DON GIOVANNI
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Staatsoper
16. April 2024


Dirigent: Bertrand de Billy



Don Giovanni - Andrzej Filonczyk
Donna Anna -
Federica Lombardi
Don Ottavio -
Bogdan Volkov
Donna Elvira -
Nicole Car
Leporello - Christopher Maltman
Zerlina -
Isabel Signoret
Masetto - Jusung Gabriel Park
Komtur - Antonio di Matteo


„Leporello schaukelt den Laden

(Dominik Troger)

Ein noch sehr junger Don Juan und ein erfahrener Leporello prägen die aktuelle Aufführungsserie des „Don Giovanni“ an der Wiener Staatsoper: eine etwas ungleichgewichtige „Beziehung“, die die Aufführung nicht so recht zu beleben vermochte.

Die Neuinszenierung des Staatsopern-„Don Giovanni“ von Barrie Kosky aus dem Dezember 2021 hat es inzwischen auf 25 Vorstellungen gebracht. Die Premierenbesetzung Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Philippe Sly (Leporello) hat die Produktion zwei Saisonen lang beherrscht. Die beiden haben sich wie zwei „Blutsbrüder“ gezankt, gehaut und „geliebt“ – Leporello in psychischer, womöglich auch erotischer Abhängigkeit von seinem Herrn.

Davon war an diesem Abend wenig zu spüren. Als Don Giovanni entwickelte der polnische Bariton Andrzej Filonczyk zu wenig Überzeugungskraft – und Christopher Maltman, selbst über viele Jahre ein bedeutender Vertreter der Titelpartie, hat seinen Leporello ganz „konventionell“ als buffonesk eingefärbtes, humorvolles Rollenporträt präsentiert: selbstbestimmt, launig, verschmitzt. Er gab im Gegensatz zum Regiekonzept alles andere, als einen labilen Jugendlichen, sondern einen „gestandenen“ Diener, der in der Registerarie Donna Elvira die Eroberungen Don Juans mit süffisantem Genuss „serviert“. Maltman ließ eine kräftige Stimme hören, setzte sie prägnant und wortdeutlich ein, und es wäre ihm ein Leichtes gewesen, mit seiner spielerischen und gesanglichen Präsenz die Rolle seines Herrn zu usurpieren.

Die Sängerkarriere von Andrzej Filonczyk ist gerade am Durchstarten. Er besitzt nach meinem Ersteindruck einen viril timbrierten, lyrischen Bariton, ist aber noch etwas ungelenk in der Ausformulierung charmanter Komplimente – zum Beispiel fand sein Werben um Zerlinas Hand kaum zu einnehmendem Charme, zu Locken und Schmeicheln. Im Finale fehlte es ihm an trotziger, das Schicksal herausfordernder Durchsetzungskraft. Der Rollencharakter war noch nicht ganz durchgeformt, der Sänger noch auf der Suche nach jener verführerischen Selbstsicherheit und Selbstüberschätzung, mit der Don Giovanni sich zu inszenieren hätte, um zum Mittelpunkt jeder Aufführung zu werden.

Außerdem muss die Inszenierung in Rechnung gestellt werden, die auf einem offenen Bühnenbild basiert, das eine schwarze Felslandschaft zeigt, und die sehr stark auf das schauspielerische Potential der Sänger abstellt. Nicht einmal einen tollen Zweikampf mit dem Komtur darf Don Giovanni fechten, sondern wie Straßenräuber fallen er und Leporello über den alten Kerl her und schlagen ihm den Schädel ein. In einem konventionellen Bühnensetting hätte sich Filonczyk vielleicht leichter getan – in einem Sevilla „berühmt für Orangen und Frauen“ wie einst Lord Byron in seinem „Don Juan“-Poem gedichtet hat.

Die Symbiose dieser beiden fruchtigen Ingredienzen eines Byronschen Spanien hat an diesem Abend der Sopran von Federica Lombardi verkörpert. Lombardi hat bisher nur die Donna Elvira an der Staatsoper gesungen, jetzt kam sie einspringender Weise zu Donna Anna-Ehren. Lombardis Sopran erwies sich als tragfähig, das Timbre südlich erwärmt. Auch wenn in der Höhe der Reiz der Stimme etwas abnimmt, überzeugte die ausgewogene Durchgestaltung der beiden Arien. (Sie hat die Partie kurzfristig von Slávka Zámecniková übernommen. Die bekannten rosa Zettel haben es aber nur mehr punktuell auf die Abendplakate geschafft.)

Man könnte die Donna Anna auch expressiver Anlegen, aber das hätte vielleicht den stimmlich etwas zartbesaiteten Don Ottavio von Bogdan Volkov „verunsichert“. Volkovs aquarellierender Tenor hatte in den Ensembles wenig Chance, sich Gehör zu verschaffen, aber die beiden Arien wurden mit Gespür und Gestaltungsgabe vorgetragen. (Er ist in dieser Aufführungsserie für den erkrankten Edgardo Rocha eingesprungen.) Isabel Signoret sang eine mit hübscher Erotik ausstaffierte Zerlina. Die Stimme ist nicht sehr groß und an einem kleinen Haus wäre sie wahrscheinlich besser aufgehoben. Jusung Gabriel Park sorgte als Mitglied des Opernstudios für einen noch zu harmlos agierenden Masetto. Antonio di Matteo war mir als Komtur stimmlich zu wenig profund. Aber auch hier: Die Regie bringt die Figur um ihre Wirkung. Ihr Auftritt als blutverschmierter Untoter im Finale ist mehr lächerlich als furchterregend.

Nicole Cars Donna Elvira hätte ein bisschen mehr südliche „Stimmwärme“ nicht geschadet. Ihr Sopran besitzt kaum Tiefe, die große Arie im zweiten Akt entfaltete wenig Emotionen, sondern eilte sehr geradlinig ihrem Ende zu. Aber das war wohl im Sinne von Bertrand de Billy, der im Orchestergraben auch nicht gerade die großen Emotionen weckte, sondern straff und kompakt die Aufführung zusammenhielt und vorantrieb. Möglicher Langeweile wurde damit vorgebeugt, eine Verflachung des Ausdrucks gefördert. Glücklicher Weise wurde die Beiläufigkeit, mit der die Ouvertüre gegeben wurde, nicht zum Maßstab für die ganze Aufführung. Von einer ausdifferenzierteren Dynamik hätten einige Mitwirkende allerdings stark profitiert. Der dankbare Schlussapplaus zählte rund sechs Minuten. Das Publikum war wieder sehr stark touristisch durchsetzt, nach dem ersten Teil der Registerarie wurde kurz hineingeklatscht. Stammpublikum war zumindest auf der Galerie rar gesät.

PS: Die Erwähnung Lord Byrons ist eine anlassbezogene Huldigung des „enfant terribles“ der englischen Literatur, ist er doch am 19. April 1824 – also ziemlich genau vor 200 Jahren – verstorben.