LE NOZZE DI FIGARO

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Theater an der Wien
6. März 2014
Konzertante Aufführung


Dirigent:
Nikolaus Harnoncourt

Concentus Musicus Wien
Arnold Schönberg Chor

Graf Almaviva - Bo Skovhus
Gräfin Almaviva - Christine Schäfer
Susanna - Mari Eriksmoen
Figaro - Andrè Schuen
Cherubino - Elisabeth Kulman
Marcellina - Ildiko Raimondi
Basilio/
Don Curzio - Mauro Peter
Bartolo/
Antonio - Peter Kálmán
Barbarina - Christina Gansch


Mozart in der „Midlife-Crisis“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien lud zum ersten „Mozart-da-Ponte-Streich“ von Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus Musicus Wien: „Le nozze di Figaro“ konzertant – und ganz anders als „gewohnt“. Aber mit „Gewohnheiten“ hat Nikolaus Harnoncourt ohnehin nichts am Hut, strebt sein Künstlertum doch stets danach, „alte Werke“ immer wieder „neu“ zu entdecken.

Die Geschichte dieser drei mal zwei Opernabende, mit denen das Theater an der Wien ganz sicher einen Beitrag zur Wiener Opernhistorie schreiben wird, ist bekannt. Ursprünglich hätten Martin Kusej (Regie) und Nikolaus Harnoncourt (Musikalische Leitung) eine szenische Neuproduktion von „Cosi fan tutte“ erarbeiten sollen. Aber Kusej sagte schon bald nach der Veröffentlichung des Saisonprogramms im letzten Frühjahr ab. Am Theater an der Wien wurde aus der Not eine Tugend gemacht – und an die Stelle der szenischen Produktion trat eine Aufführungsserie von „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“ unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Die ursprünglich geplante Besetzung der „Cosi“ wurde übernommen, und was an Partien für die anderen beiden Opern noch zu besetzen übrig blieb, neu engagiert.

Wenn Nikolaus Harnoncourt eine Aufführung „tut“, dann hat er meist viel zu erzählen – bei den Abo-Konzerten des Concentus Musicus im Musikverein sind seine einleitenden Worte vor dem Konzert schon „sprichwörtlich“ – im Falle dieser konzertanten Aufführungen dient ein langes Interview im Programmheft als „Vorrede“, deren Lektüre hilfreich sein könnte. Dort erfahren Leserin und Leser beispielsweise, dass die „Figaro“-Ouvertüre immer zu schnell gespielt wird, das Humor für Harnoncourt immer „viel Tragisches“ beinhaltet, und dass man Rezitative heute überhaupt nicht mehr beherrscht. Mit diesen drei Punkten ist zugleich angesprochen, was an diesem konzertanten „Figaro“ vor allem irritiert hat: die (oft als getragen empfundene) Tempowahl, die unkomödiantische „Schwermut“ dieses „Figaro“ im allgemeinen und die stark vom gesprochenen Text ausgehende Behandlung der Rezitative.

Schon die Ouvertüre hat Harnoncourt nicht aus einem „flotten Guss“ dirigiert, sondern fast verzögert erklingenden ersten Takten das recht kratzbürstig aufspielende volle Orchester gegenübergestellt – und im Fortgang auf diese Weise mehr Gegensätzlichkeiten erzeugt als einen linearen, auf den „tollen Tag“ zugeschnittenen „musikalischen Vorspann“. Die Rezitative klangen oft etwas verschleppt, ebenso wie viele Arien. Sprudelnder Erotik wurde schon vorne herein das Wasser abgegraben, und dieser „Figaro“ bekam einen düsteren Anstrich, der sich mit einer Wehmut paarte, die einem die Handlung seltsam fern rückte und den spontanen emotionalen Ausdruck der Figuren mehr als Erinnerung an Gewesenes zu begreifen schien.

Für die Wehmut waren vor allem die Streicher zuständig, Erinnerungen an Liebesnächte und heimliche erotische Geheimnisse geisterten dort herum, ohne sich aber lebenslustig auszuformulieren. Pauken und teils die Bläser waren für die schroffen Akzente verantwortlich, gleichsam das unbarmherzige Schicksal mimend, das Scheitern der gefühlsverwirrenden Höhenflüge gleich lautstark verkündend. Deshalb stand die Komödie auf eher schwachen Beinen und blitzte viel zu selten auf, beispielsweise in dem kurzen, atemlos-verschwörerischen, mucksmäuschenleise begleiteten Duettino zwischen Susanna und Cherubino, bevor der Page den Weg durch das Fenster in den Garten nimmt. Und die Zuhörer mussten sich an diesem Abend vor allem an solche „genialischen“ Momentaufnahmen halten, die im Zusammenhang allerdings keine quirlige erotische Komödie ergaben, sondern mehr die Bestandsaufnahme einer bedrohlichen Ehekrise, mindestens 20 Jahre nach der Hochzeit. So zog sich der Abend eine Zeitlang dahin, erst mit dem großflächigen Ensemble zum Finale des zweiten Aktes bekam die Aufführung „Boden unter die Füße“.

Die Chance die Rezitative „freier“ handzuhaben wurde nur bedingt zur punktgenauen Charakterisierung der Figuren genützt. Vor allem Elisabeth Kulman als Cherubino oszillierte hier förmlich im „Stimmbruch“ zwischen Sopran und Virilität. Die Überspanntheit des Pagen wurde von ihr gleich beim ersten Auftritt im Gespräch mit Susanna durch ein mit abgehobener Manieriertheit ausgekostetes „contessina“ ausformuliert: pointierter kann das Verhältnis des liebestollen Pagen zur holden Weiblichkeit kaum in Töne gefasst werden. Cherubinos Arie und Canzona litten hingegen für meinen Geschmack etwas unter einem zu langsamen Tempo, das die atemlos-lyrischen Energieausbrüche des Pagen zu stark drosselte. Das stand im Widerspruch zu der in den Rezitativen gezeichneten Persönlichkeit.

Doch das Ausnützen dieser obgenannten pointierten Ausdrucksmöglichkeiten blieb insgesamt mehr den Nebenrollen vorbehalten: köstlich Peter Kálmán als Gärtner (als Doppelrolle besetzt, wobei mir profundere „Bartolos“ lieber sind), oder Mauro Peter als aufgeweckter Basilio (mit der meist gestrichenen Arie von der „Eselshaut“ im vierten Akt), oder die lebenslustige, vielversprechende Barbarina von Christina Gansch, oder Ildikó Raimondis Marcelline (die im vierten Akt sogar ihre Arie singend durfte: zwinkernd und frauenverschwörerisch).

Susanna und Figaro konnten im Vergleich nicht ganz mithalten – Figaro André Schuen wurde wegen einer Allergie angesagt und sang die ersten beiden Akte recht vorsichtig. Eine leichte nasale Verschattung wurde sein Bariton den ganzen Abend lang nicht los. Welches Potenzial die Stimme des jungen Sängers hat, zeigte sich erst bei seiner Arie im vierten Akt: leicht samtiges Material, das auch in der Attacke prächtig mitschwingt. Mari Eriksmoen taute ebenfalls erst im Laufe des Abends auf und sang eine hübsche, aber wenig kokett-quirlig aufblühende Susanna – wobei hier natürlich zu klären wäre, wo das musikalische Konzept aufhört und die Interpretation der Sängerin beginnt.

Bo Skovhus gab den Grafen als einen schon etwas in die Jahre gekommenen narzistischen „Haudegen“, kaum als Charmeur. Das formte sich zu einem etwas „uniformen“ Rollenporträt dem die verführerischen Zwischentöne fehlten. Auch im Gesang wurde hier schon ein bisschen mehr gespart als gegeben, aber grundsätzlich hat Skovhus den Status des Grafen realisiert und mit der entsprechenden Autorität verkörpert.

Christine Schäfer als Gräfin hatte einen rabenschwarzen Tag. Das „Porgi amor“ ging daneben: Schäfer erwischte oft nicht die richtigen Töne und vermittelte das Gefühl, noch nicht ganz „in der Rolle zu stehen“. Auch wenn sich Schäfers Vortrag bald konsolidierte, hing dieser Fehlstart doch wie ein Schatten über ihrer weiteren Darbietung. Die Sängerin blieb unsicher, und ihr seltsam fahl gefärbter Sopran verkörperte mehr den Ehefrust der Gräfin als ihre Intrigenlust.

Die Aufführung war zwar konzertant, aber doch mit einem kleinen szenischen Rahmen garniert. Hinter den Sängerinnen und Sängern war eine Wand aufgebaut, die Fotografien der Protagonisten zeigten – von der Reproduktion eines kleinen Mozartporträts „überwacht“. Ein paar Spiegel waren auch montiert, wahrscheinlich damit das „modischer“ aussieht. Es wurde mit und ohne Klavierauszug gesungen, Kálmán kam im Finale sogar mit einem Tablet auf die Bühne: so kann sogar eine konzertante Aufführung ganz „zeitgenössisch“ sein. Gewisse Szenen wurden angedeutet wie Cherubinos Verkleidung. Antonio war für die „Watschen“ zuständig, die er von der Bühnenseite „klatschte“. In solchen Momenten wurde sogar richtig „Komödie“ gespielt, ein wenig mehr davon hätte der ganzen Aufführung nicht geschadet.

Der Schlussapplaus blieb mit rund sieben Minuten Länge in einem überschaubaren Rahmen und klang nicht wirklich „euphorisch“ – aber da war es auch schon fast 23 Uhr.