DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

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Wiener Volksoper
9.3.2001
Premiere


Dirigent:
Mark Foster
Inszenierung
: Markus Imhoof
Bühnenbild: Werner Hutterli
Kostüme: Ingrid Erb

Selim, Bassa - Nicholas Monu
Konstanze - Edith Lienbacher
Blonde, ihre Zofe - Yoon-Jeong Shin
Belmonte - Steve Davislim
Pedrillo, sein Diener - Oliver Ringelhahn
Osmin, Aufseher - Bjarni Thor Kristinsson

Der Bassa Selim kommt aus Nigeria, und das ist gut so...
(Dominik Troger)

... denn dadurch bleibt die Spannung des "Fremden", dieser herausfordernde Ethos der Verzeihung, auch für unsere Zeit gewahrt.

Nicholas Monu, in Großbritannien aufgewachsen, wird zum augenfälligen aufklärerischen Auftrag, den für Mozart einst das "Türken-Sujet" verkörpert hat. Und wenn er, am Punkt der höchsten Verzweiflung im dritten Aufzug, statt gebrochenem Deutsch in seine fremd und für ungeübte Ohren bedrohlich wirkenden Muttersprache zurückfällt und derart die Kommunikation mit seinen Gefangenen verweigernd dem Osmin mit der Aussicht auf eine baldige Hinrichtung derselben schmeichelt, dann findet die Aufführung den einen, wirksamen Anker, dem die "Entführung" seine nun mehr über 200 Jahre lang währende "Zeitlosigkeit" verdankt. Deshalb sei auch gleich hier Nicholas Monu dafür gedankt, der den Bassa Selim mit geschmeidiger Eleganz, mit emotionaler Hingabe und mit archaischer Bedrohung dieser europäischen Reisegesellschaft gegenübergestellt hat. Aber während man das eigentlich eh gleich kapiert und da nicht weiter viel zu erklären braucht, bot die diffizile Erzählung der "Entführung" als melancholisch-heitere Liebesgeschichte zwischen einer Weißen und einem Schwarzen die eigentliche Überraschung dieses Abends.

Wie stark Mozarts "Entführung" ein Vorspiel zu "Figaro" und "Cosi fan tutte" ist, hat man diesmal sehr deutlich empfunden. Das Lustspiel wird zu einem nie konkretisierten Lust-Spiel zwischen Blondchen und Osmin, zwischen Konstanze und Basse Selim. Dagegen erscheint Belmonte, der sich bereits ab der Hälfte der Overtüre an das Landgut des Bassa heranpirscht, unbeeindruckt von dieser anderen Welt des Serail. Er ist ein durch die Liebe zum Reisen gezwungener West-Tourist, der meint, sich mit Geld so einfach und fast nebenbei von Osmin den Zugang zum Landhaus erkaufen zu können. Er verkörpert die Konvention eines christlichen Abendlandes - und diese Konvention siegt über dem Experiment des Serail, wie Markus Imhoof, im Programmheft seine Inszenierung erläutert: "Das Serail ist ja nur scheinbar ein Gefängnis. Vielmehr ist es ein Ort der Befreiung, ein Garten der Lüste, wo plötzlich Dinge möglich werden, die eigentlich verboten sind. Plötzlich gelten die althergebrachten Gesetze nicht mehr..." So ist es nur konsequent, wenn Bassa Selim am Schluss alleine auf der Bühne zurückbleibt, wenn der Huldigungschor der Janitscharen aus dem Orchestergraben erklingt, wenn alle verstehen, dass der Bassa seine menschliche Größe mit einem großem Schmerz bezahlt, dem Schmerz um Konstanzes verlorene und nie eingelöste Liebe.

Imhoof hat sich sehr auf diesen zwischenmenschlichen Kontext eingelassen. Die Marternarie wird zur Liebesfolter auf die Konstanze gespannt ist, gehalten und geknebelt von ihrer (konventionellen) Liebe zu Belmonte und getrieben von einer noch mehr oder weniger unbewußten Liebe und Lustverheißung zu diesem anderen noblen Mann, diesem Bassa Selim, dessen Landhaus als großer Kristall (ein Turmalin, wie Imhof im Programmheft erklärt), als Liebes- und Lustzentrum die Mitte der Bühne einnimmt wie eine ins Abstrakte hineingeplanter Gartenpavillion. Da stößt man sich auch nicht mehr an dem graubeigen, kniefreien 60er Jahre Kostüm, das Konstanze trägt, weil man die emotionale Zwangssituation so hautnah zu spüren bekommt. Und auf dieser emotionalen Ebene wird auch das Quartett am Ende des zweiten Aufzugs zu einem imposanten Vorgriff auf die Liebesverwirrungen eines Figaro oder noch besser, auf die Treueränkeleien einer Cosi fan tutte. "Die Entführung aus dem Serail", sonst immer als deutsches Singspiel und Aufklärungsoper apostrophiert, dem verzeihenden Bassa Selim eingedenk, gewinnt neue psychologische Dimensionen, entpuppt sich als Keimzelle für das Mozartsche Beziehungsdrama, das er wieder und wieder vertont hat.

Imhoofs an der Musik und dem Text sehr geradlinig orientierte Personenregie brachte aber auch Schwung in die Osmin-Pedrillonischen-"Schein"-Gefechte, und ließ den Humor durchaus nicht zu kurz kommen. Da Singspiel, dort schon große Oper, diese Janusköpfigkeit der "Entführung", die dem Werk eine gewisse Sprödigkeit und Unausgegorenheit in der dramatischen Entwicklung aufdrückt, wurde durch Imhoofs konsequent umgesetztes Regiekonzept geschickt umschifft. Ein gutes Gespür für Bühneneffekte kommt dazu, etwa wenn bei der Entführung plötzlich die Fensterscheiben klirren und Osmin betrunken und schlaftrunken fast in den Orchestergraben rollt, oder wenn beim Auftritt des Bassa und der Konstanze im ersten Aufzug zur effektvollen Janitscharenmusik, dieser Plastikkristall aus dem Bühnenboden emporsteigt. Dabei bleibt der Einsatz der Mittel immer sparsam, es genügt ein Messer, um die Rang- und Hackordnung zwischen Osmin und Pedrillo pointiert anzudeuten ("Solche hergelaufne Laffen") und es ist dann wieder dieselbe Flucht-Leiter, an der Pedrillo und Blondchen festgebunden werden, um das Urteil zu erwarten.

Aber natürlich, das alles hätte nichts gefruchtet, wenn nicht Mark Foster im Orchestergraben dieser Aufführung ihren inspiriert pointierten Stempel aufgedrückt hätte. Dazu mußte er einmal das Volksopernorchester aus dem Dornröschenschlaf wecken, was ihm wirklich auf eindrucksvolle Weise gelungen ist. Foster, der mit diesem Abend sein Volksoperndebut gab, hat prägende Eindrücke von Harnoncourts Züricher Mozartzyklus mitgenommen und sich hiervon zu einer lustvollen "Musikalität des Ausdrucks" inspirieren lassen. Dabei schwebt auch ihm so etwas wie ein "authentischer" Klang vor, aber wie groß ist der Unterschied in der praktischen Realisierung, wenn man das mit der Zauberflöten-Premiere an der Staatsoper im Frühjahr 2000 vergleicht. Was dort zu einer trockenen akademischen Abarbeitung Mozartschen Melodienzaubers geriet, wurde unter Fosters Hand (übrigens ein Australier) zu einem freudigen Musizieren, ganz ohne interpretatorische Ballaststoffe. Außerdem wurde das Orchester zu einem sehr differenzierten Spiel angehalten, und das war (in Anbetracht so mancher früherer Volksopernabende) eine kaum erwartete Überraschung. Foster nahm sich dann, basierend auf diesem soliden ausdifferenzierten Klangbild (das nur die Schlagwerker manchmal gröber störten) die nötigen dynamischen Freiheiten, um den unterschiedlichen und oftmals sehr rasch wechselnden Stillagen der Komposition gerecht zu werden. Diese profunde Arbeit, die in einem anregenden Opernabend aufging, baute auch dem Ensemble die feste Brücke, auf der es mit seinen teilweise noch jungen Stimmen sich der Mozartschen Gesangeskunst nähern konnte. Hier ist nun festzuhalten, dass niemand aus dem Rahmen fiel, und die künstlerische Kontinuität auch durch die Sänger gewahrt blieb, was in Summe zu einer dichten, und letztlich auch eifrig beklatschten Premiere geriet. (Der einsame Buh-Rufer am zweiten Rang handelte wohl irgendeinem nicht nachvollziehbaren Sendungsbewusstsein gemäß, war aber völlig deplaziert.)

Das Sängerteam war sorgfältig ausgewählt und die Charaktere und das Timbre der Stimmen passten gut zusammen. Aber - und das muß auch geschrieben werden - es wurde des öfteren auch zum gewagten Balanceakt, zwischen den hohen technischen Anforderungen dieser Partien und den sängerischen Möglichkeiten. Das dieser so gut gelang, bestätigt die einfühlsame musikalische Leitung von Mark Foster. Steve Davislim (Belmonte) hat einen sehr schönen Mozarttenor, noch sehr schlank und in der Attacke überfordert. Aber seine kultivierte Stimmführung, die nur in der schwierigen (und oft gestrichenen) Arie "Ich baue ganz auf deine Stärke" (hier vom 3. in den 2. Akt verlegt), deutlich an ihre Grenzen stieß, erlaubten ihm über weite Strecken eine sehr lyrische und doch charaktervolle Rollengestaltung. Edith Lienbacher stellte sich den Tücken der Konstanze ebenfalls mit konzentrierter Stimmbeherrschung und psychologischer Differenzierung. So gestaltete sie die Konstanze konsequent an gesangesartistisch berühmten Kolleginnen vorbei und entging so auch einem Vergleich, der natürlich zu ihrem Ungunsten hätte ausfallen müssen. Natürlich muss man hier immer den kleineren Raum der Volksoper in Betracht ziehen und auch das in der kleinen Originalbesetzung behutsam agierende Orchester, das das Stimmvolumen der Sänger nicht noch extra herausforderte. Dieser Befund gilt in Summe auch für Yoon-Jeong Shin als quirlige Blonde, und Oliver Ringelhahn als, durchaus über interessante stimmliche Reserven verfügenden, Pedrillo. Und den Bass von Bjarni Thor Kristinsson wird man auch nicht als "profund" bezeichnen dürfen, aber dafür war sein Osmin in bester Spiellaune. Für die Volksoper war dieser Abend jedenfalls ein Rundum-Erfolg.

Laut Standard, Wolfgang Schaufler, hat Mark Foster "langsame Tempi" geschlagen, laut H. G. Pribil in der Wiener Zeitung neigte er zum "hetzen", laut ghjk in der Presse hat er zum "Schleppen" geneigt, für Franz Endler, Kurier, ist er "immer eine Nuance zu schnell" gewesen.

Irgendwie schien Imhoofs Inszenierung die Frage zu provozieren, ob Konstanze ihrem Belmonte nicht doch untreu gewesen ist. Laut Standard anscheinend nicht, hier wird die Darstellung von Konstanzes Verwirrung als der "einzige Moment szenischer Glaubwürdigkeit" befunden. Für Franz Endler ist das alles schon gewagter: "... das Konstanze sich so offensichtlich in ihn verliebt und seine körperliche Anziehung so sichtlich genießt, kann ich aus Mozarts Musik nicht hören."
Für ghjk wird Bassa Selims "Sieg eindeutig vor Augen geführt." Er schreibt von der "Fälscherwerkstatt des modernen Regiehochmuts". Auch für H. G. Pribil hat sie etwas mit ihm "gehabt".

Das Orchester lobt Wolfgang Schaufler im Standard nicht sehr. Für Franz Endler war es "recht angemessen": "Endlich, endlich eine Aufführung am Währinger Gürtel, die man als beständig
krittelnder Opernfreund empfehlen kann."

Auch die Wiener Zeitung findet: "diese Produktion ist so übel nicht" und sie "kann der Volksoper durchaus zur Ehre gereichen - auch wenn sie natürlich die Grenzen des Sängerpotentials des Hauses ganz deutlich erkennen lässt."

In der Presse wird "die
Leistung der überwiegend sehr jungen Sängerschar"
gelobt.

Hmm, am besten selber hingehen und herausfinden, ob da wirklich was läuft, zwischen Konstanze und dem Bassa Selim!