„Klamauk, Klamauk, Klamauk”
(Dominik Troger)
Die
Volksoper spielt wieder „Le nozze di Figaro“ – nein, nicht die erst vor
drei (!) Jahren wiederaufgenommene Inszenierung von Marco Arturo
Marelli, sondern eine von Aix-en-Provence nach Wien tansferierte
Produktion der derzeitigen Direktorin Lotte de Beer. Besucht wurde die
zweite Aufführung der Premierenserie.
Laut
Medienberichten wurde die Produktion aus Aix (Premiere 2021) überhaupt
nicht für die Volksoper mitgeplant. Das Bühnenbild wirkte in den
ersten beiden Akten auch so, als hätte man es mit aller Gewalt an die
schmälere Volksopernbühne angepasst. Sie sah an den Rändern wie
„abgeschnitten“ aus. Deshalb kommen auch, wie es heißt, die Logen und
die beiden Seitenblöcke auf der Galerie wegen „Sichteinschränkung“
nicht in den Verkauf. (1) Aber warum dann das ganze Prozedere, wenn
sich noch eine erst kürzlich gespielte Produktion im Fundus befinden
müsste?
Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli gab einen humorvollen
„Figaro“ klassischen Zuschnitts. Gesungen wurde in deutscher Sprache.
Die Neuproduktion von Lotte de Beer
stellt „Sex“ und „Macht“ in den Mittelpunkt, gesungen wird in
Italienisch. Beer predigt anhand des „Figaro“ die Utopie von
einer neuen sexuellen Befreiung im Rahmen einer, die
geschlechtsspezifischen Unterschiede ausgleichenden Gesellschaft – und
torpediert ihr eigentliches Anliegen mit viel zu viel vordergründigem
Klamauk.
Die „hochgewachsene“ Waschmaschine, die in den ersten beiden Akten
mittig die Bühne beherrschte, stellte gleich einen wesentlichen Punkt
der Inszenierung in die „Auslage“: Susanna kommt vor lauter Hausarbeit
kaum zum Singen. Staubwedeln und Staubsaugen, Waschmaschine ausräumen,
Bügeln, die Gräfin bei mehreren Selbstmordversuchen retten – seufz –
das ist eine Herausforderung.
Rechts und links an die Waschmaschine schlossen sich je ein Zimmer an –
ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Der lustsuchende Graf war mal da
und mal dort zu sehen, mal mit Barbarina, mal ohne, und natürlich
Cherubino entdeckend. Diesen Cherubino verschlug es nicht nur in (!)
die Waschmaschine, seine überlange männliche Erregung dominierte
minutenlang den zweiten Akt. Der Einfall, diese mit einem heißen
Bügeleisen „abzukühlen“, war allerdings barbarisch. Vom unermüdlichen
Selbstmordwahn der Gräfin war schon die Rede – und man könnte jetzt
szenisch vom Hundertsten ins Tausende abschweifen.
Auffallend war der szenische Bruch zum dritten und vierten Akt: die
Bühne hatte sich bis auf einen abstrakten Glaskubus geleert, der
womöglich die beengte Gefühlswelt der Gräfin symbolisieren sollte. Das
nächtliche Verwirrspiel im vierten Akt fand zwischen großen aus
rotstrahlenden Neonröhren gebildeten Worten statt: irgendetwas mit
„love“ und so. Große „Flower-Power-Blüten“ und allerhand Erotomaninnen
und Erotomanen belebten das Geschehen – die ganze gräfliche
Gefolgschaft im Sexrausch (wodurch es noch schwieriger wurde der
Handlung zu folgen).
Und das ist zugleich der große Vorwurf, den man der Regisseurin machen
muss – egal ob man ihren „Slapstick-Humor“ goutiert oder für
geschmacklos hält: Sie hat es nicht geschafft, den Handlungsfaden klar
und deutlich abzurollen. Die Hauptfiguren werden oft genug zu
Nebendarstellern oder verzetteln sich in Gags. Es regiert eine
Überfülle an Ideen, die Mozart und da Ponte die Pointen stehlen.
Außerdem kippt die Produktion nach der Pause immer stärker ins
ideologische Fahrwasser. Diversität um jeden Preis ist die Devise, so
wie wenn Frauen in Kostümen mit angenähtem Zumpferl die Welt retten
könnten. Und aus feministischer Attitüde wird der Graf im Finale in der
Unterhose vorgeführt und darf dermaßen „demaskiert“ der Gräfin Abbitte
für seine Verfehlungen leisten.
Jeder Akt war zudem einer Figur gewidmet, aus deren Blickwinkel die
Handlung angeblich erzählt wurde: der Graf, Susanna, die Gräfin,
Marcellina und Barbarina. Diese Absicht wurde dem Publikum beim
Aktbeginn optisch angezeigt, war aber szenisch nicht wirklich zu
durchschauen. Laut Interview im Programmheft hat die Regisseurin damit
bestimmte Formen des Theaters gekoppelt: der Graf als Sitcom, Susanna
in einer Brechtschen Groteske, die Gräfin umgeben von Nihilismus, der
vierte Akt als feministische Utopie. Die dramaturgische
Geschlossenheit des „Figaro“ wurde dadurch nicht gefördert.
Verstärkt wurde der negative Eindruck durch die musikalische Leitung. Omer Meir Wellber
leitete und begleitete am Hammerklavier und „bereicherte“ so manches
Rezitativ um sekundenkurze „Miniatur-Konzerte“, die stilistisch nicht
zu Mozarts Musik und dem von den Figuren angesprochenen Gefühlsspektrum
passten. Außerdem war das Klavier zu laut und beanspruchte ein
Solistentum für sich, wo es nur hätte Begleitung sein sollen. Dabei war
die Ouvertüre noch recht schmuck erklungen, die Streicher mit
blankgeputztem Esprit, das Orchester mit einer gut angetragenen,
flotten Schlussteigerung. Doch später ließ Wellber den Sängerinnen und
Sängern genauso wie die Inszenierung kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Als
er sich beim „Dove sono“ zurücknahm und man endlich in all dem Klamauk
auch feinere Emotionen spürte, wurde dieser Eindruck durch rüde
Schlusstakte wieder zerstört. Zu umfassender Wirkung kam nur die
Rosenarie, die auch seitens der musikalischen Leitung poetisch
ausschwingen durfte.
Die Sängerinnen und Sänger, dermaßen in einen Schraubstock zwischen
Szene und musikalischer Leitung eingespannt, hinterließen durchwegs
keinen begeisternden Eindruck. Die Gräfin (Matilda Sterby) und die Susanna (Lauren Urquhart)
nützten die ihnen zugestandene „Arien-Chance“ am besten: Sterby mit
etwas festem, nüchternem Sopran, Urquhart mit zarter Lyrik. Der Figaro
von Michael Arivony wirkte auf
mich weder gesanglich noch darstellerisch als großer „Strippenzieher“,
aber das gilt genauso für die erotischen Umtriebe des Grafen von Daniel Schmutzhard,
der sich bei seiner Arie im dritten Akt noch dazu regiebedingt und
sinnbefreit mit einem Requisit aus den ersten beiden Akten
herumschlagen musste: eine Anzeigeleiste, auf der „Applause“
aufleuchtete, um dem Publikum Beifall zu befehlen. (Es gab dazu noch
ein Gegenstück mit „Laughter“.)
Ulrike Steinsky sang die
Marcellina mit schon etwas fragilem Sopran, die Arie hatte man nicht
(wie meist) gestrichen. Sie sang sie im Kreis von Barbarina
(rollendeckend Mira Alkhovik) und Freundinnen, die dazu strickten. Cherubino wurde von Annelie Sophie Müller
mit der nötigen Keckheit versehen. Gesanglich hätte man sich auch hier
mehr stimmliches Bouquet gewünscht, mehr Ausdruck, mehr ungestüme
Raffinesse. In den Arien und Rezitativen dieser Oper steckt so viel an
Detail, funkelt soviel an pointierter Beredsamkeit, die geweckt werden
möchten – aber diesbezüglich wurde interpretatorisch nur an der
Oberfläche gekratzt. Timothy Fallon
(Basilio) ist nach meinem Eindruck eigentlich kein Charaktertenor. Er sang auch
den Notar – und dessen überlanges Stottern bewies, wie sich diese
Inszenierung in maßloser Übertreibung verfangen hat. An Stefan Cerny,
bereits Bartolo in der Marelli-Inszenierung, konnte man ablesen, wie
der Charakter der Figuren von dieser Neuproduktion ausgehöhlt wurde.
Im vierten Akt wuchs aus dem Glaskubus der Gräfin ein seltsamer
wurstelartiger Riesenbaum, vielleicht ein vielgliedriger
Multifunktionspenis zur geschlechtsneutralen Selbstbefruchtung?!
Stramme männliche Zeugungsorgane trippelten dann und wann über die Bühne
und sahen so possierlich aus, dass man sie hätte knuddeln mögen – oder
auch nicht. Der Schlussapplaus nach flott abgespulten drei Stunden und
zwanzig Minuten (inklusive Pause) lag bei gefühlten fünf Minuten und
wirkte zufrieden.
(1) Siehe z. B. Online-„Standard“ vom 25.5.2025,
https://www.derstandard.at/story/3000000271353/volksopern-figaro-als-durcheinander-der-erektionen [31.5.2025]
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