DON GIOVANNI
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Staatsoper Regie: Barrie
Kosky
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Don Giovanni - Kyle
Ketelsen |
Die Wiener Staatsoper hat einen neuen „Don Giovanni“. Er wurde aus COVID-Lockdown-Gründen dankenswerter Weise per Live-Stream und zeitversetzt per TV ins Haus geliefert. Auf diese Weise konnte der Premierentermin an Mozarts Todestag gehalten werden, auch wenn das Publikum – wieder einmal – pandemiebedingt nicht vor Ort sein durfte. Die letzte Neuinszenierung des Werkes an der Staatsoper liegt ziemlich genau elf Jahre zurück. Die Produktion von Jean-Louis Martinoty hat damals wenig Enthusiasmus geweckt. Jetzt durfte Barrie Kosky sein Glück versuchen. Er siedelte die Handlung in einer plateauartigen Felslandschaft an, in der Don Giovanni in manisch-lüsterner Getriebenheit einem prosaischen Herzinfarkt anheim fällt. Natürlich baut jede Auseinandersetzung mit dem „Don Giovanni“ auf einem ganzen Archiv voller Rezeptionsgeschichte auf und das ist eine große Herausforderung für Leadingteams – aber auch für Rezensenten. Die Sache mit dem „Myokardinfarkt“ hat beispielsweise schon der opernbegeisterte Psychiater und Neurosenforscher Erwin Ringel vor mehr als 30 Jahren propagiert. Und der Schluss von Koskys Inszenierung, wenn sich der tote Don Giovanni wieder unter die Lebenden mischt, erinnerte an eine Produktion von Peter Brook um die Jahrtausendwende in Aix-en-Provence. Aber Don Giovanni war ohnehin schon alles mögliche: Sandler in New York und rauschgiftsüchtig, lüsternd umlagert von „Palmers Girls“ oder (eine der schwungvollsten modernen Ausdeutungen, die Keith Warner im Theater an der Wien gelungen ist) Hoteldirektor. Viel Interpretationsspielraum gibt es nicht mehr. Abgesehen davon: ein Mythos wie „Don Giovanni“ stirbt an keinem Herzinfarkt, ein Mythos wird vom Teufel geholt. Doch zurück zur Neuproduktion der Wiener Staatsoper. Dem szenischen Ambiente gemäß, geht es recht brutal zu. Der Komtur wird von Don Giovanni und Leporello mit Steinen erschlagen. Aber dann macht sich der Komtur wie ein Zombie selbst davon, nachdem er sich von Donna Anna und Don Ottavio lange genug hat betrauern lassen. Ein Untoter, der im Finale ebenso untot und mit blutverschmiertem Haupte wieder auftauchen wird, um nach vollbrachter Tat ebenso unspektakulär von der Bühne zu stapfen. Ist das Humor? Die weitgehende Requisitenlosigkeit war ein zusätzliches Erschwernis: Wurde nicht ein bisschen viel mit Bühnengestein hantiert? Ein faustgroßes Stück wurde sogar als „Komturdenkmal“ besungen. (Von einem Friedhof war nichts zu sehen, es blieb ein „Don Giovanni“ ganz ohne „Metaphysik“.) In einer Felsvertiefung befand sich eine Wasserlacke, in der Don Giovanni und Leporello planschen durften. Dass Leporello aus dieser Lacke den „Marzimino“ schöpft, sollte auch das lustig sein? Die Registerarie als Pantomine des Leporello, der sich immer an den Kopf greifen muss, um sein Nachdenken anzudeuten, was er als nächstes Donna Elvira auftischen wird: enervierend! Langsam verfestigt sich in mir die Gewissheit: Je mehr Interviews im Vorfeld gegeben werden, umso schwächer die Inszenierungen. Außerdem überschritt die Personenregie oft genug die Grenze zur Outrage. Vor allem Masetto war überzeichnet. Und nachdem er von Don Giovanni verprügelt wurde, durfte er sein Bühnenblut schmusend im Dekolleté der Zerlina verschmieren. Ein großes Minus gibt es für den Zwischenvorhang vor Donna Annas Arie im ersten Akt. Er hebt sich erst wieder gegen Ende des „Dalla sua pace“. (Gespielt wurde die übliche Mischfassung.) Hinter dem Vorhang wird die Zeit wird derweil genützt, um der Felskargheit des Bühnenbildes ein paar großgewachsene Pflanzen zu verpassen, die hoch wie Bäumchen wachsen. Als Kopfschmuck werden von der Festgesellschaft Pflanzenarrangements getragen. So manchem und mancher hing der Efeu „hippieg“ vors Gesicht. Die hübschen Kostüme riefen Erinnerungen an die 1970er-Jahre wach. Aber die Freude über ein bisschen Bühnengrün währte nicht lange, nach der Pause stand das öde Felsplateau wieder in allen Würden. Die Ouvertüre wurde nicht verinszeniert. Dafür gibt es ein ganz großes Plus. Streams haben den Nachteil, dass sich die Szene gegenüber der Musik zu stark in den Vordergrund drängt. Der musikalische Eindruck soll deshalb nur vorsichtig umrissen werden – aber insgesamt hätte man sich hier (viel) mehr erwarten dürfen. Wenn Kosky im Vorfeld der Premiere in Interviews immer vom „Eros“ gesprochen hat: Don Giovanni ist die Galionsfigur dieses Eros, der hier vor allem auf schlanke, körperliche Wendigkeit reduziert wurde. Der Don Giovanni des Kyle Ketelsen bot eine glatte, stark im schauspielerischen verankerte Interpretation mit einem schlanken, eher einförmig eingesetzten Bassbariton. Kaum zu glauben, dass sich Zerlina von ihm verführen lassen möchte, so uncharismatisch wie er um ihr Händchen bittet. Don Giovanni als ein hedonistischer Materialist? Ich konnte mit dieser Rollengestaltung nichts anfangen. Dem Leporello von Philippe Sly war dieser Don Giovanni ein nachzuahmendes Vorbild. Er hatte schwarz lackierte Fingernägel und hinterließ – im Kapuzensweater verpackt – den Eindruck einer verlorenen jugendlichen Seele, die in irgendwelchen Großstadt-Suburbs in schlechte Gesellschaft geraten ist. Gesanglich hat Sly aus dem Leporello zu wenig herausgeholt, trotz aller körperlich-sportlichen Fitheit. Aber womöglich hat Kosky die Beziehung Don Giovanni – Leporello psychologisch viel zu eng geschnürt. Sollte sie gar eine erotische sein? Kosky hat den Leporello am meisten von allen verzeichnet. Hanna-Elisabeth Müller hat die Donna Anna schon vor zwei Jahren an der Staatsoper gesungen, ein störendes Vibrato, sobald es „dramatischer“ wird, war dem Gesamteindruck eher abträglich. Die Stimme stieß zu schnell an ihre Grenzen. Donna Anna hatte offenbar die Aufgabe, depressiv zu sein – oder so ähnlich. Sehr stark in den Vordergrund hat sie sich nicht gedrängt. Kate Lindsey glänzte mit starker Ausdruckskraft, aber ihr Mezzo klang recht forsch. Für den ersten Akt und diese Inszenierung war das nicht unpassend. Bei ihrem Auftritt dachte ich zuerst, Monteverdis Nero schleicht herein. Stanislas de Barbeyrac verfügt über einen langen Atem, aber sein „Dalla sua pace“ würde ich nicht unter „Best of Mozart“ reihen. Die Stimme hat ein eigenartiges Timbre, ihr fehlt die Mozart’sche Klarheit, und das Schmachten ist ihre Sache nicht (mehr). War da nicht ein leicht heiserer Tonansatz zu hören, gab es nicht ein paar Piani, die sich erst „klären“ mussten? Nach der Pause ging es besser. Peter Kellner, der am Haus bereits den Leporello gesungen hat, war beim Masetto gut aufgehoben, auch wenn er die Rolle in outrierter Rage abhandeln musste; Patricia Nolz gefiel als Zerlina, wobei ihre Stimme an diesem Abend unter Belastung zu schnell an lyrischem Reiz verlor. Ain Anger sang den Komtur wenig furchteinflößend. Das Orchester unter Philippe Jordan servierte einen „klangvollen“, mehr an „romantischen“ Vorbildern orientierten Mozart, in Summe etwas zügig dirigiert, aber angesichts dieser Inszenierung irgendwie ohne Chance, in einem Stream dem musikalischen Part Charisma zu verleihen. Ich erinnere mich aber, öfters aufgehorcht zu haben, etwa wie die kurze Einleitung zu Donna Annas Rezitativ „Don Ottavio, son morta“ in seltsam düstere Farben taucht oder an den, dem Schicksal eine Nase drehenden Witz im Molto Allegro der Ouvertüre (nach einem flachen und zu wenig davon abgesetzten Andante). Aber muss es nicht trostlos sein, als Dirigent drei Stunden lang dieses Bühnenbild vor sich zu haben? Fazit:
Nicht nur an der Staatsoper scheint man in zunehmendem Maße schauspielerische Qualitäten über gesangliche zu stellen.
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