LE NOZZE DI FIGARO

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Staatsoper
Premiere
16. Februar 2011

Dirigent: Franz Welser-Möst

Inszenierung: Jean-Louis Martinoty
Bühnenbild: Hans Schavernoch
Kostüme: Sylvie de Segonzac

Conte d'Almaviva - Erwin Schrott
Contessa d'Almaviva - Dorothea Röschmann
Susanna - Sylvia Schwartz
Figaro - Luca Pisaroni
Cherubino - Anna Bonitatibus
Marcellina - Donna Ellen
Basilio - Benjamin Bruns
Don Curzio - Benedikt Kobel
Bartolo - Sorin Coliban
Antonio - Marcus Pelz
Barbarina - Daniela Fally


Kein toller Tag
(Dominik Troger)

An der Wiener Staatsoper ist man auf der Suche nach einem neuen Mozartstil. Nach dem weder szenisch noch musikalisch überzeugenden „Don Giovanni“ hat man sich jetzt den „Figaro“ vorgenommen.

Mutig hat sich das neue Leading-Team an der Spitze der Staatsoper gleich in der ersten Saison auf das Mozart-Repertoire geworfen. Nach „Don Giovanni“ folgte jetzt „Le Nozze di Figaro“ und ein neue „Cosi“ ist auch geplant. Staatsoperndirektor Dominique Meyer holte zu diesem Zweck den Regisseur Jean-Louis Martinoty nach Wien. Warum gerade Jean-Louis Martinoty? Diese Frage ist das erste große Rätsel der neuen Staatsoperndirektion.

Noch pikanter wird die Frage, wenn man bedenkt, dass dieser „neue“ Staatsopern-„Figaro“ bereits vor Jahren in Paris das „Licht der Bühne“ erblickt hat. Offenbar war Meyer dort von dem „Figaro“ Jean-Louis Martinotys so begeistert, dass er sich entschloss, damit die über 30 Jahre alte Staatsopern-Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle abzulösen. Ich kenne die Pariser Variante dieser Produktion nicht, die auch bereits auf DVD „verewigt“ wurde. Martinoty hat sie für Wien angeblich neu erarbeitet – und das Ergebnis ist nicht gerade berauschend.

Für Martinotys Schiffbruch sind nicht nur die statuarischen Ensembles beispielgebend, vor allem die Rezitative zeigen die Grenzen auf: Rezitative, die nicht auf den Punkt gebracht werden, die nicht als flüssig integrierte Nahtstellen für das „Figaro‘sche Beschleunigungselement“ sorgen, für die sprudelnde, subversive Frische dieses genialen erotisch-revolutionären Plots, den Mozart schlussendlich in einer verklärend-aufklärerischen Haltung kulminieren lässt. Die „wie von selbst“ spritzig aus der Handlung hervorschießende Situationskomik wird bei Martinoty durch bemühten „Witz“ gebändigt und schmeckt nach Kulissenstaub, so wie diese abstellkammerartige Gemäldegalerie, die Hans Schavernoch als Bühnenbild entworfen hat.

Mag sein, dass Martinotys beachtliches historisches und quellenkritisches Wissen ihm den spielerischen Zugang zu Mozarts Musik und da Pontes berechnender Komödienkunst verstellt. Schon sein „Don Giovanni“ hatte oberlehrerhafte Einsprengsel, die einer süffig-kreativen Bühnenumsetzung im Wege standen – und auch dieser „Figaro“ hat so gar nichts von einem „tollen Tag“, aber viel von einer etwas ungelenken Nacherzählung. Gewiss, diese „Nacherzählung“ wird im Repertoire dem „Allerweltsgeschmack“ eines touristisch stark genützten Hauses kaum in die Quere kommen. Ist das aber als Resultat nicht ein bisserl wenig?

Wenn schon szenisch hier nicht gepunktet werden konnte – weil die neue Inszenierung – im Vergleich zur alten (!) – altbackener und lustloser daherkam, vielleicht brachte die musikalische Umsetzung neue Perspektiven? Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst tauchte den „Figaro“ in etwas sattere, dunklere Farben. Das hat im großen Haus unbestritten seine Vorzüge – und es passt auch stilistisch zum „Philharmoniker-Sound“. Die Frage, ob man es im Jahre 2011 noch „gewöhnt“ ist, Mozart auf diese Art zu hören, ist eigentlich falsch, soll aber trotzdem gestellt werden: Mozart erklingt heute meist differenzierter, akzentuierter und transparenter.

Vergleiche mit der Wiener „Mozart-Tradition“ sind eventuell lohnend, wobei hier bewusst die Harnoncourt’sche Sicht der Dinge ausgeklammert werden soll. Auch das Staatsopernorchester versteht es, Mozart mit eloquenter, sprudelnder Behendigkeit zu spielen. Ich denke etwa an Riccardo Mutis brillantem, mit südländischer Leichtigkeit unterfüttertem Klassizismus oder (schon deutlich länger zurück) an Karl Böhms Fähigkeit, Mozart schlank und doch mit viel Schönklang unprätentiös zu einem genussvollen Hörerlebnis zu gestalten. Beide vermochten im vierten Akt die Dunkelheit des gräflichen Gartens mit luziden Klängen zu erhellen. Und man muss nur hineinhören, wie bei Welser-Möst die tänzerischen Elemente (etwa im dritten Akt) vergleichsweise schwerfällig wirken und wie elegant hier die beiden Vergleichskandidaten innerhalb einer ähnlichen Spieltradition agierten. Welser-Mösts „Figaro“ scheint hier einen Schritt zurückzugehen, wirkte trotz teils flotter Zeitnahme schwerblütig und – wenn man so formulieren möchte – „konservativ“.

Welser-Möst suchte als Ausgleich offenbar seine Chance im Tempo – schon in der sehr flotten Ouvertüre, die aber auch nicht so richtig „abhob“, sondern in Bläsern und Pauken ihre Erdung fand. Auch die Ensembles kamen in Folge zügig und zogen nach einem mühsam abgearbeiteten ersten Akt den Abend doch noch aus dem tiefen Graben, in dem er zäh zu versinken drohte. Die volle Symbiose zwischen Orchester und Bühne, die in den Ensembles eine unwiderstehliche Sogwirkung erzeugen kann, stellte sich nicht ein.

Die Besetzung entsprach mehr als beim „Don Giovanni“. Eine gewisse Nervosität war vor allem im ersten Akt spürbar – und einige Mitwirkende (Röschmann, Pisaroni) sollen vor Kurzem noch gesundheitlich angeschlagen gewesen sein. Wenn man zudem in Rechnung stellt, dass die Premiere meist ohnehin die schlechteste Aufführung einer Serie ist, dann relativieren sich die nachfolgenden Aussagen über die Sängerleistungen doppelt und dreifach.

Erwin Schrott wäre mir persönlich als Figaro passender erschienen. Für den Grafen (Hausdebüt) war er mir im Gesang zu robust und männlich-zielstrebig. Die Verführungskünste des Grafen dürfen sich ruhig in einer charmanteren Art und in charmanterem Gesang ausleben. Zugegeben, vielleicht wollte auch die Regie keinen Grafen mit zuviel „Geschmack“, um die fragwürdige Virilität des Charakters zu entlarven. Schrott setzte dem Abend durch seine starke Bühnenpräsenz (nicht nur wegen der roten frackartigen Bemantelung) einige wohltuende Farbtupfen auf und belebte das irgendwie düster erscheinende Bühnenambiente. (Warum man beispielsweise die Opera buffa im zweiten Akt mit einem düsteren Cruzifix-Gemälde kontrastierte, wäre auch zu hinterfragen. Wachte hier im Sevilla des 18. Jahrhunderts heimlich die spanische Inquisition über die Komödie?)

Seine „Gemahlin“, Dorothea Röschmann, hat vor einigen Jahren in Wien noch die Susanna gesungen. Sie gab jetzt ihr Hausdebüt als Gräfin. Ganz fit dürfte sie nicht angetreten sein, etwas vorsichtig im Gesang, im Finale des „Dove sono“ musste sie auffallend stark forcieren. Im Spiel war sie sehr sympathisch, vielleicht eine Spur zu zurückhaltend.

Der leptosomische Figaro von Luca Pisaroni (Hausdebüt) entwickelte sich zu keinem intriganten Energiebündel. Stimmlich solide, für die Staatsoper etwas leise, fehlte mir bei ihm in Gesang und Spiel der herausfordernde, energische Zug. Heißt die Oper nicht „Die Hochzeit des Figaro"?

Die Susanna wurde von Sylvia Schwartz beherzt gespielt – aber ihr Sopran ist für die Staatsoper wohl zu klein und versteht sich nicht aufs seelenvolle Aufblühen. Insgesamt scheinen mir für die Susanna ihre stimmlichen Ressourcen doch ein wenig schmal. Da hat sich schon eher die Barbarina der Daniela Fally als Susanna angeboten.

Beim Cherubino der Anna Bonitatibus durfte man nicht an Vorbilder denken. Hat man hier doch noch eine Angelika Kirchschlager und eine Elina Garanca im Ohr. Das spezielle Fluidum erotischer Schwärmerei wurde von ihrem soliden Gesang und Spiel kaum vermittelt. (Ihr Kostüm war außerdem unvorteilhaft.)

Die Marcelline (Donna Ellen) hat man schon prägnanter und bissiger gehört, ihre Arie im vierten Akt wurde allerdings gestrichen – genauso wie jene des Basilio. So fand auch Benjamin Bruns, der jüngst im „Billy Budd“ sehr positiv aufgefallen ist, nur wenige Möglichkeiten, sich deutlich zu profilieren. Warum man die beiden Arien gestrichen hat, ist nicht nachvollziehbar. Man hätte sie zumindest in der Premierenserie bringen können – und dann nach Bedarf. Sorin Coliban war ein passender Bartolo, Marcus Pelz ein ebensolcher Antonio und Benedikt Kobel brachte den stotternden Don Curzio gut heraus.

Das Regieteam wurde ausgebuht, Bravorufer fanden sich deutlich weniger. Der Proteststurm hielt sich aber in Grenzen. Vereinzelte Buhrufe für Mitwirkende und den Dirigenten soll es auch gegeben haben, wobei ich von meinem Galerieplatz aus nur eine Missfallensbezeugung für Welser-Möst bestätigen kann. Der Applaus dauerte knapp 10 Minuten.