LE NOZZE DI FIGARO

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MuTh
4. Juli 2019


Dirigent: Ádám Medveczky

Regie: Máté Szabó
Bühnenbild: Csörsz Khell
Kostüme: Mari Benedek

Orchester und Chor des Nationaltheaters Györ
Chorleiterin: Eszter Balogh

Graf - Lajos Kendi
Gräfin - Beatrix Fodor
Susanna - Bori Keszei
Figaro - Bence Pataki
Cherubino - Viktória Mester
Bartolo - Tamás Busa
Marcellina - Mária Farkasréti
Basilio - Gergely Biri
Don Curzio - Zoltán Takács
Barbarina - Johanna Németh-Nagy
Antonio - Béla Laborfalvi Soós


„Figaro am Augartenspitz"
(Dominik Troger)

Das Armel Opera Festival war im MuTh zu Gast. Eine Koproduktion des Nationaltheaters Györ und von Co-Opera brachte „Le nozze di Figaro“ in den Konzertsaal der Wiener Sängerknaben am Augartenspitz.

Seit 2017 reist das Budapester Armel Opera Festival Anfang Juli für einen Kurzbesuch nach Wien. Heuer standen zwei Produktionen mit jeweils einer Aufführung auf dem Programm. Den Beginn machte Mozarts unverwüstlicher „Figaro“; am Tag darauf folgte eine auf Claudio Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ basierende Musiktheaterperformance „Away, no matter where“ (die von mir nicht besucht wurde).

Ungarische Operninteressenten wurden zum „Figaro“ wieder per Festival-Bus-Shuttle von Budapest nach Wien transferiert. Im gut gefüllten Saal des MuTh sprach man an diesem Abend Ungarisch. Der Anteil heimischer Opernenthusiasten war überschaubar. Die Vorstellung selbst fand in Originalsprache mit deutschen und ungarischen Übertiteln statt.

Im Jahr 2006 hat Keith Warner im Theater an der Wien Don Giovanni zum Hoteldirektor ernannt, und das hat gut funktioniert – und hier ist es ähnlich: Der Graf hat eine Winzerbetrieb aufgemacht. Die Handlung spielt in der Gegenwart. Der Graf wird zum Chef, die Dienstboten werden zu Betriebsmitarbeitern. Das „Jus primae noctis“ spielt unter solchen Voraussetzungen natürlich keine Rolle, die soziale Hierarchie wird nicht mehr durch das Adelsprädikat bestimmt.

Die Bühnenbildlösung von Mari Benedek basiert auf einem großen Holzverschlag (womöglich einer Weinkiste nachempfunden), der aufgeklappt das eigentliche Bühnenbild zeigt: beispielsweise Susannas Zimmer, die Wohnung der Winzergrafen, eine Gartenlaube mit antikisierenden „Steinvasen“ und üppigem Blattbehang (der sich auch mal ungeplant im Kleid der Gräfin verhakte). Mit Mozartperücken und roten Livreen ausstaffierte Bühnenarbeiter öffneten oder schlossen diesen „Verschlag“. Rechts und links am Bühnenrand fanden sich die jeweilige Szene ergänzende Elemente wie Pflanzen für den Garten.

Die Inszenierung von Máté Szabó war gut durchgearbeitet und mit Slapstick-Elementen angereichert. Die Personenführung bezog die Arien mit ein. Figaros Klimmzüge an der Vorhangstange zu seiner bekannten Kavatine waren humorvoll in die Musik integriert. (Zum Glück für alle Beteiligten hat es die Regie damit aber nicht übertrieben. Figaro stand hinter dem Vorhang und tat nur so als ob.) Konzeptionell bestimmte vor allem das ambivalente Verhältnis von Graf und Gräfin die Aufführung und bildete ihr tragendes Element. Susanna war ebenfalls stark konturiert, der Figaro etwas weniger, die nicht unwichtigen Nebenfiguren waren zumindest als Typen getroffen. Die Schauplätze waren erkennbar. Die Verwechslungskomödie des vierten Aktes war durch eindeutige Kostüme leicht nachzuvollziehen. Das Winzerambiente hat Szabó außerdem zu ein paar ironischen „Kommentaren“ verlockt, etwa wenn am Schluss des dritten Aktes die versammelte Gesellschaft mit önologischer Kompetenz den gräflichen Rotwein verkostet.

Dem vermeintlichen finalen „Happy End“ ist das Regieteam mit Skepsis begegnet. Es dürfte in der Verzeihung der Gräfin mehr eine „Konvention“ gesehen haben, die dem äußeren Anschein eines erfolgreichen Familienunternehmens geschuldet ist: Das Ensemble verschwindet in der „Wein-Box“, die wieder geschlossen wird, Gräfin und Graf bleiben zurück, gehen links und rechts davon alleine in den Hintergrund ab. Sie haben sich beim Schlussensemble („Ah, tutti contenti ...“) angeschwiegen anstatt mitzusingen – eine Beziehung in der Krise?!

Lajos Kendi sang den Winzergrafen. Er gab ihn als umtriebigen Mann des Weines, des Genusses und des Erfolges. Er wurde von ihm mit viel Energie und leichter Selbstironie trefflich gespielt. Kendi war ein Pluspunkt im Ensemble, weil er nicht nur darstellerisch sehr präsent war, sondern auch stimmlich gut „performte“. Sein mehr „funktioneller“ als „nobler“ Bariton verpasste diesem modernen Zeitgenossen, der flott zum Ziel kommen möchte, gedrängt vom rastlosen Sich-Selbst-Beweisen-Müssen „moderner Männer“, einen wirkungsvollen akustischen „Slim-Fit-Anzug“.

Der Sopran von Beatrix Fodor war für meinen Geschmack der Gräfin schon ein wenig entwachsen, sie geleitete ihn aber mit Stilgefühl über so manch gefährliche „Klippe“. Die Gräfin ist in dieser Inszenierung eine reifere Frau, die Ehe mit dem Grafen befindet sich in ihrer Midlife Crisis. Sie schwankt zwischen Erinnerung an vergangenes Liebesglück und einem neuen selbstbewussten Leben – insofern war Fodor mit ihrem karriereerfahrenen Sopran rollenadäquat besetzt.

Bori Keszei war in den 2000er-Jahren eine Zeitlang dem Staatsopernensemble angehörig, hat dann ihre Karriere wegen Familiengründung und Nachwuchs stark auf Ungarn fokussiert. Sie spielte eine darstellerisch überzeugende Susanna. Ihr Sopran entwickelte hingegen wenig Liebreiz, tönte oft auffällig flackernd aus den Ensembles. Bence Pataki, ein junger Bass aus Ungarn, gab einen zahmen Figaro, dessen Stimme und Bühnenpersönlichkeit sich noch „auswachsen“ werden.

Der Cherubino der Viktoria Mester war ihres mehr kantigen Mezzos wegen mehr mit vorwitziger Robustheit gesegnet und weniger mit erotischem Raffinement. Marzelline (Márie Farkasréti) und Don Bartolo (Tamás Busa) gingen mit etwas „abgearbeiteten“ Stimmen an ihre Partien heran, waren als Figuren jedoch passend besetzt. Gergely Biri mit einem ins Charakterfach weisenden Spieltenor musste als Don Basilio – ebenso wie Marcellina – auf seine Arie verzichten.

Das Orchester des Nationaltheaters Györ unter Àdám Medveczky fand zu einem anregenden, dem Werk dienlichen Spiel, ohne Tempoübertreibungen. Medveczky ist schließlich nach seinem Alter höheren „Semesters“, sein Mozart würzte nach bewährter Kapellmeistermanier ungekünstelt eine angenehme Abgeklärtheit mit dosiertem Humor. Der Chor des Nationaltheaters Györ steuerte mit Spielfreude seinen Anteil bei, nach meinem Eindruck nicht ganz das Niveau der Chöre erreichend, die man an Wiener Häusern zu hören bekommt (was im Übrigen auch für das Orchester gilt).

Die Aufführung dauerte von 19.30h bis ca. 22.45h. Das anwesende Publikum geizte am Schluss nicht mit Applaus.