mio, se ritroso“ als höchst beweglicher „Kleiderständer“ missbraucht wurde, der sich aus allerhand Einkaufssackerln seine Garderobe zusammensuchen musste. Petersen zeigte hier Bewegungsartistik im Zusammenspiel von Bühnenaktion und Gesang, eine perfekte Choreographie. Allerdings wurde durch dieses „Überagieren“ – wie auch bei Elettras finaler Arie – die Wertigkeit der Musik und des Gesanges stark in den Hintergrund gedrängt.

Ganz das Gegenteil von der bühnendramatisch wirkungsvollen Peterson: der sehr statisch wirkende Idomeneo von Richard Croft. Croft mag ein ausgezeichneter Oratoriensänger sein, aber seine Bühnenwirkung war an diesem Abend sehr anämisch. Seine helle, nüchtern timbrierte Stimme mag versiert die Keuschheit eines heiligen Mannes verströmen, aber der Idomeneo scheint mir doch mehr viriler und heroischer Natur. So einförmig und hager wie das „Fuor del mar“ an diesem Abend erklang, regten sich danach auch nur wenige Hände zum Applaus. (Wobei einmal mehr überraschte wie stark der heftige Schlussapplaus vom teils mageren Szenenapplaus differierte. Einzig Petersen durfte sich an stärkerem Beifall nach ihren Arien erfreuen.)

Bei diesen schwierigen Rahmenbedingungen kam der Idamante von Gaëlle Arquez im Laufe des Abends immer besser zur Geltung, ein schlanker Mezzo, burschikos und im Spiel ein wenig pubertär, in der Bühnenpräsenz und stimmlich für die nächsten Vorstellungen noch mit Potenzial. Einförmig, wenig aufblühend und etwas angespannt erklang der Sopran von Sophie Kartäuser, eine Ilia, die nur aus „Tränen“ zu bestehen schien, und der die Regie unter anderem das Aufbauen eines „Stoa-Mandls“ aus ausrangierten Soldatenstiefeletten beauftragt hatte. (Einmal wirft sie auch einen Campingkocher an. Manchmal schien Michieletto schon zwanghaft nach Aktionen zu suchen, so als hätte er Angst, seine „Schäfchen“ könnten ein paar ruhige Minuten haben.) Julian Behrs Arbace passte ebenfalls in die Kategorie heller Tenor, eher blass im Ausdruck und regiegesteuert. Und der Arnold-Schönberg-Chor singt sogar dann schön, wenn er unter einer neptunischen Flohplage leidet und in ein kollektiv-groteskes Kratzen verfällt.

René Jacobs setzte auf teils etwas träge Tempi und eine mehr symphonisch anmutende Begleitung. So erklang manch schönes Detail in eher geglättetem „Originalklang“, aber nicht nur die Rezitative (die vor allem) hatten zuwenig „Biss“. Die drastische Szene wurde im Orchestergraben konsequent „ausgebremst“, das Bühnenblut war dort nicht zu wittern. Es gab nachher viele Bravorufe – die Buhrufe gegen die Regie konnten sich kaum durchsetzen.

Fazit: Abgesehen von der fragwürdigen Inszenierung ein Abend, dem die Sängerpersönlichkeiten fehlten. Eine Elettra macht noch keinen „Idomeneo“.