LE NOZZE DI FIGARO

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Theater an der Wien
Premiere
1. August 2007

Dirigent: Graeme Jenkins

Inszenierung: Kasper Bech Holten
Bühne: Steffen Aarfing
Kostüme: Marie i Dali
Licht: Jesper Kongshaug

Arnold Schönberg Chor
Radio-Symphonieorchester Wien

Koproduktion mit der Königlichen Oper Kopenhagen

Graf Almaviva - Christopher Maltman
Die Gräfin -
Andrea Rost
Susanna - Elizabeth Futral
Cherubino - Anna Bonitatibus
Figaro -
Johan Reuter
Marcellina - Graciela Araya
Bartolo - Bjarni Thor Kristinsson
Basilio - Anthony Mee
Antonio, Gärtner - Steffen Rössler
Barbarina, seine Tochter - Anja-Nina Bahrmann


Ein Wintermärchen ...?
(Dominik Troger)

Der mächtige Baumstamm in der Mitte eines barocken Mauerwerks, das erste Verfallsspuren aufweist, ist eine Platane – keine Esche. Botanisch versierte Opernbesucher haben das gleich erkannt. Insofern war nach Öffnen des Vorhangs die Sorge unbegründet, man könnte einen „Figaro“ gegen eine „Walküre“ eingetauscht haben. Obwohl, ganz so sicher...

Denn die Behäbigkeit mit der sich der Wagner’sche Geschlechterkampf langsam zum hymnisch ausformulierten Inzest aufbaut, ist in kleineren Mengen auf Mozarts und da Pontes „Liebesreigen“ übergeschwappt: die Komödie wird mit Ibsen’schen und Strindberg’schen Farben überpinselt, die mediterrane Erotik in einige Eiszapfen gebannt, die plastikglitzernd im Bühnengeäste hängen. Zugegeben, die Eiszapfen waren zwar sichtbar, aber doch auch verschämt in ihrem Funkeln, das melancholische Schneetreiben zum Briefduett zwischen Gräfin und Susanna blieb eine singuläre Wetterkapriole, die emotionale Kälte der Beziehungshölle schlug einem mit ihren Klauen nicht dermaßen in die Knochen, dass man sich als Zuschauer nach einem Wintermantel umgesehen hätte ...

Immerhin ließ der dänische Regisseur Kaspar Bech Holten prinzipiell Hoffnung gelten: neben der „Hölle“ wie er schreibt, soll auch der „Himmel“ sichtbar bleiben. Dass ihm zum „Figaro“ allerdings vermeintliche Quotenbringer wie „Big Brother“ eingefallen sind, Menschen als „Versuchsobjekte eines sozialen und erotischen Experiments“... nun ja. Holten: „Diese Art von Experiment führen wir durch – zehn Menschen werden in einen Raum gesperrt, aus welchem es kein Entrinnen gibt. Dieser Raum stellt ihre ganze Welt, ihr ganzes Leben dar. Sie stammen alle aus der Einsamkeit, treten sehr zufällig ins Leben der anderen ein und geben sich so größte Mühe, das Beste daraus zu machen.“ (Quelle: Programmheft zur Aufführung)

Dabei dachte man zuerst vor allem an eine mit Zynismen gespickte Komödie innerhalb der „Seitenblickegesellschaft“, mit foto-blitzlichterndem Paparazzi-Chor statt untertänig-leibeigenem Landvolk und einem sozial „unerwachsenen“ Grafen, der sich einen „Fussballklub“ leistet und mit seinem Personal schläft. Ein Zwischenvorhang, der zur Ouvertüre das überdimensionale Cover eines Gesellschaftsmagazins zeigte („Magic Soccer Talent Cherubino to Dynamo Kiew!“), versprach mehr, als in Folge gehalten wurde. Die Ansätze zur absurd-groteskten Abrechnung wurden von den Mühen der „Beziehungsgewinnung“ ausgebremst, der vierte Akt begann mit fein säuberlich getrennt gruppierten Männlein und Weiblein – die einen Bier bechernd, die anderen sektflötend – wie schwierig ist es doch, zueinander zu finden.

Persönlich hätte ich mir gewünscht, diese Beziehungskisten wären durchwegs mit der Leichtigkeit jener Umzungskartons manövriert worden, mit der im ersten Akt Cherubino und der Graf ihr Versteckspiel trieben. Denn die Produktion belebten viele gute Ideen, um das Feuerwerk einer südländisch angehauchten Sommerkomödie abzubrennen, verbunden mit nachtwindgeschwängertem, erotischem Verwirrspiel unter den schlanken Silhouetten mondversilberter Pinien. Aber wie hat Kaspar Bech Holten seinen Beitrag im Programmheft überschrieben? „Ein Wintermärchen“... Am Schluss blieb der Graf allein zurück in seinem „Big Brother“-Gehege – dem Einheitsbühnenbild von Akt 1 bis 4 – während die übrigen Protagonisten, nach gut drei Stunden gemeinsamer Bühnenöffentlichkeit, erfreut das Weite suchten. So ganz gekittet schien sein Verhältnis zur Gräfin nicht. Bedarf er noch einer kleinen Nachdenkpause ...?

Es scheint derzeit Mode zu sein, die „ernsten Seiten“ des „Figaro“ zu betonen, Holten fand für meinen Geschmack einen akzeptablen Mittelweg, der einige Male sogar bestechende Szenen zu Tage förderte, in denen sich Heiterkeit und Ernst mit bissiger Ironie die Waage hielten (etwa im Vergleich zu der in Langeweile erstarrenden Produktion von Claus Guth bei den vorjährigen Salzburger Festspielen). Doch der gebremste erotische Spielwitz auf der Bühne wird auch in den Persönlichkeiten der SängerInnen veranlagt gewesen sein. Den Stimmen fehlte fast durchwegs jener Zug ins Sinnliche, der Leidenschaft mit Koketterie verbindet und neben der „Liebe“ auch um die „Lust“ weiß. Da taten sich eigentlich nur Cherubino (Anna Bonitatibus) und Barbarina (Anja-Nina Bahrmann) hervor, beide mit hübschem, angenehm gerundetem Timbre, und lockerer Spielfreudigkeit. Für Susanna (Elizabeth Futral) wäre das gerade recht gewesen, um als quirliges Kammermädchen effektvolle Intrigen zu spinnen – aber bei ihr fand man in Spiel und Ton schon jenen leidenden und erwachsen-misstrauischen Zug quälender Liebesansprüche, der nicht so recht zum gewohnten Susanna-Bild zu passen schien. Johan Reuter gab den Figaro etwas steif, mit einer von Zweifel und Zorn genährten Umtriebigkeit, die wenig Komödiantisches an sich hatte. Sein Stimmcharakter ist weder schmelzumflort noch von besonderem Farbenreichtum gekennzeichnet – ebensowenig wie jener des Grafen (Christopher Maltman). Beide besitzen ein mehr kerniges, nüchtern klingendes Timbre, das sich an die harten Fakten hält. Insofern lockte der Graf auch nicht mit besonderen Verführungskünsten, sondern mit Macht und Geld. Die Gräfin (Andrea Rost) erschien ebenfalls als eine Gezeichnete, und leichte stimmliche Erosionserscheinungen konnte man auf die durch enttäuschte Liebe angegriffene Seele rechnen. Bartolo (Bjarni Thor Kristinsson), Marcellina (Graciela Araya) und Basilio (Anthony Mee) kamen zu „Arien-Ehren“. Zumindest dem Basilio wird seine Arie meist gestrichen – aber seine Lebenserfahrung von der „Eselshaut“, mit der er sich vor diversen Unglücksfällen schützt, war im Rahmen dieser Inszenierung sinnfällig ins Geschehen eingebunden und passte zum männlichen Polterabendpalaver.

Graeme Jenkins und das RSO Wien traten mehr als Sachverwalter auf, den raffinierten Witz und die Sinnlichkeit von Mozarts Musik hintanstellend. Das Klangbild war trocken, aber nicht spröde. Jenkins schien zudem darauf bedacht, Brüche deutlicher herauszustreichen als mit flüssigem Vortrag die „unreflektierte Verführungskraft“ der musikalischen Linie zu betonen.

Die Modernisierungen in den deutschen Übertiteln wie „Song“, „Chef“ etc. fand ich wenig sinnvoll. Die Verlegung der Handlungszeit führt naturgemäß zu Widersprüchen mit dem Libretto. Versuche, diese punktuell auszugleichen, verstärken nur die Diskrepanz. Das Publikum reagierte am Schluss ohne Unwillen und spendete reichlichen, aber nicht allzulangen Beifall, mit vielen Bravorufen für die Mitwirkenden. Der Abend endete gegen 22.45 Uhr.

Fazit: Wiener Opernbesucher sind in den letzten Jahren immer wieder mit musikalisch vorzüglichen „Figaro“-Aufführungen verwöhnt worden, diebezüglich kommt dieser Produktion bestenfalls zweitrangige Bedeutung zu. Die Inszenierung ist nicht uninteressant und bildet zu den laufenden Produktionen an Staats- und Volksoper einen die Materie vertiefenden Gegensatz. An den Erfolg der „Don Giovanni“-Produktion unter Keith Warners Regie, mit der das Theater an der Wien im August 2006 den Wiener Opernsommer belebt hat, kann dieser „Figaro“ nicht anschließen –- weder musikalisch noch szenisch.