DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

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Premiere
Volksoper
17. Juni 2023

Dirigent: Alfred Eschwé

Regie: Nurkan Erpulat
Bühnenbild: Magda Willi
Kostüme: Aleksandra Kica
Choregraphie: Gail Skrela
Licht: Alex Brok
Choreinstudierung: Roger Diaz-Cajamarca
Textfassung für die Volksoper: Sulaiman Masomi

Bassa Selim - Murat Seven
Konstanze - Rebecca Nelsen
Blonde - Hedwig Ritter
Belmonte - Timothy Fallon
Pedrillo - Daniel Kluge
Osmin - Stefan Cerny



Oper zum Abgewöhnen

(Dominik Troger)

Knapp vor der Sommerpause hat die Volksoper zu ihrer letzten Premiere in der laufenden Saison geladen: Mozarts „Entführung aus dem Serail“ – und die vielen leeren Plätze auf der Galerie waren in diesem Fall kein Versäumnis, sondern mehr eine Vorwegnahme dessen, was an diesem Abend dem Publikum geboten wurde.

Der Clou dieser neuen Volksopernproduktion soll offenbar darin liegen, dass ein Türke für die Inszenierung sorgt und ein afghanisch-deutscher Autor für eine neue Textfassung. Die „Authentizität“ des „Orientalischen“ soll einem Mozart auf die Sprünge helfen, der – wie es Regisseur Nurkan Erpulat in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ (16. Juni 2023) aufdeckerisch formuliert hat – nie in der Türkei gewesen ist! Nun – Joseph Haydn ist auch nie auf dem Mond gewesen und hat trotzdem „Il mondo della luna“ komponiert. Ist Haydn deshalb „unauthentisch“? Müssten wir im Falle einer Aufführung den Mann im Mond in die Volksoper herab bitten, damit er uns „Il mondo della luna“ zeitgeistig näher bringt?

Ich befürchte, das Regiekonzept für diese „Entführung“ war von Anfang an zum Scheitern verurteilt – und wenn der Poetry Slammer, Rapper und Kabarettist Sulaiman Masomi in der neuen Textfassung dann noch zum Rundumschlag gegen den bösen Westen und seine „orientalischen Stereotypen“ ausholt, gegen die Männer, gegen imperialistische Sklavenhalter und Engländer, gegen Migrationsskeptiker und was nicht noch alles, dann wird Mozarts Singspiel zu einem von langen Monologen zerstückelten Indoktrinationstheater umfunktioniert, dessen sozialkritische und geschichtspolitische „Küchenphilosophie“ in etwa der naiven, schwarz-weiß-malenden Empörung von fünfzehnjährigen selbstklebereiten Weltrettern vergleichbar ist.

Diese Empörung mag an sich ihre berechtigten Gründe haben, aber von erwachsenen Menschen sollte man auch eine Portion Selbstreflexion einfordern dürfen – und der Mist, den der Orient vor der eigenen Türe kehren könnte, ist auch nicht zu verachten. Masomi nützte jedenfalls auftragsgemäß seine Mittel und seine Sprache, um sich so ziemlich alles, was ihm zum Thema „orientalische Stereotypen“, Mann-Frau-Beziehung und „böser Westen“ eingefallen ist, von der Seele zu schreiben. So eine Chance und so eine Öffentlichkeit erhält er nie wieder. Dass seine tiradenhaften Monologe Mozarts Singspiel torpedieren und versenken, das Bassa Selims lange, anklagende „Schlussansprache“ samt dem von ihm befohlenen (!) versöhnlichen Finale („Wer so viel Huld vergessen kann“) die aufklärerische Katharsis von Mozarts Oper zerstört, wen kümmert das noch, wenn nur die „Ideologie“ stimmt?

Immerhin hat Regisseur Nurkan Erpulat erkannt, wie er im Programmheft kund tut, dass es gar nicht so sehr um das Gegensatzpaar Orient-Okzident geht, sondern um allgemeingültige menschliche Themen wie Liebe und Besitzergreifung, Nähe und Ferne, um eine „Ambivalenz“ der Gefühle, die zum Beispiel Konstanze quält. (Und Erpulat lässt sie dementsprechend auch mit Selim herumschmusen, um ihre emotionale Zerrissenheit bloß zu legen.) Daran hätte er sich halten sollen – aber so hat er vor lauter „Orient“ die „Orientierung“ verloren.

Belmonte (mit Koffer ausgerüstet) macht ein ähnliches, scherzhaftes Wortspiel am Beginn des ersten Aktes, der vor einem unansehnlichen Raumteiler mit bänderartigem Plastikbehang spielt. Erst der Auftritt von Osmin bringt etwas Schwung in die Szene, und der mit totenkopfähnlicher Gesichtsbemalung auftretende, mit modernen Waffen ausgerüstete Janitscharenchor huldigt seinem Herrn wie eine grimmige Kriegsmeute aus „Star Wars“. Bassa Selim erwies sich in Folge aber mehr als Softie, vor dem Konstanze (wie eine schwarzgekleidete Nonne mit Kreuz als Halskette) nicht wirklich etwas zu befürchten hat. Auch Osmin gab sich (im Gegensatz zu den von ihm zu Gehör gebrachten Arien) eher seriös: Dieser „Orient“ war zu „gut“, um „wahr“ zu sein.

Im zweiten Akt, der als „Haremstraum“ die optischen Marker setzt und vermeintlich Nackte in Ganzkörpertrikots zeigt, die sich lustvoll an der Tafel und in ihrer Geschlechtlichkeit ergehen (sogar ein Zentaur ist zu sehen), schwindet die eigentliche Handlung überhaupt aus dem Fokus. Man beginnt sich sogar zu fragen, warum die Europäer aus diesem „Paradies“ fliehen wollen? Haben sie keine Augen für diese weichen Genüsse, denen sie sich im Schatten einer riesigen aufgeschnittenen Feige, die das Bühnenbild aufwertet, hingeben könnten? Scheint Belmonte nicht schon selbst „angekränkelt“ von diesem vermeintlichen Lotterleben? Wollen sie überhaupt noch fliehen?

Nur Blonde entpuppt sich als Radikalfeministin und fordert in einer, in diesem Kontext sinnbefreit wirkenden Brandrede das Matriarchat! Soll es als Ironie gedeutet werden, dass von den Trikotnackerten keiner ein Ohrwaschel rührt? Doch die Handlung muss trotzdem weitergehen: Nach der Pause folgte am Beginn des dritten Aktes eine langatmig ausgespielte Slapstickeinlage mit zwei Metallleitern, mehr die Geduld, als den Humor strapazierend. Und wenn man hofft, die Sache sei endlich ausgestanden, dann hebt Selim zu seinen ausufernden Schlussworten an.

Musikalisch lag der Abend beim leptosomisch gebauten Osmin von Stefan Cerny in ausgezeichneter Kehle, aber er durfte in diesem Setting keine Lustspielfigur geben, nur manchmal auf Wienerisch (!) schimpfen. (Wollte die Regie in Osmin den mieselsüchtigen Wiener entlarven oder den mieselsüchtigen assimilierten Türken? Unpassend war es allemal). Die beiden anderen Sänger: Timothy Fallon (Belmonte) und Daniel Kluge (Pedrillo) machten es einen als Zuhörer schon schwerer: Kluge forcierte seinen schmelzlosen Spieltenor viel zu stark und Fallons lyrischer Tenor hat sich an der Volksoper bei Rossini leichter getan, als bei Mozart. Der etwas engen Stimme fehlte es an Fülle und sie schärfte sich immer wieder unangenehm.

Rebecca Nelson ist bei der Pamina oder Susanna viel besser aufgehoben als bei der Konstanze. Sie hatte mit der Partie Mühe und die Stimme klang immer wieder scharf und angestrengt. Hedwig Ritter führte sehr selbstbewusst einen noch sehr jugendlich wirkenden Sopran ins Feld. Sie ließ eine nicht sehr große, soubrettig-hübsche Mittellage hören, die man behutsam auf- und ausbauen müsste. Die Blonde war nach meinem Eindruck der Sängerin noch um zwei Nummern zu groß: in der Höhe schrill und wenig kontrolliert bot schon ihre erste Arie „Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln“ der Zuhörerschaft einen zweifelhaften „Genuss“.

Der Bassa Selim von Murat Seven war ein Softie mit wenig Bühnenpräsenz, aber gutem Körperbau – dass sich eine Konstanze gerne bei ihm „anlehnen“ würde nachvollziehbar. Vor über 20 Jahren hat die Volksoper für diese Rolle einen schwarzen, nigerianischen Schauspieler verpflichtet, dieses Mal einen mit türkischem Hintergrund. Die Lösung des Jahres 2001 war die spannendere. (Auch 2010 gab es an der Volksoper eine neue „Entführung“, beide Produktionen musikalisch und szenisch viel überzeugender als die hier besprochene.)

Alfred Eschwé und das Volksopernorchester waren ob des Regiekonzepts nicht zu beneiden, und wehrten sich mit einigem Erfolg gegen Mozarts ideologische Vereinnahmung. Am Beginn noch ein bisschen unausgewogen (diese der Musik unterlegten Lichtblitze von der Bühne waren auch so ein Unfug der Regie) fand das Orchester bald zu einem angenehm temperierten, in Details schön herausgearbeiteten Spiel. Aber ich wurde den ganzen Abend den Eindruck nicht los, dass Mozart ohnehin nur die Nebensache war: als Mittel zur gesellschaftspolitischen Agitation.

Das Publikum beklatschte nach gute drei Stunden vor allem Stefan Cerny und den Dirigenten samt Orchester, die Regie wurde bei wenigen Bravorufen auch mit ein paar deutlichen Buhrufen bedacht.

Zur Info: Die Pause gibt es erst nach dem zweiten Akt bzw. nach rund zwei Stunden.