LE NOZZE DI FIGARO

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Theater an der Wien
11. April 2015
Premiere


Dirigent: Marc Minkowski

Inszenierung: Felix Breisach
Bühne: Jens Kilian
Kostüme: Doris Maria Aigner
Licht: Alessandro Carletti

Orchester Les Musiciens du Louvre Grenoble
Chor Arnold Schoenberg Chor

Conte di Almaviva - Stéphane Degout
Contessa di Almaviva - Anett Fritsch
Susanna - Emöke Barath
Figaro - Alex Esposito
Cherubino - Ingeborg Gillebo
Bartolo - Peter Kalman
Don Curzio | Basilio - Sunnyboy Dladla
Barbarina - Gan-ya Ben-gur Akselrod
Marcellina - Helene Schneiderman
Antonio - Zoltán Nagy


„Misslungene Therapie“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien ist mit seinem neuen „Figaro“ szenisch schwer abgestürzt. Das Missfallensvotum des Publikums für das Regieteam fiel beim Schlussvorhang so einhellig aus wie selten. Musikalisch hatte der Abend einiges zu bieten, vor allem die Besetzung überzeugte.

Das Regieteam um Felix Breisach ist auf die Idee verfallen, Mozarts „Figaro“ als „Stück im Stück“ in einem Sanatorium anzusiedeln. Die psychisch angeschlagenen Patienten spielen die Oper im Rahmen eines therapeutischen Prozesses. Der Klinikchef, der die Therapie leitet, übernimmt dabei die Rolle des Grafen. Die Bühne zeigt eine typische Klinikumgebung, nur in der Mitte befindet sich ein kleines drehbares Zimmer mit psychotherapeutischem Sitzungsinterieur wie einer Couch und einem Lehnstuhl. Das Bühnenbild besteht aus zwei Ebenen, die mit einer seitlich angebrachten Wendeltreppe verbunden sind. Im ersten Bühnenstock stehen weitere Betten.

Die Personen der Handlung befinden sich fast immer auf der Bühne, sitzen oder liegen in den Betten, schauen vom Aufbau – wie von einer Galerie – dem Fortgang der Handlung zu oder mischen sich in das Geschehen, egal ob sie einen Auftritt haben oder nicht. „Professor“ Almaviva leitet die Therapie und zugleich die Aufführung wie ein Abendspielleiter, scheucht die Patienten aus den Betten „auf die Bühne“, verteilt Requisiten, zeigt Cherubino wo er sich verstecken soll. Allerdings gerät der gräfliche Sanatoriumsleiter immer mehr zwischen die Fronten und sieht sich bald einer Revolte seiner Patienten gegenübergestellt, die ihm die Klinik auf den Kopf stellen. Der zweite Akt endet im Chaos, Betten werden umgekippt, Kostümteile auf der Bühne verstreut. Das Chaos bleibt auch dem dritten Akt erhalten, in dem sich zunehmend eine Selbsthilfegruppe der Patienten installiert, die dann im vierten Akt in einer „Gruppentherapie“ mündet, die Almaviva „outet“. Dieser bittet um „Pardon“, aber die Gräfin stellt sich demonstrativ neben Cherubino. So weit der schwierige Versuch, die Handlung dieses neuen „Figaro“ einigermaßen auf den Punkt zu bringen.

Mag dieser Interpretationsansatz nicht uninteressant erscheinen, so birgt er eine große Gefahr in sich: Alle Mitwirkenden haben zwei Rollen zu spielen – die Patienten und die handelnden Personen des eigentlichen Stücks. Im besten Falle sollte sich für das Publikum eine Übereinstimmung einstellen. Das funktioniert bei den Nebenrollen besser, am besten beim Gärtner, der in dieser Produktion einfach in die Kluft eines Haustechnikers schlüpfte. Bei den komplexeren Charakteren wird es schwierig: Wie schafft es die Regie, dass sich Patientencharakter und Stückcharakter schlüssig verknüpfen? Wie wird verständlich, dass zum Beispiel die Figaro-Susanna zugleich als ein in klinischer Behandlung befindliches Missbrauchsopfer auf der Bühne steht, hinter der – in einer Person – Graf und Sanatoriumsleiter her sind?

Ganz schwierig wird es beim Grafen, der als Leiter der „Figaro“-Therapie natürlich über den Fortgang des Stücks genau Bescheid weiß – wodurch die da Pont’sche-Pointenlogik in Gefahr gerät und der gräfliche Therapeut schnell zwischen diesen beiden Rollen zerrieben wird. Und nicht einmal das erotische Verwechslungsspiel im vierten Akt wurde von der Regie genützt, sondern die Betten wurden zu einem Kreis zusammengeschoben und es wurde „Gruppentherapie“ gemacht. Die angesprochenen „Probleme“ summierten sich derart, das die Handlung der Mozartoper Szene für Szene immer mehr zerbröselte und die ganze dramaturgisch so fest und kunstvoll verdrahtete „Figaro“-Maschinerie schon vor der Pause wie ein Kartenhaus zusammenkrachte. Was übrig blieb, erschloss sich mir nur mehr vage in einem sinnvollen Zusammenhang.

Viel besser war es um die mitwirkenden Sängerinnen und Sänger bestellt, wobei es gegenüber der Spielplanvorschau zu einigen Umbesetzungen gekommen war. Anstelle von Mari Eriksmoen sang Emöke Barath die Susanna. Sie brachte die Arie im vierten Akt mit feingliedriger Poesie und lieblicher Reife zum Erblühen – was ihr zugleich den stärksten Szenenapplaus des Abends einbrachte. Ihr phasenweise sehr zart klingender Sopran rundete sich weich im Klang, und wurde von der Sängerin nuancenreich geführt. Barak zeichnete die Susanna als sehr junge, aufgeweckte Frau, eine Susanna, die vielleicht noch ein wenig an die Barbarina streift und doch schon viel mehr von den Schmerzen und Sehnsüchten der Liebe erfahren hat.

Anett Fritsch war für Christine Schäfer eingesprungen und sang eine überzeugende Gräfin, der konturenklare Sopran in der Klangfarbe kühl, wodurch sich die Gefühlswelt der Contessa distanziert zeigte. Diese Distanz war gegenüber dem Grafen/Therapeuten verständlicher Weise angebracht. Stefan Degout sang den Grafen mit virilem, angriffigem Bariton, wurde in Sachen Bühnenpräsenz aber von der missglückten Inszenierung ausgebremst und ein Opfer der Patientenrevolution. Dermaßen abmontiert blieb vom gräflichen Status nicht viel übrig.

Mit Alex Exposito schickte das Theater an der Wien sogar den Leporello von der letzten „Don Giovanni“-Premiere der Staatsoper ins Rennen. Exposito fügte sich mit erfrischendem Schwung und körnigem Bassbariton zu den vorigen. Der Cherubino von Ingeborg Gillebo (an Stelle der ursprünglich vorgesehenen Marianne Crebassa) war mir zu hart timbriert und zu wenig erotisch einfühlsam, aber laut Regie sollte Cherubino als „Rotzlöffel“ dargestellt werden, sublime Erotik verbot sich insofern von selbst.

Die Nebenrollen wie der schachspielende Basilio (Sunnyboy Dlada), die akkurate Marcellina (Helene Schneiderman), der Hundeillustrierte lesende Bartolo (Peter Kalmán) und die punkige Barbarina (Gan-ya Ben-Gur Akselrod) hinterließen einen guten Eindruck. Der Arnold Schönberg Chor wurde mit bestem Resultat ins Sanatorium geschickt

Mit den Les Musiciens du Louvre Grenoble unter Marc Minkowski konnte ich mich nicht anfreunden. Minkowski hätte etwas dezenter, akzentuierter, kammermusikalischer an die Sache herangehen können. Insofern kam Mozarts Esprit im Graben stark unter die Räder und der leicht dumpf-schwammige, zu stark deckende Orchesterklang enttäuschte. Die Rezitative waren gut gearbeitet, die Arien der Marzellina und des Basilio gestrichen.

Fazit: Viel Beifall für das Ensemble, viele Buhrufe und sehr wenig Applaus für das Leading-Team.