LE NOZZE DI FIGARO

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Mozart-Portal

Volksoper
30.5. 2025

Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber

Regie: Lotte de Beer
Bühnenbild: Rae Smith
Co-Designer: William Fricker
Kostüme: Jorine van Beek
Licht: Alex Brok
Choreinstudieurng: Roger Diaz-Cajamarca

Conte di Almaviva - Daniel Schmutzhard
Contessa di Almaviva - Matilda Sterby
Susanna - Lauren Urquhart
Figaro - Michael Arivony
Cherubino - Annelie Sophie Müller
Don Bartolo - Stefan Cerny
Don Basilio / Don Curzio - Timothy Fallon
Barbarina - Mira Alkhovik
Marcellina - Ulrike Steinsky
Antonio - Daniel Ohlenschläger


„Klamauk, Klamauk, Klamauk

(Dominik Troger)

Die Volksoper spielt wieder „Le nozze di Figaro“ – nein, nicht die erst vor drei (!) Jahren wiederaufgenommene Inszenierung von Marco Arturo Marelli, sondern eine von Aix-en-Provence nach Wien tansferierte Produktion der derzeitigen Direktorin Lotte de Beer. Besucht wurde die zweite Aufführung der Premierenserie.

Laut Medienberichten wurde die Produktion aus Aix (Premiere 2021) überhaupt nicht für die Volksoper mitgeplant. Das Bühnenbild wirkte in den ersten beiden Akten auch so, als hätte man es mit aller Gewalt an die schmälere Volksopernbühne angepasst. Sie sah an den Rändern wie „abgeschnitten“ aus. Deshalb kommen auch, wie es heißt, die Logen und die beiden Seitenblöcke auf der Galerie wegen „Sichteinschränkung“ nicht in den Verkauf. (1) Aber warum dann das ganze Prozedere, wenn sich noch eine erst kürzlich gespielte Produktion im Fundus befinden müsste?  

Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli gab einen humorvollen „Figaro“ klassischen Zuschnitts. Gesungen wurde in deutscher Sprache. Die Neuproduktion von Lotte de Beer stellt „Sex“ und „Macht“ in den Mittelpunkt, gesungen wird in Italienisch. Beer predigt  anhand des „Figaro“ die Utopie von einer neuen sexuellen Befreiung im Rahmen einer, die geschlechtsspezifischen Unterschiede ausgleichenden Gesellschaft – und torpediert ihr eigentliches Anliegen mit viel zu viel vordergründigem Klamauk.

Die „hochgewachsene“ Waschmaschine, die in den ersten beiden Akten mittig die Bühne beherrschte, stellte gleich einen wesentlichen Punkt der Inszenierung in die „Auslage“: Susanna kommt vor lauter Hausarbeit kaum zum Singen. Staubwedeln und Staubsaugen, Waschmaschine ausräumen, Bügeln, die Gräfin bei mehreren Selbstmordversuchen retten – seufz – das ist eine Herausforderung.

Rechts und links an die Waschmaschine schlossen sich je ein Zimmer an – ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Der lustsuchende Graf war mal da und mal dort zu sehen, mal mit Barbarina, mal ohne, und natürlich Cherubino entdeckend. Diesen Cherubino verschlug es nicht nur in (!) die Waschmaschine, seine überlange männliche Erregung dominierte minutenlang den zweiten Akt. Der Einfall, diese mit einem heißen Bügeleisen „abzukühlen“, war allerdings barbarisch. Vom unermüdlichen Selbstmordwahn der Gräfin war schon die Rede – und man könnte jetzt szenisch vom Hundertsten ins Tausende abschweifen.

Auffallend war der szenische Bruch zum dritten und vierten Akt: die Bühne hatte sich bis auf einen abstrakten Glaskubus geleert, der womöglich die beengte Gefühlswelt der Gräfin symbolisieren sollte. Das nächtliche Verwirrspiel im vierten Akt fand zwischen großen aus rotstrahlenden Neonröhren gebildeten Worten statt: irgendetwas mit „love“ und so. Große „Flower-Power-Blüten“ und allerhand Erotomaninnen und Erotomanen belebten das Geschehen – die ganze gräfliche Gefolgschaft im Sexrausch (wodurch es noch schwieriger wurde der Handlung zu folgen).

Und das ist zugleich der große Vorwurf, den man der Regisseurin machen muss – egal ob man ihren „Slapstick-Humor“ goutiert oder für geschmacklos hält: Sie hat es nicht geschafft, den Handlungsfaden klar und deutlich abzurollen. Die Hauptfiguren werden oft genug zu Nebendarstellern oder verzetteln sich in Gags. Es regiert eine Überfülle an Ideen, die Mozart und da Ponte die Pointen stehlen. Außerdem kippt die Produktion nach der Pause immer stärker ins ideologische Fahrwasser. Diversität um jeden Preis ist die Devise, so wie wenn Frauen in Kostümen mit angenähtem Zumpferl die Welt retten könnten. Und aus feministischer Attitüde wird der Graf im Finale in der Unterhose vorgeführt und darf dermaßen „demaskiert“ der Gräfin Abbitte für seine Verfehlungen leisten.

Jeder Akt war zudem einer Figur gewidmet, aus deren Blickwinkel die Handlung angeblich erzählt wurde: der Graf, Susanna, die Gräfin, Marcellina und Barbarina. Diese Absicht wurde dem Publikum beim Aktbeginn optisch angezeigt, war aber szenisch nicht wirklich zu durchschauen. Laut Interview im Programmheft hat die Regisseurin damit bestimmte Formen des Theaters gekoppelt: der Graf als Sitcom, Susanna in einer Brechtschen Groteske, die Gräfin umgeben von Nihilismus, der vierte Akt als feministische Utopie. Die   dramaturgische Geschlossenheit des „Figaro“ wurde dadurch nicht gefördert.

Verstärkt wurde der negative Eindruck durch die musikalische Leitung. Omer Meir Wellber leitete und begleitete am Hammerklavier und „bereicherte“ so manches Rezitativ um sekundenkurze „Miniatur-Konzerte“, die stilistisch nicht zu Mozarts Musik und dem von den Figuren angesprochenen Gefühlsspektrum passten. Außerdem war das Klavier zu laut und beanspruchte ein Solistentum für sich, wo es nur hätte Begleitung sein sollen. Dabei war die Ouvertüre noch recht schmuck erklungen, die Streicher mit blankgeputztem Esprit, das Orchester mit einer gut angetragenen, flotten Schlussteigerung. Doch später ließ Wellber den Sängerinnen und Sängern genauso wie die Inszenierung kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Als er sich beim „Dove sono“ zurücknahm und man endlich in all dem Klamauk auch feinere Emotionen spürte, wurde dieser Eindruck durch rüde Schlusstakte wieder zerstört. Zu umfassender Wirkung kam nur die Rosenarie, die auch seitens der musikalischen Leitung poetisch ausschwingen durfte.

Die Sängerinnen und Sänger, dermaßen in einen Schraubstock zwischen Szene und musikalischer Leitung eingespannt, hinterließen durchwegs keinen begeisternden Eindruck. Die Gräfin (Matilda Sterby) und die Susanna (Lauren Urquhart) nützten die ihnen zugestandene „Arien-Chance“ am besten: Sterby mit etwas festem, nüchternem Sopran, Urquhart mit zarter Lyrik. Der Figaro von Michael Arivony wirkte auf mich weder gesanglich noch darstellerisch als großer „Strippenzieher“, aber das gilt genauso für die erotischen Umtriebe des Grafen von Daniel Schmutzhard, der sich bei seiner Arie im dritten Akt noch dazu regiebedingt und sinnbefreit mit einem Requisit aus den ersten beiden Akten herumschlagen musste: eine Anzeigeleiste, auf der „Applause“ aufleuchtete, um dem Publikum Beifall zu befehlen. (Es gab dazu noch ein Gegenstück mit „Laughter“.)  

Ulrike Steinsky sang die Marcellina mit schon etwas fragilem Sopran, die Arie hatte man nicht (wie meist) gestrichen. Sie sang sie im Kreis von Barbarina (rollendeckend Mira Alkhovik) und Freundinnen, die dazu strickten. Cherubino wurde von Annelie Sophie Müller mit der nötigen Keckheit versehen. Gesanglich hätte man sich auch hier mehr stimmliches Bouquet gewünscht, mehr Ausdruck, mehr ungestüme Raffinesse. In den Arien und Rezitativen dieser Oper steckt so viel an Detail, funkelt soviel an pointierter Beredsamkeit, die geweckt werden möchten – aber diesbezüglich wurde interpretatorisch nur an der Oberfläche gekratzt. Timothy Fallon (Basilio) ist nach meinem Eindruck eigentlich kein Charaktertenor. Er sang auch den Notar – und dessen überlanges Stottern bewies, wie sich diese Inszenierung in maßloser Übertreibung verfangen hat. An Stefan Cerny, bereits Bartolo in der Marelli-Inszenierung, konnte man ablesen, wie der Charakter der Figuren von dieser Neuproduktion ausgehöhlt wurde.

Im vierten Akt wuchs aus dem Glaskubus der Gräfin ein seltsamer wurstelartiger Riesenbaum, vielleicht ein vielgliedriger Multifunktionspenis zur geschlechtsneutralen Selbstbefruchtung?! Stramme männliche Zeugungsorgane trippelten dann und wann über die Bühne und sahen so possierlich aus, dass man sie hätte knuddeln mögen – oder auch nicht. Der Schlussapplaus nach flott abgespulten drei Stunden und zwanzig Minuten (inklusive Pause) lag bei gefühlten fünf Minuten und wirkte zufrieden.

(1) Siehe z. B. Online-„Standard“ vom 25.5.2025,
https://www.derstandard.at/story/3000000271353/volksopern-figaro-als-durcheinander-der-erektionen [31.5.2025]