IDOMENEO

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Premiere
Theater an der Wien
Koproduktion Wiener Staatsoper

27.1.2006

Dirigent: Peter Schneider

Inszenierung: Willy Decker
Szenische Mitarbeit: Karin Voykowitsch
Ausstattung: John Macfarlane
Lichtgestaltung:
Andreas Grüter

Arnold Schönberg Chor

Idomeneo - Neil Shicoff
Idamante - Angelika Kirchschlager
Ilia -
Genia Kühmeier
Elettra - Barbara Frittoli
Arbace -
Peter Jelosits
Oberpriester - Marian Talaba
Stimme des Orakels - Walter Fink
Chorsoli - Rutana Calugarescu, Katarina Bradic,
Cezar Dima, Michael Kucharko

Einige Anmerkungen zur dritten Aufführung am 4. Februar, die wieder einmal bewiesen hat, dass Folgevorstellungen meistens besser sind als die Premiere: Neil Shicoff war an diesem Abend viel überzeugender. Die verkrampfte Introvertiertheit der Premiere war spürbarem Selbstbewusstsein gewichen - Idomeneos Charakter wirkte gereifter. Gesanglich und stilistisch ist es nach wie vor ein Kompromiss, aber wie weit man hier ein paar gesungene oder nicht-gesungene Koloraturen einfordern soll, ist schwer zu abzuwägen. Schließlich hat sogar Mozart seinem Uraufführungstenor Erleichterungen zugestanden. Insgesamt wirkte die ganze Aufführung flüssiger, pragmatisch und mit Spannung dirigiert von Peter Schneider, wobei alles ein wenig laut klang und nicht sehr am Detail orientiert. Es gab starken Schlussapplaus, am stärksten für die „drei Damen“, und keine negativen Reaktionen.
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Idomeneos Schuldgefühle
(Dominik Troger)

Die neue Opernära im Theater an der Wien hat begonnen: den Anfang machte Mozarts „Idomeneo“ im Rahmen einer Koproduktion mit der Wiener Staatsoper. Vor allem das Damendreigespann Angelika Kirchschlager, Genia Kühmeier und Barbara Frittoli führte die Aufführung zum Erfolg.

Die Produktion stand im Vorfeld unter keinem guten Stern, sowohl Seiji Ozawa (Musikalische Leitung) als auch Regisseur Willy Decker hatten wenige Wochen vor der Premiere aus Krankheitsgründen ihre Arbeit abbrechen müssen. Für die Regie war Karin Voykowitsch von der Wiener Staatsoper eingesprungen, für die musikalische Seite Peter Schneider.

Zu allererst muss aber angemerkt werden, dass die Garderobensituation – zumindest am zweiten und dritten Rang – wie schon bei der „Inauguration“, indiskutabel war, und einige Besucher wegen der langen Wartezeit erst nach (!) Beginn der Vorstellung ihre Plätze einnehmen konnten. Hier wird beim Personal und somit am falschen Ort gespart, denn es ist augenscheinlich, dass eine Person allein unmöglich in der Lage ist, den starken Andrang in der letzten Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn zeitgerecht zu bewältigen. Dem Publikum zuzumuten, zehn Minuten oder länger in einer gedrängten Schlange auf der engen Stiege auszuharren, zeugt nicht gerade von modernem Kundenbeziehungsmanagement.

Doch zurück zu erfreulicheren Dingen. Erfreulicher? Das kommt ein wenig auf die Perspektive an – und da meine ich vor allem Neil Shicoffs Ausflug ins Mozartfach. Dass Shicoff keinen Sängertyp repräsentiert, den man ursächlich mit Mozart in Verbindung bringt, war bekannt – auch seine etwas eingefahrene, psychologisierende Darstellungsweise ließ eher an einen zweiten Eléazar denken oder an Kapitän Vere. Neben der schwerfälligen Art seines Mozartgesanges (und der sehr hörbaren Souffleurunterstützung) markierte sein axtumklammernder Idomeneo vom ersten Auftritt an eine emotionale Statik und Gebrochenheit, in der Idomeneos Entschluss, seinen Sohn zu Opfern, schwer hätte reifen können. Dieser Idomeneo entbehrte „innerer Haltung und Würde“ – und hat doch so stark danach verlangt.

Möglich, dass hier auch Willy Deckers Regiekonzept hemmend eingewirkt hat, der (im Programmheft nachzulesen) die „problematische Heldenfigur“ herauskehren wollte und meint, Mozart habe den souveränen Herrscher „gnadenlos herunter vom seinem Podest behaupteter Größe“ gerissen „hinab in den Abgrund menschlicher Schuld und Unzulänglichkeit“. Ich kann diesen Gedankengang nur bedingt nachvollziehen. Die starke Individualisierung der Figuren, wie sie in den da Ponte Opern reift, ist hier immer noch am antiken Sujet und der relativen starren Operntradition gebrochen. Diesen heroischen und ideellen Anspruch kann man nicht so einfach in das Portrait eines schuldbewussten Stadtneurotikers des 21. Jahrhunderts ummünzen. Man darf nicht vergessen, dass die Darstellung antiker Stoffe auch über Jahrhunderte dazu diente, ein „Ideal“ der „Bestheit“ zu vermitteln, das den Zuschauern ein Beispiel menschlicher Größe vor die Augen stellen sollte. Die verständliche Verzweiflung Idomeneos muss genau darin ihr Gegengewicht finden: in der „Bestheit“ seiner Anlagen und seines Königtums und der damit verbundenen Verantwortung – den Göttern und dem Volk gegenüber – denn nur so wird der Entschluss, dass Opfer zu vollziehen, rational verständlich und notwendig.

Und damit begebe ich mich gar nicht ins Feld weitschweifiger Spekulation: das Bühnenbild, der Amphitheaterausschnitt, nur graue Stufen bis obenhin, suggerierte antikes Theater. Man fühlte sich dabei durchaus wohl, als unauffälligem, zu einigen ganz guten Effekten geeignetem „Hintergrund“ – eine optische Wegmarke, die zurück ins frühgriechische Kreta wies. Durch die ruhige, aber konsequente Führung der Personen, die Stufen auf- und ab- und querschreitend, erhielt die Inszenierung eine Dynamik, deren verhaltene Expressivität nur an den Kulminationspunkten der Handlung verdichtet wurde. Szene und Musik befanden sich weitestgehend in einem sich gegenseitig zumindest nicht störenden, oft aber befruchtenden Gleichgewicht. Der Versuchung, Gegenstände die Stufen hinabpoltern zu lassen, wurde in Maßen nachgegeben. Besonders gelungen fand ich den weißen Steinaltar, ein halb angeschnittenes, großes Gesicht mit einer Augenhöhle als Opferschale – aus einzelnen Teilen vom Chor schräg auf die Stufen gestellt. Die Kostüme waren zeitlos, archaisierend. Erst am Schluss trat der Chor in einfachen, modernen Gewändern auf, Idamante verweigerte die Annahme der Krone, er und Ilia mischten sich unters Volk. Wurde jetzt plötzlich Demokratie gespielt? Im Programmheft schreibt Decker: „Mozart verwirklicht im Grunde schon Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Ich halte das – bezogen auf den „Idomeneo“ – für eine Fehldeutung. Auf der Bühne wirkte diese Schlusspointe aber fast nebensächlich und wenig akzentuiert. Trotzdem soll festgehalten werden, dass laut Libretto das Volk am Schluss dem königlichen Paar, Idamante und Ilia, huldigt.

Angelpunkt des Abends war das Dreieck Idamante, Ilia, Elettra. Angelika Kirchschlager besitzt als Idamante viel Ausstrahlung und sang mit einem klaren, bestimmten Tonfall. Barbara Frittoli begeisterte das Publikum mit ihrer Schlussarie, als wütende, funkensprühende Elletra. Genia Kühmeier konnte als jugendliche Ilia ihre gesanglichen Vorzüge voll ausspielen und durch ihr Timbre bekommt diese Figur auch einen Charakter mit einem festen, willensstarken Kern. Die restlichen Solisten hatten nicht viel zu singen, die Partie des Arbace (Peter Jelosits) war ziemlich eingestrichen worden (das Ballett war sowieso dem Rotstift zum Opfer gefallen.) Die Qualitäten des Arnold Schönberg Chores hat man in letzer Zeit schon öfters bei Opernproduktionen genießen können, so auch an diesem Abend. Peter Schneider huldigte einem eher konservativen Mozartbild, manchmal ein bisschen langatmig, aber auf die Höhepunkte gut und „mit Biss“ hingetrimmt. Doch fällt es mir schwer, hier objektiv zu sein, weil mich die angenehme, in warmem Tonfall mozart-plaudernde Akustik des Theaters an der Wien wieder stark betört hat.

Das Publikum war im wesentlichen zufrieden, sparte nicht mit Applaus. (Zwei, drei Buhs gegen Shicoff bei offener Bühne und ein einsamer Buhrufer am Schluss seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt.)