DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL |
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Burgtheater Dirigent:
Philippe Jordan Koproduktion Burgtheater/Staatsoper |
Selim, Bassa - Nicholas
Ofczarek |
„Platt-Deutsch“ Mozarts „Entführung aus dem Serail“ wird im Burgtheater gespielt. Der Werkstattcharakter der Inszenierung springt dermaßen ins Auge, dass man als Zuschauer eigentlich nur die Flucht ergreifen kann. Auch musikalisch häuften sich die Unzulänglichkeiten.
Nur weil die „Entführung“ 1782 im alten Burgtheater
am Michaelerplatz uraufgeführt wurde, muss man sie nicht 200 Jahre
später im neuen Burgtheater an der Ringstraße spielen. Dieses
Burgtheater wurde definitiv als Sprechtheater erbaut, gegen solch eine
Logik sind auch Jubiläen machtlos. Deshalb war schon die Akustik
problematisch. Sie ist außerordentlich „trocken“ und
dörrt den Singstimmen und dem Orchester die Klangfarben weg. Nachdem
es bei laut gesungenen, hohen Soprantönen zu untypischen, sich
überlagernden Toneffekten kam, könnte zudem eine nicht optimal
agierende Verstärkeranlage mit im Spiel gewesen sein. Aber was nützt andererseits die beste Akustik, wenn die Sänger mit Mozarts subtiler musikalischer Ausdruckskunst nichts anfangen können? Das gilt natürlich nicht für Diana Damraus Konstanze, die als einzige den Erwartungen entsprochen hat und mit sängerischer Bravour und schauspielerischem Einsatz daran erinnerte, dass es hier um so etwas wie Oper gehen könnte. Doch schon der Belmonte (Daniel Kirch) wirkte die meiste Zeit überfordert, vielleicht nervös, kurzfristig am Rande der Heiserkeit. Seine Stimme klang beengt, sein gesanglicher Vortrag war einförmig, weit entfernt von dem, was man sich für eine Wiener Mozartpremiere vorstellt. Womöglich noch mehr trifft dieser Vorwurf das gesangliche Spektrum von Blonde (Julia Rempe). Sie zeigte zumindest lange hübsche Beine. Als blonde Tussi musste sie so magere Witze absondern, dass man nur mehr säuerlich den Mund verziehen konnte. Franz Hawlatas Stimme ist für den Osmin zu wenig profund – und mit seiner schauspielerischen Steifheit und seinem mehr gesetzt-intellektuell wirkenden Gesang machte die Komödie bei ihm keinen Stich. Cosim Ifrim bemühte sich um das singspielerische Element, aber auch seine Stimme kommt in der Staatsoper besser zum Tragen. Philippe Jordan hat die Marternarie schön kammermusikalisch aufbereitet – und hin und wieder etwas blechern überhitzte Janitscharen aufmarschieren lassen. Aber das wars im wesentlichen. Ich weiß, er wird durchwegs gelobt, mir erschien diese „Entführung“ aber als sein bisher unergiebigstes Wiener Dirigat. Man mag über das instrumentelle Feingefühl des jungen Dirigenten durchaus erbaut sein, aber in der emotionalen Aussage war alles über denselben Kamm geschoren, eine Musterschülerarbeit, ohne große Empfindungen, ohne Humor und nach der Pause auch ohne Ziel. Überhaupt zerbröselte der Abend in schauspielerische Dialogphasen und in Gesangseinlagen, die unverbunden und inhomogen sich gegenseitig behinderten. Nach der Pause wurde dieser Zustand lähmend. Dazu trug stark der Bassa Selim von Nicholas Ofczarek mit seinen regiebedingten Schreianfällen bei. (Aber das ist angeblich Sprechtheater „auf der Höhe der Zeit“.) Da blieb von dieser Figur nichts übrig, nur eine am Schluss unglaubwürdig aus Verzweiflung und Hilflosigkeit gewährte Gnade. Das war überhaupt symptomatisch für diesen Abend: Bassa Selim hat nichts zu sagen, Osmin wird zum Trottel gemacht, die Türkei wird in peinlicher Weise von den „Abendländern“ beflegelt. Mozarts „Entführung“ wird vorwiegend zum Vorwand für die platten Entgleisungen einer Laienbühne. Einzig das Verhältnis zwischen Bassa Selim und Konstanze gewann vor der Pause manchmal an Tiefe und Überzeugungskraft. Das Bühnenbild präsentierte sich spartanisch – ein großes Plakat hing in der Mitte mit dem Schriftzug „Türkei“, es gab eine Stehleiter, ein paar Sesseln, ein verpacktes (!) Klavier. Stünde auf dem Plakat „Spanien“ würde man gewiss „Carmen“ geben. Blonde darf einmal gefährlich-akrobatisch herumturnen – viel körperliches Risiko für so gut wie gar keinen Effekt. Regisseurin Karin Beier hat unlängst in einem Interview für das Stadtrevue-Kölnmagazin erklärt: „Ich mag unfertige Arbeiten.“ – hoffentlich schätzt man das in ihrer Heimatstadt Köln mehr als in Wien. Das Publikum buhte stark bei der Regie, aber auch deutlich bei Belmonte und Blonde. Damrau erhielt den meisten Applaus. Fazit: Auch wenn man geneigt sein sollte, Jordans musikalischen Beitrag positiver zu sehen, bleibt es für mich eine über weite Strecken indiskutable Aufführung. (Leicht abgeänderte Version 9.5.06) |