LE NOZZE DI FIGARO

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Wiener Staatsoper
Musikalische Neueinstudierung
6.11.2003

Dirigent: Seiji Ozawa

Graf Almaviva - Boaz Daniel
Die Gräfin -
Ricarda Merbeth
Susanna - Dorothea Röschmann
Cherubino - Angelika Kirchschlager
Figaro -
Carlos Alvarez
Marcellina - Stella Grigorian
Doktor Bartolo - Janusz Monarcha
Basilio - Michael Roider
Don Curzio - Peter Jelosits
Antonio, Gärtner - Marcus Pelz
Barbarina, seine Tochter - Ileana Tonca


„M“ wie Missverständnis
(Dominik Troger)

„M“ wie „Mozart“ oder „M“ wie „Marketing“ oder „M“ wie „Missverständnis“? Natürlich wird der Musikdirektor der Wiener Staatsoper es als besondere, auch persönliche Herausforderung sehen, an diesem Haus Mozart zu dirigieren, aber es sollte keine Herausforderung für das Publikum daraus werden, ihm zuzuhören.

Warum sich Seiji Ozawa jetzt nach „Cosi“ und „Don Giovanni“ auch des „Figaro“ angenommen hat, wird neben dieser persönlichen Herausforderung vor allem auch mit dem herannahenden „Mozart-Jahr“ zu tun haben, dass schon jetzt alle kulturpolitischen und künstlerischen Anstrengungen auf sich zieht wie ein flammendes Leuchtfeuer die Blicke. Was kann der Staatsoper da Besseres passieren, als wenn sie mit Ozawa einen multinationalen Star am Pult hat, dem von Wien bis Tokio die Fans zujubeln – oder zumindest in Tokio?!

Diese Analyse mag ein wenig boshaft erscheinen, aber der Applaus nach diesem Figaro war nicht gerade „frenetisch“ und die künstlerische Ausbeute für eine musikalische Neueinstudierung wenig ansprechend. Nach diesem „Figaro“ ist es für mich umso mehr rätselhaft, warum Ozawa überhaupt Mozart dirigiert – wenn man die bereits genannten Motive unberücksichtig lässt. Es liegt auf der Hand, dass auch Dirigenten ihre Schwächen und Stärken haben, ihre Vorlieben und ihre „Herausforderungen“. Und was Ozawa und Mozart betrifft, da hat man nicht das Gefühl, dass die beiden einander viel zu sagen haben. Sie leben in einer Art Missverständnis nebeneinander her, und den fast krampfhaften Bemühungen Ozawas, dieses „Mozart“ habhaft zu werden, entzieht sich selbiger wie ein „Phantom“. Folgt man der Kette der Aufführungen, von der „Cosi" über den „Don Giovanni" hin zum „Figaro", dann wurde das Ergebnis von Mal zu Mal lähmender. Von Mozarts subtil in den Figaro verpackter Erotik, von dem flatterhaften, romantisch-übertünchten fast tänzelnden Vorwärtsschweben dieser Musik ist nicht viel mehr übrig geblieben als ein mühsames sich vorwärtskämpfen, als ein sich von Ensemble zu Ensemble retten – zwischen denen sich die langen Arien wie zusammenhanglose Wüsteneien zu für den Zuhörer quälenden musikalischen Durststrecken auswachsen.

Natürlich, es gab einige Umbesetzungen im Vorfeld, Figaro und Gräfin kamen der Produktion abhanden, aber das sind, in Anbetracht der verfolgbaren Entwicklungslinie von Ozawas Mozart-Bemühungen, vernachlässigbare Größen. Dazu kommt, dass Angelika Kirchschlager nicht ihren besten Tag hatte: aber die hörbaren Probleme gleich zu Beginn im „Non so più“ gehen wohl auch auf Ozawas Konto, der aus der drängenden pubertären Erotik des Cherubino eine nicht enden wollende Begräbnismusik machte. Ein Missverständnis eben?

Noch so ein Missverständnis war die Besetzung des Grafen mit Boaz Daniel. Die war aber von Haus aus geplant und ist insoferne auch der künstlerischen Leitung dieser Wiederaufnahme anzukreiden. Daniel ist vom Typus schwerlich ein „Graf" – und das zu erkennen beziehungsweise ihm dabei zu helfen, vielleicht doch einer zu werden, wäre wohl angebracht gewesen. Er hat den Grafen eingermaßen brav heruntergesungen und wirkte in der Darstellung mehr wie sein eigener (=des Grafen) Leib-Lakaie. Dabei zählt Daniel sicher zu den erfolgversprechendsten Nachwuchskräften des Hauses. Jedenfalls darf man von einer musikalischen Neueinstudierung des „Figaro“ an der Staatsoper schon erwarten, dass hier die Rollen auch dem Charakter nach treffend besetzt werden. Man wird nun auch nicht behaupten können, Ricarda Merbeth habe - dem Charakter nach – die ideale Gräfin verkörpert, aber sie ist kurzfristig eingesprungen. Merbeth machte ihre Sache technisch gut, blieb aber im Ausdruck blass wie meistens.

Figaro und Susanna konnten da weitaus mehr beeindrucken. Carlos Alvarez Figaro ist bekannt, hat südländischen Schwung und Charisma, lauter Eigenschaften, die man gerne für das Herrscherpaar ausgeliehen hätte. Dorothea Röschmann war in Spiel und Gesang eindrucksvoll – wobei neben dem emotional ausgefeilten musikalischen Ausdruck, vor allem auch ihr Mienenspiel und ihre Gestik eine Mozart‘sche Natürlichkeit auf die Bühne zauberten, die man sich viel, viel öfter wünschen würde. Gar nicht klagen musste man auch über das vielgestaltige weitere Personal, egal ob Marzellina, Barbarina und ihre männlichen Konsorten.

Die Wiederaufnahme der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle aus den 70er Jahren ist durchwegs zu begrüßen. Auch das Bühnenbild (vor allem dritter und vierter Akt) und die Kostüme genießt man in vollen Zügen.

Der Applaus hielt sich in Grenzen, freundlich für den Grafen, etwas freundlicher für die Gräfin, stark für Figaro, noch stärker für Susanna, auch durchwegs noch stark für Cherubino. Stark auch für Ozawa, aber nicht so stark wie für Susanna – und insgesamt kein Vergleich zu an diesem Haus schon gehörten Applaus-Volumina.