DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

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Staatsoper
12. Juni 2021

Musikalische Leitung: Antonello Manacorda


Bassa Selim - Christian Nickel
Konstanze - Brenda Rae
Blonde - Regula Mühlemann
Belmonte - Daniel Behle
Pedrillo - Michael Laurenz
Osmin - Goran Juric

Schauspieler: Emanuela von Frankenberg, Stella Roberts,
Christian Natter, Ludwig Blochberger


Erste Reprise im Repertoire

(Dominik Troger)

An der Wiener Staatsoper wurde Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ wieder aufgenommen. Es trat die Premierenbesetzung vom Oktober 2020 an – bis auf eine Ausnahme: Mit Brenda Rae war eine neue Konstanze dazu berufen, sich in den vom Regisseur Hans Neuenfels doppelt gemoppelten Figurenkatalog einzufügen.

Nach sieben Monaten also endlich wieder in der Staatsoper. Vor dem Eintritt Maske auf, Karte, Ausweis, Impfbestätigung vorgewiesen, dann endlich durfte das Haus betreten werden. Gleich stockaufwärts und hinaus auf die Terrasse und den Blick über die anliegenden Häuser schweifen lassen. Das Bristol behauptet seine Stellung, der Opernringhof ist noch ein wenig grauhaariger geworden. Gleich gegenüber in der Operngasse sollte in neue Jalousien investiert werden. Die scheußlichen Dachausbauten da und dort sind mir früher nie aufgefallen? Auf der Ringstraße fließt der Verkehr. Die neue Straßenbahnlinie U2Z soll die Sperre der U2 substituieren – die Anreise zum Opernvergügen wird für viele Besucher in den nächsten zwei Jahren umständlicher werden. Aber läutet nicht schon die Glocke? Gleich wird es los gehen. Also zurück ins Haus und mit sicherem Schritte zum Platz geeilt. Das Spiel kann beginnen.

Brenda Rae hat im Jahr 2012 als Einspringerin dreimal die Lucia die Lammermoor am Haus gesungen: Sie hat damals einen noch sehr jugendlichen, stimmlich etwas zarten, aber in Summe vielversprechenden Eindruck hinterlassen. Die Sängerin, der seither eine beachtliche internationale Karriere gelungen ist, hätte vor einem Jahr wieder als Lucia an die Staatsoper zurückkehren sollen – aber das hat COVID verhindert.

Raes Hausdebüt als Konstanze zeigte Hingabe und Feuer, durchlebte die Martern der Arie mit selbstbewusstem Todesmut, und brachte eine starke Persönlichkeit ein, die der Inszenierung gut tat. Der gesangliche Eindruck blieb unausgewogen. Ihr Sopran zeigte sich schon in der Mittellage leicht gekantet, ein herber Zug, der in der Höhe zu stark hervortrat. Zudem mit raschem Vibrato angereichert stand mehr die Emotionalität im Fokus als eine klare Gesangslinie. Im Vergleich mit Lisette Oropesa, der Konstanze der Premierenserie, punktete Rea in der Darstellung und in der Intensität ihrer Bühnenpräsenz, gesanglich musste sie ihrer Landsfrau den Vortritt lassen.

Daniel Behle hat den Belmonte schon vor Jahren an der Volksoper gesungen und inzwischen auch den Lohengrin in sein Repertoire aufgenommen. Es spricht für den Sänger, dass er sich über all die Jahre einen unprätentiösen, eleganten Mozartstil bewahrt hat. Höhepunkt war wieder die „Baumeisterarie“, die er mit der gebotenen „Standhaftigkeit“ zur Geltung brachte. Eine Tendenz zur Einförmigkeit im Vortrag drängte sich in dieser Aufführung weniger stark in den Vordergrund als am Premierenabend.

Das Buffopaar agierte mit viel Spielwitz. Regula Mühlemann (Blonde) mit teils recht soubrettigem Sopran war besser disponiert als in der Premiere, Michael Laurenz sang den Pedrillo mit der Lyrik eines etwas trockenen, schon ins metallische spielenden Charaktertenors. Am spielfreudigen Osmin von Goran Juric wurde schon in der Premiere die schwache Tiefe bemängelt, daran hat sich nichts geändert, die Stimme dringt dann kaum mehr von der Bühne durch.

Die Schauspielerkollegen der obgenannten Protagonisten (Konstanze: Emanuela von Frankenberg, Blonde: Stella Roberts; Osmin: Andreas Grötzinger; Belmonte: Christian Natter; Pedrillo: Ludwig Blochberger) assistierten einsatzfreudig und textverständlich. Allerdings sollte der leidenschaftliche Bassa Selim, gespielt von Christian Nickel, das abschließende Mörikegedicht noch weiter üben, damit man auch auf den oberen Rängen wirklich jedes Wort versteht. Diesmal gab es keine irritierenden Bemerkungen aus dem Publikum wie bei der Premiere, sondern dieses lauschte brav der Lyrikeinlage.

Das Orchester unter Antonello Manacorda gewann erst im Laufe des Abends jene Spielfreude, die dann letztlich auch für Spannung sorgt. Die Ouvertüre wurde flott und recht mechanisch exekutiert, mit einem zu flach empfundenen Andanteteil. Die Lautstärke ist in dem COVID-bedingt nahezu halbleeren Haus ohnehin eine immerwährende Herausforderung. Der musikalische Teil schien nicht mehr ganz so strikt an die Regie geknüpft wie am Premierenabend – und das hat letztlich auch die Inszenierung aufgewertet. Jedenfalls wurde nach meinem Eindruck Mozart an der Staatsoper in der jüngeren Vergangenheit schon schwelgerischer, gehalt- und humorvoller musiziert. Der Chor samt Solistenquartett (Diana Alexe, Anna Tiapkina, Tamás Katona, Petro-Pawlo Tkalenko) entledigte sich gut seiner kurzen Auftritte.

Die Inszenierung von Hans Neuenfels stammt noch aus dem letzten Jahrtausend und wurde aus Stuttgart nach Wien geholt (Bühne: Christian Schmidt, Kostüme: Bettina Merz). Sie wird jetzt an der Staatsoper wie ein „Museumsstück“ noch einmal „ausgestellt“. Ihr Markenzeichen ist die Aufsplitterung des Figurenkatalogs – jeder Sängerin und jedem Sänger wird ein schauspielerndes Alter Ego beigesellt. Derart verschwimmen nicht nur die Genregrenzen, sondern auch die Grenzen der Bühnenidentitäten, bis hin zur „Papagenisierung“ von Blonde und Pedrillo. Grelle Kostüme, absurde szenische Arrangements, ironisches Augenzwinkern und neue, manchmal humorvolle, manchmal platte Dialoge gesellen sich hinzu. Die Bühne zeigt einen schon etwas abgewohnten Saal in Bassa Selims Haus, der augenscheinlich über ein Privattheater verfügt.

Aber Neuenfels behält trotz aller Abschweifungen doch den Gang des Geschehens im Auge und bei aller Verfremdung wird „Die Entführung aus dem Serail“ gespielt. Und je weniger man darüber nachdenkt, was man auf der Bühne sieht, um so besser. Dann funktioniert diese Produktion sozusagen „von selbst“ und zeigt sich im klug kalkulierten Zusammenspiel von Sängern und Schauspielern überraschend kompakt. Die Figurenverdoppelung ist natürlich „gewöhnungsbedürftig“, aber technisch gut umgesetzt.

Neuenfels geht vor allem der schwierigen Beziehung von Konstanze und Bassa Selim nicht aus dem Weg (auch wenn er dem Renegaten ein paar Übertreibungen samt exhibitionistischer Gefühlsverwirrung angedeihen lässt). Einige Ratlosigkeiten und ein mögliches Aufstöhnen im Publikum sind einkalkuliert. Aber warum die Pause nach der „Marternarie“ gesetzt wurde und nicht an einem der Aktschlüsse, erschließt sich mir nicht.

Das Publikum ist im Laufe des Abends aufgetaut. Es wurde öfter auch mal gelacht, es gab keine Proteste, der spielerisch-anarchische Ansatz dieser Inszenierung wurde akzeptiert. Der Schlussapplaus nach etwas über drei Stunden Aufführungsdauer währte sechs bis sieben Minuten lang, er war nicht gerade stürmisch, aber konsequent anhaltend. Es scheint, als hätte diese Neuproduktion ihre Feuertaufe im Repertoireeinsatz bestanden.