„Nichts Neues im Serail“
(Dominik
Troger)
„Die
Entführung aus dem Serail“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels liegt
der Staatsoperndirektion augenscheinlich am Herzen. Seit der Premiere
2020 ist kein Jahr ohne Aufführungsserie vorübergegangen.
Zwar
stammt die Produktion noch aus dem letzten Jahrtausend und ist von
Stuttgart nach Wien geholt worden. Trotzdem läßt dieser
„zahm-provokante“ Neuenfels auch heute noch viele Regisseure „alt“
aussehen, die Anleihen bei ihm nehmen und es sich wohlig in seinen
Fußstapfen einrichten wollen. Und wer sich an die katastrophale
Neuproduktion der „Entführung“ an der Volksoper vor zwei Jahren
erinnert, wird dem 2022 verstorbenen Altmeister sogar Dank abstatten
müssen.
Die eifrige Pflege dieser „Rarität“ an der Staatsoper kann allerdings
nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit einigem organisatorischen
Aufwand verbunden ist, werden doch die fünf Hauptfiguren verdoppelt,
wird jeder Sängerin, wird jedem Sänger, eine Schauspielerin, ein
Schauspieler zur Seite gestellt – nur der Bassa Selim ist davon
ausgenommen. Dieses Team muss eingespielt sein, soll es szenischen
Schwung vermitteln. Und ob das Publikum den „Mozart-Phantasien“ des
Regisseurs immer folgen kann, ist wieder ein eigenes Thema.
Die letzte Aufführung der aktuellen „Entführung“-Serie hätte aber noch
ein paar Schlückchen fruchtigen „Bacchus-Wein“ gut vertragen, um so
richtig auf Touren zu kommen. Das Orchester unter Ivor Bolton
spielte mit transparentem Mozartklang, der auf einen etwas dünnen
Streicherglanz gebettet war. Bolton, historisch-informiert, servierte –
um beim Bacchus zu bleiben – einen klaren, trockenen Weißwein, der mehr
nördlich gebaut, als von südlichen Hängen stammend, die Sache mit dem
Serail und den dort verhandelten Leidenschaften nur bedingt emotional
befeuerte.
Die Besetzung blieb im Rahmen dieses mehr kollektivistisch ausgelegten
Regiekonzepts und sorgte für einen mir persönlich etwas lang anmutenden
Repertoireabend. Den meisten Beifall heimste Serena Sáenz
als Konstanze ein. Sie hat vor zwei Jahren an der Staatsoper noch die
Blonde gesungen. Ihre Konstanze setzte auf die Koloraturen, womit sie
auch das Publikum gewann. Mehr Tiefe und eine breitere Mittellage
hätten der dramatischen Nachhaltigkeit des Bühnencharakters ein
stärkeres Profil verliehen. Die Koloraturen klangen mir wie schon bei
ihrer Königin der Nacht zu angespannt.
Sebastian Kohlhepps Tenor
scheint langsam aus diesem Fach herauszuwachsen, neigte zu behäbigem
Ziergesang und zu viel Druck in der höheren Lage. Sein Belmonte war
sozusagen mehr ein „Baumeister“ geradliniger Architektur, mit gutem,
etwas breiterem Fundament versehen. Florina Ilie sang eine gewitzte Blonde, neigte allerdings an exponierten Stellen ebenfalls zum Forcieren. Dem jungen Spieltenor von Lukas Schmidt
müsste stimmlich noch etwas mehr individueller Charakter zuwachsen,
auch wenn er sich als belebendes Element in die Aufführung einbrachte.
Der Osmin von Ante Jerkunica war
stimmlich und darstellerisch der grimmige Kerl, den man sich erwartet,
abgeschmeckt mit genug Buffo-Qualität, um nicht übertrieben zu wirken.
Die Schauspielkräfte waren zum Teil schon „alte Hasen“ dieser
Produktion und sorgten für weitgehend gut verständliche Sprechpassagen.
Dass Bassa Selim mit dem finalen Vortrag von Mörikes Lyrik nach wie vor
wenig zu glänzen vermag, steht auf einem anderen Blatt. (Dieses Mal gab Marcus Bluhm den
„Renegaten”.) Aber es ist inzwischen wahrscheinlich ein Akt der
„Pietät“, dass man Bassa Selim dieses überflüssiger Weise die
Vorstellung beschließenden Mörike-Gedicht nicht wegkürzt. Die Länge des
Schlussbeifalls lag bei fünf bis sechs Minuten.