DON GIOVANNI
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Konzerthaus
7. September 2019
Semikonzertante Aufführung


Dirigent:Teodor Currentzis

Regie: Nina Vorobyova
Kostüme: Svetlana Grischenkova
Licht: Alexey Khoroshev

musicAeterna Orchestra
musicAeterna Choir


Don Giovanni - Dimitris Tiliakos
Komtur -
Robert Lloyd
Donna Anna -
Nadezhda Pavlova
Don Ottavio -
Kenneth Tarver
Donna Elvira -
Federica Lombardi
Leporello -
Kyle Ketelsen
Zerlina -
Christina Gansch
Masetto -
Ruben Drole


„Don Giovanni
mit Schlusspointe“

(Dominik Troger)

Don Giovanni fährt zu Hölle. Stille. Niemand klatscht. Hat der Dirigent die Scena ultima gestrichen? Die Mitwirkenden marschieren ab. Beifall setzt ein. Die Vorstellung ist zu Ende.

Das Schlussapplausritual beginnt. Die Sängerinnen und Sänger und der Dirigent betreten einzeln wieder das Podium des großen Konzerthaussaals. Erste Besucher verlassen den immer noch abgedunkelten Saal, durch die großen Türen fällt der alle Opernträume durchschneidende Lichtstreifen des Alltags. Doch ... ist da nicht plötzlich wieder Mozarts Musik zu hören? „Ah dove è il perfido ...“ stehen die Rächerinnen und Rächer vor dem nachglühenden Schlund des Höllentores, durch das Don Juan soeben mit viel „Trara“ verschwunden ist. Das Publikum bei den Türen und vor den Türen strömt wieder zurück in den Saal. Die Scena ultima ist also doch nicht gestrichen worden.

Man kann über diesen „Schlussgag“ geteilter Meinung sein, die Reaktionen des Publikums waren aber wieder sehr positiv. Abgesehen davon hat Teodor Currentzis die heute übliche „Mischfassung“ mit beiden Don Ottavio-Arien und dem „Mi tradi quell‘ alma ingrata“ der Donna Elvira zur Aufführung gebracht und sich nicht auf eine „Prager“ oder „Wiener Fassung“ festgelegt.

Die Besetzung war – im Vergleich zum „Figaro“ – überzeugender, das muscaAeterna Orchestra stieß allerdings an seine Grenzen, die Durchhörbarkeit der „Höllenfahrtsmusik“ war nicht mehr gegeben, sondern sie geriet, wie auch schon das Finale das ersten Aktes, zu einem lauten, forschen „Dreinschlagen“ – und die Champagnerarie flog einem um die Ohren wie ein Feuerwerk aus trocken aufplatzenden Sektkorken.

Ansonsten war wieder das Currentzis eignende „Menü“ angerichtet mit viel Freiheiten in der Begleitung der Rezitative (etwa in der Einleitung zur Friedhofsszene) und manch ausgeschmückter Phrase in den Arien. An dem grundsätzlichen Verfahren scharfer dynamischer Gegensätze und deutlich von einander abgesetzter Tempi (meist flott, dann ein sehr langsames Verzögerungsmoment) hat sich nichts geändert. Daraus resultierte manch „seltsamer“ Effekt, jedenfalls oft eine neue Wahrnehmung von Szenen, die aber jetzt nicht unbedingt einem natürlichen, dramatischen Impuls zu folgen schienen. Dergleichen färbte stark auf die Rezitative ab. Dazu kamen ein paar interessante „Deutungsversuche“: Zerlina beim „Batti, batti“ als sich an Cellisten schmiegendes Kätzchen, dass gar nicht devot Masetto nur noch mehr herauszuforden scheint – dagegen ihre fast ängstliche Annäherung an Don Giovanni während des „Lá ci darem la mano“, das diesmal wenig an Verführungskunst zu bieten hatte.

Das aufschreiende „giura“ der Donna Anna wird einem in Erinnerung bleiben, obwohl auch dieses Duett mit Don Ottavio nicht wirklich flüssig geriet. Currentzis scheint sich Mozart oftmals über zwei Ecken anzunähern, was es nicht einfach macht, die Absicht, die dahinter liegen könnte, zu erkennen. Und wenn er nicht an der Geschwindigkeitsschraube drehen kann, besteht die Gefahr der Langatmigkeit wie etwa im Quartett des ersten Aktes. Andererseits begrenzt er durch ein (zu) rasches Tempo den Gestaltungsspielraum der Sänger – was an diesem Abend beispielsweise in der Registerarie spürbar wurde. Die Ouvertüre begann verheißungsvoll, aber schon nach wenigen Takten ließ die Spannung nach, der Übergang zum Molto Allegro war verwischt, und das kecke, „Don juaneske“-Spiel in den Violinen wurde zu wenig herausgehoben, um selbstbewusst seine „eigene“ Geschichte zu erzählen.

Die Besetzung hinterließ einen besseren Eindruck, als beim vorgestrigen „Figaro“. Aber auch hier gilt: Im Theater an der Wien hätte man sich von ihr ein besseres Bild machen können als im Konzerthaus. Dimitris Tiliakos sang einen recht trockenen Don Giovanni mit wenig einschmeichelnder Grandezza und mehr im technischen Sinne funktioneller als in erotischem Sinne verführerischer Stimme. Es wäre schön gewesen, hätte er sich seine Unmoralität mit reichhaltigerem Stimmmaterial ersungen. Er und Leporello (Kyle Ketelsen) waren sich ein Spur zu ähnlich, auch wenn Ketelsen sich mit einigem Witz als Diener von seinem Herren abgegrenzt hat.

Die Ohren so richtig „gespitzt“ hat man jedenfalls beim sehr feinfühlig gesungenen „Dalla sua pace“ des amerikanischen Tenors Kenneth Tarver. Die Donna Anna der Nadezhda Pavlova war aus anderen Holz geschnitzt, sang ein bemerkenswertes „Non mi dir“, stark konturiert, wobei im ersten Akt ihr Sopran in der Höhe nicht ganz davor gefeit war, ein bisschen aus der Spur zu rutschen. Sie gab der Donna Anna jenen leicht hysterischen, markanten Zuschnitt, der den emotionalen Druck, unter dem sie steht, gut einfängt. Federica Lombardi bot eine jugendliche, nach der Pause überzeugendere Donna Elvira. Christina Gansch war bei der Zerlina am richtigen Platz, wobei ihr Sopran in der Höhe nicht mehr ganz so leicht geführt wurde. Ruben Drole sang einen rauen Masetto, der Komtur von Robert Lloyd war wenig furchteinflößend.

Nina Vorobyova hat die semikonzertante Aufführung wieder in den großen Konzerthaussaal eingepasst – und das ist beim „Don Giovanni“ besser gelungen als beim „Figaro“. Der Raum war wieder weitgehend abgedunkelt. Die Friedhofsszene war nicht ohne Reiz, in der Leporello und Don Giovanni durch den ganzen Zuschauerraum getrennt in den Saal „stolperten“, Leporello mit dem Handy als Taschenlampe. Der Komtur stellte sich unter dem Orgelbalkon auf und wurde so geschickt beleuchtet, dass er für eine „Statue gehalten werden konnte. Für eine spektakuläre Höllenfahrt fehlten allerdings die Kulissen.

Im ersten Akt wurde vom Chor ein „Viva la libertà“-Transparent vor dem Dirigentenpult aufgezogen und die Aufführung erzeugte kurz den Taumeln einer revolutionären Aktion. Wenn man an die manchmal krampfhaft anmutenden Regieversuche denkt, mit denen „Don Giovanni“ in den letzten Jahrzehnten schon bedacht worden ist, dann verbreitete gerade diese Szene eine erfrischende Aufmüpfigkeit. Ein großer Teil des Publikums zeigte sich vom Gehörten und Gesehenen jedenfalls begeistert.

Nach dem „Figaro“ war eine aufsteigende Tendenz feststellbar – und Enthusiasten wie Skeptikern bietet diese Aufführungsserie reichlich Stoff für lange, die mitternächtliche Stunde schnell überschreitende „Nachbesprechungen“.