IDOMENEO

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Theater an der Wien
Produktion des
Klangbogen Wien

11.8.2003
(Premiere 2.8.2003)

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Nicolas Brieger
Bühnebild:
Hans Dieter Schaal
Kostüme:
Jorge Jara
Lichtgestaltung:
Alexander Koppelmann

RSO Wien
Festival-Chor Klangbogen Wien

Idomeneo - Kurt Streit
Idamante - Heidi Brunner
Ilia -
Maria Bengtsson
Elettra - Regina Schörg
Arbace -
Mathias Zachariassen
Gran Sacerdote - Robert Wörle
La Voce - Kwanchul Youn


Heroischer Realismus
(Dominik Troger)

Mit kräftigen Pinselstrichen malte Bertrand de Billy diesen Idomeneo, etwas düster und heroisch, gepaart mit wohldosierter Dramatik: Ein Mozartabend, männlich und expressiv, aber nie überbordend gewalttätig, gezeichnet von einem selbstreflexivem Heldentum, mit dem Mozart schon anno dazumal den Schematismus der opera seria in die Richtung eines aufwühlenden, fast shakespearschen Dramas durchbrochen hat. Eine in Anbetracht des Orchesters und der künstlerischen Möglichkeiten der Sänger geradezu ideale Konzeption, die zu einer der musikalisch besten Klangbogen-Aufführungen der letzten Jahre führte.

Dabei muss man betonen, dass der Gesamteindruck zwar ein vorzüglicher war, dass sich mir aber bald der Vergleich mit einem großleinwandigen Gemälde aufdrängte, dessen „Komposition“ man aus ein paar Metern Abstand mit Wohlgefallen betrachtet, von dem man aber nicht die lichtdurchflutete Transparenz einer Aquarellmalerei erwarten darf. Nun, der Idomeneo hat etwas Heroisches an sich, und eine „pastellöse“ rokokohafte Gefühlsfärbelei wäre auch unangebracht gewesen. Jedenfalls war es de Billy gelungen, die vorhandenen künstlerischen Ressourcen optimal anzuzapfen und in eine dramatisch-ansprechende Form zu bringen.

Das begann schon beim RSO Wien, das ein kompaktes, wohlklingendes Orchester sein kann, dem aber das letzte Mysterium ätherischer Klangentfaltung ganz einfach versagt ist. Die kräftigeren, verdeutlichenderen „Pinselstriche“ waren da gerade recht, sie wurden exakt geführt, mit fester Hand sozusagen, und verfehlten ihre zupackende Wirkung auf die Zuhörer nicht. Es war ein ordentlicher Pragmatismus, der da herrschte, der auf die Kunst der manieristischen Verfeinerung verzichtete und die Mozart'schen Noten entschlackt, aber kompetent in Töne setzte. So konnte das Orchester, dessen wahre Stärken beim Repertoire des späten 19. und vor allem bei dem des 20.Jahrhunderts liegen, auch Mozart glaubwürdig gerecht werden.

Diese Art zu musizieren setzte sich aber auch bei den SängerInnen fort – und ein gutes Beispiel dafür ist gleich die Titelpartie. So würde ich Kurt Streit nicht als Mozartsänger „par excellence" bezeichnen (was das Programmheft in gewisser Weise tut, wenn es ihm den Titel eines führenden Mozartsängers der Welt „verleiht“). Als Idomeneo und im Theater an der Wien hat er auch mich überzeugt (ich glaube, dass diese Örtlichkeit mit seiner spezifischen und diesmal sehr fürsorglich genutzten Akustik einen ganz besonderen Anteil an dieser erfolgreichen Aufführungsserie hatte), aber der Charakter des Idomeneo ist von den anderen, meist in Liebe entflammten tenoralen Mozart'schen Opernhelden doch verschieden. Könnte er mich auch als Tamino überzeugen, als Belmonte, als Don Octavio? Dazu fehlt ihm, nach meinem Eindruck, nicht nur bei den Koloraturen der Feinschliff einer artifiziellen Gesangeskultur, dazu fehlt seinem Timbre eine gewisse Feinheit und Biegsamkeit, die Fähigkeit sich auch an die Gesangeslinie anschmiegen zu können. Im Gegenteil (und da bin ich eben wieder bei dem Punkt) seine Stimme wirkt schon rein von der Grundkonsistenz etwas härter, vielleicht auch „heldischer“ oder sagen wir besser „heroischer“. Außerdem ist er mehr ein „Sänger-Arbeiter" als ein „Sänger-Sänger", dem das Publikum schon deshalb zu Füßen liegt, weil es die Leichtfüßigkeit und Eleganz seines Gesangsstils bewundert. Aber diese sängerische Gradwanderung hat der emotionalen Gradwanderung des Idomeneo sehr gut entsprochen.

Da ist Mathias Zachariassen schon weit eher das, was man landläufig unter einem "Mozart-Tenor" versteht, auch mit der weicheren, schöneren Stimme – aber zumindest an diesem Abend haben einige unangenehm eingefärbte Höhen, den an und für sich guten Eindruck, den er hinterlassen hat, etwas getrübt.

Im dramatischen Effekt sehr überzeugend, die Elettra von Regina Schörg. Sie gab sich leidenschaftliche den hysterischen Attacken hin – wobei man anmerken muss, dass die Zartheit eines liebesdurchtränkten Pianissimo ihre Sache nicht ist. Das hörte man aber zum Glück nur bei der Arie im zweiten Akt, wenn Elettra trügerische Hoffnungen nährt. (Auch das Kostüm, das sie trug, in dunklen Farben gehalten, vermittelte einiges an zwar verhüllter, aber doch dekolleté-betonter Leidenschaft – ein Lichtblick unter den Admiralsuniformen und schwarzen Kleidern oder Hosen der übrigen Protagonisten. Aber von der Inszenierung wird noch die Rede sein.)

Die Ilia der Maria Bengtsson und der Idamante der Heidi Brunner ließen nach etwas verhaltenem Beginn, kaum Wünsche offen. Beide fügten sich als tragende Rollen in dieses, in gewisser Weise schon existentialistisch angehauchte Idomeneo-Konzept. Überrascht hat dabei vor allem Bengtsson, deren Stimme sich auch in den weicheren, sehnsuchtsvolleren Gefielden des Liebesschmerzes zu Hause fühlte, während Heidi Brunner mehr die zerrüttete, fragwürdig gewordene Existenz des Idamante in den Mittelpunkt stellte, getragen von einer sehr - ich möchte fast schreiben - utilaristisch geführten Stimme, die sich den beifallheischenden Effekt auf Kosten der Wahrhaftigkeit des Charakters konsequent versagte.

Die Inszenierung hatte wohl als Grundkonzept die Idee, die Zeitlosigkeit kriegerischer Handlungen und das daraus entstehende Unrecht aufzuzeigen - von der Antike bis in die aktuellste Gegenwart - und deren schlimme Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Eine Idee, bei der man sehr leicht einer plakativen Bildsprache auf den Leim gehen kann. Regisseur Nicolas Brieger ist genau das passiert. Zu seinen Gunsten muss man anführen: er hat das Werk nie lächerlich gemacht oder die Autorität der SängerInnen untergraben. Aber dass am Beginn US-Soldaten herumlaufen und zusammengedrängte muslimische Kriegsgefangene bewachen oder Idomeneo mit einer rudimentären irakischen Flagge seinen halbnackten Körper verdeckt (er trug in dieser Strandszene übrigens eine schwarze Unterhose), das kann man nur mehr unter dem Begriff "Plakativität" subsummieren. (Und der seltsame Auftritt des Ku-Klux-Clan am Schluss erzeugte einiges an Stirnrunzeln.)

Andere Momente, etwa wenn sich Neptun in Form eines "Bombenanschlages" Aufmerksamkeit verschafft, waren doch soweit mit der fortlaufenden Handlung korreliert, dass man ob der aufdringlichen Bildersprache sich nicht vom Theater an der Wien in eine US-amerikanische Newsshow versetzt fühlte (oder zumindest fast nicht). Und wenn Idomeneo als Flottenadmiral in proper Uniform herumlaufen muss, man wird es als Zuseher verkraften. Dabei gab es aber auch interessante Ideen – etwa den weißen Gipskopf, überdimensional über der linken Bühnenhälfte schwebend, der mit geliehener Tonband-Stimme (Kwangchul Youn), seinen Willen kundtat. Durch eine raffinierte Projektion bewegte dieser Kopf sogar den Mund, und da zeigte sich einmal mehr, was man mit technischen Mitteln alles an Illusionen auf eine Bühne zaubern kann. Das Bühnenbild zeigte, im Rund der Drehbühne mittig gelagert, ein schräggestelltes, würfeliges Haus, in blendendem Weiß gehalten. Es war die strahlende, weißmäuerliche Dörflichkeit griechischer Inseln, die in abstrakter Zweckmäßigkeit doch noch so einen Hauch vom alten Hellas auf die Bühne warf, wie eine Erinnerung an bessere, an frühere Zeiten. Nicht vergessen darf ich, weil es eigentlich schon fast ulkig war, den Neptun (Erwin Reichel), der sich hin und wieder sogar körperlich zeigte. Der etwas blau angefärbelte Jüngling mit nackter Brust und nackten Beinen, unter einem weiten Mantel mehr oder weniger schamhaft verhüllt, zog so manches schöne Auge auf sich.

Ein Wort zur gespielten Fassung: Dass man hier die Ballettmusik oder Teile davon an den Schluss gesetzt, als eine Art von malerischem Ausklang, machte sich eigentlich ganz gut.

Man wird diese Produktion also sicher nicht wegen der Inszenierung in Erinnerung behalten, denn die hinterließ zuallerletzt weder besonders positive noch besonders negative Gefühle. (Bei der Premiere soll es für das Regieteam auch deutliche Buhrufe gegeben haben.) Sondern man wird sie wegen der musikalischen Qualitäten in Erinnerung behalten, als Beispiel für eine homogene und spannende musikalische Umsetzung. Sänger und Dirigent wurden jedenfalls auch in der vierten Aufführung gefeiert und mit vielen Bravorufen bedacht.

Ein kurzer Blick in die Rezensionen der Tageszeitungen zeigt, dass man mit dem muskalischen Teil durchaus zufrieden war und die Inszenierung eher mit Skepsis beäugte. (Nachfolgende Zitate beziehen sich alle auf die Premiere am 2.8.)

"Die Presse" (4.8.) titelte mit der Überschrift "Aberwitziger Mozart in Weltform". Wilhelm Sinkovic kam dort zum Schluss: "Tatsächlich hatte die Aufführung sensationellen Zuschnitt und war szenisch diskutabel.(...) de Billy realisierte die Vorgaben der Partitur mit einer verve und einem Klangsinn, der die oft als überlang geltende Oper zum kurzweiligen Kriminalstück verdichtete." Für die "maschinenpistolenbewehrte Soldaten" kann sich auch Sinkovic nicht erwärmen, aber er findet neben diesen "zeitgeistigen Mätzchen" , dass die Inszenierung "im Kern doch ganz ernst und realistisch die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Darstellern klärt und darlegt." Mit den Sängern ist er ziemlich zufrieden.

Ljubisa Tosic hat im "Standard" (4.8.) die musikalische Seite das Abends auch "überzeugend" gefunden. Was die Inszenierung betrifft, findet er: "Ein bisschen CNN auf der Bühne des Theaters an der Wien". Brieger lässt, so Tosic "die Figuren ihr Inneres nach außen kehren. Doch auch hier wird mitunter herzhaft dick aufgetragen." Betreffend Besetzung findet er, dass Kurt Streit seine Partie "beeindruckend kraftvoll" gemeistert habe. "Präsenz und Leichtigkeit sind allerdings am besten bei Maria Bengtsson verwoben". Das Orchester und Dirgent setzten ein "glänzendes orchestrales Fundament".

In der "Wiener Zeitung" (4.8.) notierte Chritinba Mondolfo: "Die Sänger lassen die Zuschauer teilhaben an ihrer Freude und Qualen." Kurt Streit findet sie "stimmlich ganz hervorragend", Maria Bengtsson ist "bezaubernd", Regina Schörg "stimmgewaltig". Fazit: "Über einige Regie-Details mag man streiten, insgesamt war es jedoch eine sehr kompakte, schlüssige Aufführung mit wunderbaren Sängern und Musikern in Bestform."