LE NOZZE DI FIGARO

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Staatsoper
11. März 2023
Premiere



Musikalische Leitung: Philippe Jordan

Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Rufus Didwiszus
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Franck Evin
Bühnenbildassistenz: Jan Freese

Conte di Almaviva - Andrè Schuen
Contessa di Almaviva - Hanna-Elisabeth Müller
Susanna - Ying Fang (Spiel) / Maria Nazarova (Gesang)
Figaro - Peter Kellner
Cherubino - Patricia Nolz
Don Bartolo - Stefan Cerny
Don Basilio - Josh Lovell
Don Curzio - Andrea Giovannini

Barbarina - Johanna Wallroth
Marcellina - Stephanie Houtzeel
Antonio -
Wolfgang Bankl


„Oper, Operette, Netflix-Saga?

(Dominik Troger)

Der neue Staatsopern-„Figaro” bewegt sich szenisch „genrefluid” im „hollywoodesken” Neobarock des Bühnenbildes und outriert slapstickhaft Mozarts delikate Erotik, abgeschmeckt mit zeitgeistiger MeToo-Relevanz, zu einer insgesamt doch eher seichten Gesellschaftskomödie.

Die Premiere begann mit einer Ansage. Ying Fang konnte wegen einer akuten gesundheitlichen Beeinträchtigung die Susanna nicht singen, sondern nur szenisch darstellen, und Maria Nazarova lieh ihr aus dem Orchestergraben ihren Sopran. Akustisch war dieses Arrangement zwar nicht ideal, aber Maria Nazarova rettete die Vorstellung und Ying Fang durch ihren selbstlosen Einsatz der Aufführung die sehr gut durchgearbeitete Personenregie.

Denn Barrie Kosky hat das Ensemble „durchgeknetet”, die Gags reihten sich mit so einer Selbstverständlichkeit aneinander, als ob man die Zuschauer dazu zwingen wollte, alles lustig zu finden, was auf der Bühne gezeigt wird. Aber bleiben wir gleich beim Positiven: Es gibt auf der Bühne keine schauspielernden „Doppelgänger” der Figuren, es gibt keine Live-Videos, es gibt keine verinszenierte Ouvertüre und die Handlung wurde auch nicht umgeschrieben. Der Graf ist nach dreieinhalb Stunden zerknirscht, die Gräfin verzeiht – zumindest für den Augenblick. (Und wie die Geschichte nach Baumarchais im dritten Teil einmal weitergehen wird, das haben Mozart und da Ponte bei der Abfassung ihres „Figaro“ bekanntlich noch gar nicht wissen können.)

Mit dem optischen Eindruck kann man sich arrangieren. Das Bühnenbild ist praktikabel, meterhohe Flügeltüren – im ersten Akt als riesiger, die Bühne abtrennender Raumteiler – bilden die Basis. Im zweiten Akt wird das schmucke Rokoko-Zimmer der Gräfin auf die Bühne geschoben (quasi als Theater auf dem Theater); im dritten Akt ist die Bühne mit barockbildlüsternen Tapeten ausgestattet. Der vierte Akt fällt dagegen etwas ab. Kosky hat den nächtlichen Garten unter einen mit dunklem Blattmustergrün ausgelegten Bühnenboden verlegt, aus dem durch Bodenklappen die Sängerinnen und Sänger auf- und abtreten wie „Maulwürfe”. Wenn dadurch eine parodistische Note des nächtlichen Verwirrspiels erreicht werden sollte, dann ist die Rechnung nicht aufgegangen.

Das Ensemble wurde in „Vintage-Mode“ gesteckt, ein 1970er-Jahre-Flair sorgte für eine publikumsfreundliche historische Distanzierung. Wobei der dottergelbe Morgenmantel der Gräfin mit dem üppigen Federbesatz am Saum vor allem ins Auge stach wie ein frisch aus dem Ei gepelltes Kücken. Der Graf zeigte ein Faible für Samtanzüge, aber als einfältiger Haute Couturist kenne ich mich damit nicht so aus. Farblich war das gut abgestimmt, und bei der szenischen Tristesse, die die Staatsoper in den letzten Jahren dem Publikum zugemutet hat (man denke nur an die „künstlerische“ Vermüllung des „Tristan“), atmete man darob richtig auf.

Dass bei soviel komödiantischer Verwirrung nicht ganz klar herauskam, wer in diesem Stück wirklich das Sagen hat, ist schade. Der Graf gebärdet sich als selbstverliebter Waschlappen, den man schwer ernst nehmen kann. Er macht eine lächerliche Figur, wenn er sich während seiner großen Arie auf den Boden schmeißt, wenn er Blütenblätter abzupft oder mit Blumen wirft. Ihm fehlt die Autorität, an der sich ein Figaro reiben könnte – und Figaro selbst, so ganz ohne „revolutionärem” Anstrich, wie soll er dem Grafen gefährlich werden? Der Chor trägt seltsame Kostüme und entpuppt sich erst im dritten Akt als Heer von Bediensteten. Hatte Barrie Kosky ursprünglich vielleicht vor, aus dem „Figaro” eine fetzige „Berliner Revue” zu machen? Der Auftritt der leicht imbizilen Varietéssoldaten im Finale des ersten Aktes könnte darauf hindeuten.

Da und dort schlägt Koksy über die Stränge, vor allem, wenn er versucht, sich dem Zeitgeist „anzubiedern“. Der übergriffige Graf, der im zweiten Akt ganz desparat zu einer Vergewaltigung in der Ehe ansetzt, um sich dann vor allen Leuten despektierlich das Hosentürl zuzumachen, ist degoutant – oder die entbehrliche MeToo-Einlage vor dem vierten Akt: Barbarina wird unter eifrigen „Barbarina”-Rufen von triebgesteuerten männlichen Ensemblemitgliedern gesucht, ehe sie mit gespreizten Beinen auf der Bühne sitzend um die Nadel trauern darf. Geschmacklos gestaltete sich die Verkleidungsszene des Cherubino im zweiten Akt, bei dem er sogar seine (schwarze) Unterhose ausziehen muss. Aber Humor hat, wer trotzdem lacht.

Musikalisch bewegte sich die Premiere auf ansprechendem Niveau, ohne dass man ausreichend Anlass gehabt hätte, in Verzückung zu verfallen. Musikalische Weinbeißer würden dem Premierenabend keine Goldmedaille verleihen. Dass Maria Nazarova als Last-Minute-Einspringerin für ihre hübsch vorgetragene Rosenarie den längsten Szenenapplaus einheimste, sagt viel über den grundsoliden musikalischen Stellenwert dieser Neuproduktion aus – und über das fehlenden Potential der Mitwirkenden spontan-stürmischen Beifall anzuregen. Es fehlte insgesamt ein wenig an den „gestandenen” Bühnenpersönlichkeiten. Das Ensemble umgab eine sängerische Bravheit, die gegenüber Mozarts musikalischer Erotik und Hintergründigkeit noch etwas naiv wirkte. Diesbezüglich hatte ich mein „Aha“-Erlebnis im zweiten Akt, als Wolfgang Bankl den Gärtner Antonio mit hemdsärmeliger Theaterpranke auf die Bühne wuchtete. Der packte das Publikum mit seiner Bühnenpräsenz gleich am Schopf, aber ein Gärtner oder ein Basilio (Stefan Cerny) oder eine Marcelline (Stephanie Houtzeel) machen noch keinen „Figaro“.

Die Susanna der Ying Fang mit etwas filigranem Spielwitz wäre sicher noch als Zünglein auf der Waage durchgegangen, aber Peter Kellner hätte als Figaro gesanglich und im Spiel einen „sonoreren“ Nachdruck umtriebiger politischer „Usurpation“ gut vertragen, war ein zu sympathischer, wenn auch wendiger Intrigant. André Schuen müsste gegen diese regieverordnete Grafenfigur seinen schönen Bariton ein wenig mit selbstbewusstem eugen-oneginschem Dandytum aufmotzen. Das könnte die Figurenaufstellung wieder ins Lot bringen.

Die Gräfin der Hanna-Elisabeth Müller lebte als Gräfin eine melancholische Grundstimmung aus, die das Publikum anhand der Farbe ihrer Garderobe ablesen konnte: vom dottergelben Horizont ihres Liebebedürfnisses bis zur Trauerfarbe Schwarz im Finale. Die Gräfin lag ihr besser als die Donna Anna, in der gesanglichen Ausdifferenzierung emotionaler Schattierungen scheint ihr Sopran aber doch eher limitiert. Und der Cherubino von Patricia Nolz war gesanglich auch sehr „geradlinig“ unterwegs. Vielleicht eine Spur zu erwachsen gezeichnet sind diesem Cherubino die rosa Amorettenwangen schnell verblasst. Josh Lovell als Basilio (ohne Arie), Johanna Wallroth als jugendlicherwachsene Barbarina, Andrea Giovannini als asthmatischer Don Curzio sowie der spiel- und sangesfreudige Chor ergänzten, von der Regie sehr gut in den Gesamtablauf integriert, die Aufführung.

Am Pult und am Hammerklavier waltete Philippe Jordan. Sein „Don Giovanni“ hat mich mehr überzeugt. Der feinnervige, knisternde Eros von Mozarts „Figaro“-Musik wurde an diesem Abend nicht zum Leben erweckt. Es waltete mehr ein „Romantizismus“ vor, ein leicht angedunkelter Überhang des 19. Jahrhunderts, der der Musik ihre charmante Leichtigkeit entzog. Die Aufführung wurde von einem Teil des Publikums ausgiebig beklatscht, für Jordan gab es einen Blumenstrauß. Dass das Regieteam am Schluss einige Buhrufe einstecken musste, hat trotzdem nicht überrascht. Wurde nicht letzte Saison noch die legendäre „Figaro”-Inszenierung von einem gewissen Jean-Pierre Ponnelle gezeigt?