DON GIOVANNI
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Wiener Volksoper
3.5.2004

Dirigent: Julia Jones

Don Giovanni - Morten Frank Larsen
Komtur - Janusz Monarcha
Donna Anna - Donna Ellen
Don Ottavio - Johannes Chum
Donna Elvira - Elisabeth Kulman

Leporello - Florian Boesch
Zerlina - Adrineh Simonian
Masetto - Josef Wagner


„Höllenfahrt
in der Vorstadt“
(Dominik Troger)

An der Volksoper wurde Mozarts „Don Giovanni“ wieder in den Spielplan aufgenommen – in deutscher Fassung und in einer praktikablen Inszenierung von Marco Arturo Marelli aus dem Jahre 1988. Ich fand den Abend zwar nicht so gut gelungen wie den „Figaro“ im Februar, war aber vom unprätentiösen, „natürlichen“ Mozartsound, der aus dem Orchestergraben kam, wieder sehr angetan.

Marelli inszenierte „Don Giovanni“ als „Theater auf dem Theater“. (Bühnenbild: Marelli, Kostüme: Dagmar Niefind.) Das ist nicht nur deshalb augenscheinlich, weil immer wieder rote Bühnenvorhänge als Raumteiler verwendet werden. Dem verlotterten Commedia dell´arte Kostüm Leporellos nach zu schließen, verdingt sich hier vielleicht eine italienische Schauspielertruppe. „Don Giovanni“ wird dadurch zum „Spiel im Spiel“ und die Geschichte des ultimativen Frauenverführers kommt ohne aufdringliche Umdeutungen aus. Letztlich verschlingt der Bühnenboden die meterlange Festmahltafel in Don Juans Etablissement und der böse Kerl rutscht auf der blankpolierten, schräg in den Krater ragenden Tischplatte, in den Höllenschlund. Da verschlug es sogar den anwesenden Schulklassen für kurze Zeit das Geflüster beziehungsweise das SMS-Getippe. (Nur der Abgang des Komturs erscheint ein wenig platt, der marschiert einfach nach rechts ab, als wäre nichts geschehen.)

Marelli hat sich an die Opera buffa gehalten, und wer aus dieser Inszenierung eine „Don Giovanni“-Metaphysik destillieren wollte, wird es schwer haben. Sentiment, Pathos, der grundlegende tragische Konflikt werden nur zu Beginn und am Ende szenisch forciert, demgemäß sind auch Donna Anna und Don Ottavio ziemlich blässlich, die Figuren insgesamt mehr als Typ denn als Charakter gezeichnet. Don Giovanni, der zuerst in rotem Kostüm auftritt, scheint ganz von Liebesfeuer entbrannt, um auf einer ziemlich leergeräumten „Pawlatschen“ mit allen Mitwirkenden sein frivoles Spiel zu treiben. Die Grundhaltung der Inszenierung ist naiv. Für die komplexe und zerrissene Psyche einer Donna Anna ist da kein Platz, für eine hinterhältigere Gefährlichkeit des Don Giovanni offenbar auch nicht.

Mozart ist in den Händen von Julia Jones sehr gut aufgehoben. Die beiden pflegen eine Art von freundschaftlichem Einverständnis, bei dem der eine dem anderen des öfteren auch mal schelmisch zublinzelt – und so kommt man als Zuhörer nicht ins Grübeln. Es geht meist flott dahin, und bei aller Akkuratesse bleibt die spielerische Note unüberhörbar. Dabei kommen auch Feinheiten nicht zu kurz, wie zum Beispiel das begleitende schelmische Lachen der Bläser, mit dem Mozart im ersten Teil der Register-Arie Leporello orchesterseitig charakterisiert, oder die Barockizismen, mit denen sich Mozart über Donna Elvira lustig macht. Jones scheint mir in der Art, wie sie Mozart spielen lässt, dem Barock überhaupt näher zu stehen, als dem darauf folgenden 19. Jahrhundert. Dadurch wird die deklamatorische Raffinesse in Mozarts Musik sicher besser zur Geltung gebracht. Die dynamischen Unterschiede werden teils stark forciert, so etwa in der Ouvertüre, wo es mir schon zu heftig und paukenlastig hineinschnitt. Das Resultat ist insgesamt ein sehr lebendiger und geradliniger, an der Dramatik des Bühnengeschehens orientierter Mozart, dem immer noch genug Luft für den emotionalen Effekt bleibt, wenn es darauf ankommt.

Morten Frank Larsen kam bei seinem Don Juan-Debüt an der Volksoper sozusagen in den Genuss eines Heimspiels. Optisch ist er für diese Rolle sowieso gut geeignet. Die Inszenierung tendiert manchmal ein bisschen in die Richtung, aus Don Juan ein Pin-up für opernbegeisterte Mozartenthusiastinnen zu machen – eine Anforderung, der man sich als Mann mit Larsens Aussehen ruhigen Gewissens stellen kann. Gesanglich war Larsen sehr solide, aber mich hätte mehr Zynismus und Brutalität im Ausdruck nicht gestört. Markanter wurde sein Don Giovanni erst gegen Ende. Die Herausforderung durch den mehr gemütlichen als dämonischen Komtur von Janusz Monarcha ließ Larsen doch noch zulegen – das war dann spannendes Musiktheater.

Die Donna Anna von Donna Ellen litt unter problematischen Höhen und eindeutig unter der Regie, die wenig mit ihr anzufangen wusste – die interpretatorische Tiefe hielt sich hier in noch engeren Grenzen. Johannes Chum, Debütant an der Volksoper, sang den Don Ottavio meinem Empfinden nach zu feinnervig und asketisch. Sein Timbre ist eher kühl und klar, verströmt wenig Wärme. Da hat es Don Ottavio dann noch einmal so schwer, sein Image als „blasser Liebhaber“ loszuwerden.

Der Leporello von Florian Boesch war von allen Beteiligten auf der Bühne am stärksten „Charakter“. Boesch legte die Figur nicht als „Schatten“ oder „Alter ego“ Don Juans an – und das brachte einiges an Lebendigkeit auf die Bühne. Das Kleiderwechselspiel und die peinliche Entlarvung vor den Augen der versammelten RächerInnen-Gemeinde im zweiten Teil ließ mit dieser „Leporello-Kreatur“ sogar Mitleid aufkommen. Auch gesanglich war Boesch mit kräftigen Tönen daran gelegen, vor seinem „Herrn“ Gesicht und Individualität zu wahren.

Für Donna Elvira (Elisabeth Kulman) gilt ebenfalls die Einschränkung, dass sie im Ausdruck mehr an der Oberfläche ihres von Leidenschaften aufgewühlten Herzens haften blieb. Eine sinnfällige Idee war es, ihr weißes Kleid am Saume mit rötlicher, nach oben hin auszüngelnder Farbe zu versehen – wie angebrandelt von Don Giovannis Leidenschaft. Adrineh Simonian war eine innig-brave Zerlina, und Masetto (Josef Wagner) setzte auch schauspielerisch gute Akzente.

Ein Vergleich mit den letzten Staatsopern-Don Giovannis wäre verlockend, ich werde der Versuchung aber widerstehen. Die Inszenierung an der Volksoper ist jedenfalls lebendiger als die an ihren Kostümen erstickende Staatsopern-Version. Außerdem steht in der Staatsoper „Don Giovanni“ erst wieder im Jänner 2005 auf dem Spielplan. Jedenfalls merkt man an solchen Abenden, dass die Staatsoper oft genug auch nur „mit Wasser kocht“ und an einem kleineren Haus die intimere Nähe zu Mozarts Musik ein großes Plus darstellt. Da sticht dann auch die Karte einer vermeintlich höheren künstlerischen Qualität gar nicht so leicht, weil die spontane Unmittelbarkeit in einem großen Haus viel leichter verloren geht.

Dem Publikum hat es gefallen - und, wenn ich es so recht überlege - auch mir.