LA FINTA GIARDINIERA
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Theater an der Wien
12.11.2010
Premiere

Musikalische Leitung: René Jacobs

Inszenierung: David Alden
Bühne: Paul Steinberg
Kostüm: Doey Lüthi
Licht: Wolfgang Goebbel
Choreografie: Beate Volla

Freiburger Barockorchester

Don Anchise (Podestá di Lagonero) - Jeffrey Francis
La Marchesa Violante (Sandrina) - Sophie Karthäuser
Contino Belfiore - Topi Lehtipuu
Arminda - Alexandrina Pendatchanska
Cavaliere Ramiro - Marie-Claude Chappuis
Serpetta - Sunhae Im
Roberto (Nardo) - Michael Nagy



Psychotisches Mozart-Happening
(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien bemüht man sich derzeit um Mozarts „La finta giardiniera“. Die Premiere zeichnete sich vor allem durch „barocke“ Länge aus. Das künstlerische Ergebnis blieb mager.

Man kann nicht immer Erfolg haben. Das Theater an der Wien hat in den letzten Jahren viele sehr gute Produktionen gezeigt – aber mit Mozarts „liebender Gärtnerin“ ist man auf keinen „grünen Zweig“ gekommen.

Dieses Jugendwerk, 1775 für den Münchner Fasching komponiert, paart ein konfuses Libretto mit einer wahrlich „ins Kraut“ schießenden Musik. „La finta giardiniera“ ist genau jene Nahtstelle im Opernschaffen Mozarts, in der er seine aus barocken Traditionen gespeiste Jugend hinter sich lässt und schon Maß nimmt für die Furiosität eines „Idomeneo“, für die sinnlichen Verwirrspiele eines „Figaro“ oder einer „Cosi“. Was Mozart dabei noch abgeht, ist die richtige Ökonomie im Einsatz seiner künstlerischen Mittel und der scharfe Blick aufs Libretto.

Die emotionalen Verwirrspiele und Wirbelstürme, die dieses „Dramma giocoso“ durchziehen, sorgen für zusätzliche Irritationen. Kann oder darf man das einfach so stehen lassen, dass ein eifersüchtiger Graf auf seine Geliebte einsticht und das schwer verletzte Opfer seiner gemeingefährlichen Gefühlsaufwallung schlussendlich sogar noch heiratet? Unübersehbar sind außerdem die Elemente der Commedia-dell’Arte, die dieses wohl für beide Beteiligte traumatische Ereignis relativieren. Aus der Fülle möglicher Gegensätzlichkeiten und Widersprüche destilliert sich zuletzt ein „Happyend“ – an dem aufgeklärte Geister des 21. Jahrhunderts natürlich schwer zu „nagen“ haben.

Was aber passiert, wenn man diese Zweifel artikuliert, wenn man das Stück mit dem heutigen „psychologischen“ Wissen „zu Ende“ denkt? Man zwängt in ein Korsett, was gerade dieser Gegensätzlichkeit bedarf, um über die wechselvolle Vielfalt der bereits angesprochenen Gemütszustände in ein versöhnliches und für alle Beteiligten läuterndes Finale zu münden (das die Figuren der Handlung ebenso einschließt wie das Publikum). Das Verhalten des ausführenden Künstlers gegenüber einem „Dramma giocoso“ von Mozart sollte das gleiche sein, wie das eines Physikers gegenüber „Schrödingers Katze“. Salopp formuliert: Um die Katze am Leben zu erhalten, darf man nicht in die Kiste schauen, in der sie sitzt.

Regisseur David Alden hat in die „Giardiniera-Kiste“ geschaut und die schon angesprochenen traumatisch-psychotischen Prozesse entdeckt, die ihn in Folge zu einem konfusen Bühnen-Happening angeregt haben. Im Programmheft wird er mit dem Satz zitiert: „Alle leiden wirklich an der Liebe, alle sind durch die Liebe traumatisiert.“ Und daran hat er sich gehalten. Die Figuren wurden von ihm mit der Gartenschere konzeptionell zurechtgestutzt. Zuerst die Gärtnerin in ihrer seelischen Vielfalt beschnitten und zu einer steif wirkenden psychotischen Persönlichkeit geformt – von ähnlich seltsamem Charakter zeigte sich der Graf, der sich viel auf dem Bühnenboden herumwälzte und bei seinem ersten Auftritt unter Drogeneinfluss zu stehen schien. Der Podestà wurde sogar zu einer Art von Mussolini-Karikatur genötigt, trug faschistische Züge und Uniform. Serpetta zeigte sich als widerliche, kleine Schlange im Hausdienst. Arminda wurde zur futuristisch angehauchten Domina. Die gewisse Leichtigkeit der Opera buffa kam eigentlich nur bei Nardo alias Michael Nagy zum Vorschein, der sich interessanter Weise auch über den größten sängerischen Erfolg des Abends freuen durfte.

Über das „Bühnenbild“ braucht man nicht viele Worte zu verlieren: ein angedeuteter bühnenbreiter Gerätenschuppen mit Wellblechwänden bestimmte den ersten Akt, den zweiten ein Saal mit einem großen Wandfries, die Gestalt einer nackten Frau duplizierend, der dritte zeigte ein Zimmer mit Bett und einer gräulich anzusehenden, großgemusterten Tapete. Die wenigen guten Ideen, die Hecken im „Mörderdesign“ zum Beispiel – männliche Silhouetten mit zum Dolchstoß erhobenem Arm (an einer solchen schneidet die Gärtnerin auf hoher Leiter stehend schon im ersten Akt) – waren rar und wurden zu inkonsequent eingesetzt.

Das Finale des zweiten Aktes, in dem die Verwirrungen der Handlung kulminieren, zeigte sich als Orgie, mit springenden Delphinen (!) und assistiert von rauchenden, schwarzbekleideten und weißbekittelten, männlichen (!) Stubenmädchen, wobei man als Zuseher jeden Faden verlor. Dieses lange Ensemble wurde zur quälenden Geduldsprobe – und einige Besucher nutzten die anschließende Lichtpause vor dem dritten Akt, um der Aufführung möglichst rasch zu „entkommen“.

Humor ist ohnehin eine Sache für sich. Wenn Alden es lustig findet, dass Nardo mit einem Stapel schmutziger Teller vor der Brust über eine Stiege balanciert und dabei singt, sei es ihm gegönnt. Warum er den Grafen auf einen Luster setzt und in die Bühnenhöhe befördern lässt, keine Ahnung. Pointiert war der Einsatz des Schweißgerätes zu einer Arie des Nardo, in der er erklärt, dass der Hammer das Eisen zwingt. Aber wahrscheinlich hat die Feuerpolizei den zu häufigen Einsatz des Gerätes verboten – und so war nach viel zu kurzer funkensprühender Schweißerarbeit der Spuk schon wieder vorbei.

Musikalisch sprühten die Funken kaum. Die Beschneidung der Sängerinnen und Sänger setzte sich im Orchestergraben fort. René Jacobs, so hatte ich den Eindruck, zog die Sache zügig durch. Von „Klangrede“ war da wenig zu hören, von einem stimmigen Nachspüren Mozart’scher Seelenzustände oder einer ausmusizierten erotischen Sinnlichkeit und Koketterie. Das ging nach einem Strickmuster durch vom ersten bis zum letzten Takt. Das Freiburger Barockorchester spielte kompakt und phasenweise harsch, mit glanzlosem, kühlen Tonfall. Jacobs hatte eine Fassung mit erweiterter Bläserbesetzung von 1796 gewählt. Ob das einen Anteil daran hatte, dass das Orchester gegenüber den doch eher kleinen Stimmen der Mitwirkenden zu viel Schwergewicht erhielt? Jacobs hat laut Programmheft einige Striche in den Arienvorspielen vorgenommen. Er hätte noch etwas mehr streichen sollen.

Mit den SängerInnen war das auch so eine Sache. Wie schon erwähnt: Michael Nagy als Nardo gewann mit seinem ansprechenden und gut geführten Bariton alle Sympathien. Er kam mühelos über das Orchester und trug auch dem Buffo-Charakter seiner Rolle Rechnung. Die übrigen Mitwirkenden erschienen gegenüber Nagy blässer – und leiser.

Sophie Karthäuser (Gärtnerin Sandrina sowie vor- und nachmalige Marchesa) besitzt – wie schon gehört – eine sehr hübsche, aber auch etwas zarte Sopranstimme, die an diesem Abend, sei es wegen Mozarts Ansprüchen oder in Anbetracht des kompakten Orchesterklanges, diese Qualitäten zu wenig ausspielen konnte. Das Ergebnis zeigte eine ungeschmeidige Gespanntheit, die dem natürlichen Ausdruck zuwiderlief und einen als Zuhörer wenig zu begeistern vermochte.

Topi Lehtipuu lieh dem eifersüchtigen Conte einen an diesem Abend ebenfalls überraschend kleinvolumigen, kaum aufblühenden Tenor, zuträglich in der Mittellage, etwas gepresst in der Höhe, ziemlich einsilbig im Ausdruck. Jeffrey Francis versuchte dem Podestà trotz Faschisten-Karikatur den Anschein einer Persönlichkeit zu geben – hinterließ in Summe aber mehr den Eindruck, als suche er diese einen ganzen Abend lang. Auch von ihm hätte man stimmlich stärkere Akzente erhofft.

Alexandrina Pendatchanska geriet die Arminda etwas unausgewogen, letztlich fehlte es auch ihr am Raffinement für wirklich anspruchsvollen Mozartgesang. Marie-Claude Chappuis (Ramiro) fand im Laufe des Abends zur durchaus klangvollen Mittelage ihres Mezzos, aber auch sie war mir als ausdrucksstärkere Sängerin in Erinnerung. Sunhae Im (Serpetta) hat im Theater an der Wien bisher eher kleinere Partien gesungen. Auch ihr Sopran ist nicht gerade groß, in der Höhe klang er an diesem Abend etwas scharf und nicht immer ganz sauber.

Dass es am Schluss für die Inszenierung Buhrufe gab, überrascht nicht – dass es Bravorufe gab, auch nicht. Es gibt im Theater an der Wien bekanntlich Besucher, die bei jeder (!) Premiere „Bravo“ rufen. Allerdings gelang es auch diesen nicht, das Publikum zu mehr als knapp fünfminütigem Applaus zu verleiten. Es war schließlich schon dreiviertel Elf – und dieser Abend war wirklich sehr (!) lang gewesen.

Fazit: Der Feinschmecker wird berechtigter Weise rasch das Weite suchen, wenn man ihm eine Mozart-Rarität in dieser Form serviert.