DON GIOVANNI
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Volksoper
14. November 2015
Premiere


Dirigent:
Jac van Steen
Regie, Bühnenbild, Licht & Kostüme:
Achim Freyer

Mitarbeit Regie: Sebastian Bauer
Mitarbeit Bühnenbild & Kostüme: Petra Weikert

Don Giovanni - Josef Wagner
Komtur - Andreas Mitschke
Donna Anna - Kristiane Kaiser
Don Ottavio - Jörg Schneider
Donna Elvira - Esther Lee
Leporello - Mischa Schelomianski
Zerlina - Anita Götz
Masetto - Ben Connor


„Opern-Cartoon

(Dominik Troger)

Die Wiener Volksoper hat einen neuen „Don Giovanni“, der im unverkennbaren „Design“ von Achim Freyer die mythenumwobene Titelfigur als „Prinzip“ der Verführung auf die Bühne bringt. Die Produktion hat Wiedererkennungswert, das kann nicht geleugnet werden.

Der „Eros“ regiert die Welt – und Achim Freyer hat dem „Eros“ eine Bühnenwelt gebaut, die sich als stilistische Synthese von Commedia dell‘arte, Pop, Punk und Puppentheater versteht, mit Weiß als Grundfarbe, mit strichgeführter schwarzer Konturierung und bunten und neckischen Accessoires, wie roten Handschuhen oder kleinen aufgenähten Kugelbrüsten für Zerlina. Da darf Don Juan einen stolzen federbewährten Hut schwingen und Leporello einen schwenken, der mit einem „männlichen Anhängsel“ drapiert ist – und Donna Elvira stehen ihre rosa Haare nicht nur sprichwörtlich zu Berge. Die Gesichter sind weiß geschminkt, ein wenig „clown-artig“, die Augen mit schwarzer Kontur herausgehoben.

Das Einheitsbühnenbild wirkt wie ein mit flottem Strich gezeichneter Cartoon. Ganz wesentliches Element der Bühnengestaltung ist eine langer, mittiger Tisch, der sich immer wieder dreht, unter dem sich die Mitwirkenden verstecken können, auf den sie steigen, und der zudem als Tafel fungiert, wenn Don Juan seine Feste feiert. Im Hintergrund gibt es eine Kapelle, es gibt einen Leuchtturm und im ersten Akt sitzen sogar Fischer mit dem Rücken zum Publikum am Strand. Sie fangen einen großen Fisch, der schlussendlich auf Don Giovannis Tafel landet. Die Liebe zum Detail paart sich mit künstlerischer Abstraktion – die Charaktere wirken entpersönlicht, zeigen immer wieder typische, auf die jeweilige Figur bezogene Gesten, die sich nicht an die in Libretto und Musik vorgegebenen Emotionen halten. Freyer löst die Personen der Handlung aus einer psychologischen Betrachtungsweise, verfremdete sie, schafft in einem auf den ersten Blick als „Kunstraum“ erkennbaren Ambiente eben solche „Kunstfiguren“, die nichtsdestotrotz einem erkennbaren Hedonismus frönen.

Angereichert wird Freyers „Kunsttheater“ durch einen juvenilen Humor, wenn etwa Don Juan den Komtur mit einer großen Gabel ersticht. Essen spielt überhaupt eine große Rolle an diesem Abend, Don Giovannis Festgelage, dem der moralisierende Komtur beiwohnen wird, ist überbordend mit Essbarem versehen – aber alles in stilisierte Formen gebracht, natürlich weiß und schwarz konturiert. Don Giovanni is(s)t maßlos – und die Höllenfahrt wird zu einem bacchantischen Ritual – wenn Don Giovannis Verfolger aus dem Schatten herankriechen, um ihm die „Hölle“ zu machen. Rotes Licht flammt auf, sengt Don Giovanni an, er scheint Feuer zu fassen, ein Lichtkegel bleibt zurück, Finsternis.

Und Freyer treibt das auf die Spitze, lässt Leporello und alle anderen den zerstückelten Don Giovanni zum Verspeisen übrig (der Komtur behält sich den Kopf). Am Schluss der Scena ultima werden im Don-Giovanni-Restaurant sogar Don-Giovanni-Würstel serviert, wird das Publikum gleichsam zur Tafel geladen, um sich am Mahl zu laben und Don Juans-Lustprinzip zu inhalieren. Das Theater als Ort sinnstiftender Rituale und zugleich ihre Kommerzialisierung hat Freyer verschmitzt hinter einer cartoon-artigen Optik versteckt.

Dem Regisseur gelingt es auf diese Weise, eine geschlossene Bühnenwelt zu erzeugen, die zwar Genüssen frönt, aber die in ihrer Künstlichkeit auch schwerfällig werden kann. Das betraf vor allem Ensembles wie zum Beispiel das Sextett im zweiten Akt, eine „Stehpartie“, auch wenn sich Leporello nett durch den – in dieser Produktion offenen – Soffleurkasten vertschüsst und die Kulissenversatzstücke (nicht nur in dieser Szene) durch langsame Bewegung eine Aktion vortäuschen. Dass sich der Komtur mit dem Tod gleich in seine eigenen Statue verwandelt, ließ einen hinwiederum die Bühne als magischen Ort begreifen – und diese „Magie“ ist durchaus ein Markenzeichen Freyers, aber es ist eine Magie, deren Entstehung nicht verschleiert wird: Zwei Bühnenarbeiter mischten sich immer wieder ins Geschehen, sie trugen schwarze Volksopern-T-Shirts, und ihre gewissenhaft verrichtete Arbeit wirkte oft störend – genauso wie das Knarren des Bühnenbodens zur verinszenierten Ouvertüre.

Diese Künstlichkeit wurde durch einen besonderen Effekt verstärkt: Die deutsche und die italienische Fassung wurden derart gemischt, dass sogar in derselben Arie von einem zum nächsten Satz die Sprache gewechselt wurde. Störende Brüche im musikalischen Fluss ließen sich auf diese Weise nicht vermeiden – und für die Mitwirkenden muss es schwer gewesen sein, diese abrupten Sprachwechsel einzustudieren. Dabei spricht nichts dagegen, die Da-Ponte-Opern an der Volksoper nur in deutscher Sprache zu spielen. Im Gegenteil: Der „Don Juan“ ließe sich dann als vorstadtaffines, märchenhaftes „Singspiel“ begreifen (die letzte Volksopern-Produktion von Marco Arturo Marelli aus dem Jahre 1988 hat sich daran ein wenig angelehnt –- es sei an den spektakulären Schluss erinnert, als Don Juan über die lange Tafel in den Höllenkrater rutschte).

Josef Wagner war mit reichhaltigem Bariton dem unwiderstehlichen Verführer ein sehr guter Anwalt, und vermochte im Finale noch einmal jene stimmliche Reserven locker zu machen, die ein Don Giovanni einfach haben muss, damit das Spektakel der Höllenfahrt so richtig gewürdigt werden kann. Wagner vermochte aber auch zu schmeicheln und den Verführer gegenüber Zerlina in die „Zuckerwatte“ anschmiegsamer Zuneigung zu packen. Der Sänger agierte mit dem gebotenen Selbstbewusstsein, die Kostümierung und die Gesamtanlage der Inszenierung waren aber kaum auf die persönlichen darstellerischen Vorzüge der Protagonisten ausgerichtet –- das hat seinen „Sex Appeal“ etwas gedämpft. Wagner hat in den 2000er-Jahren in der alten Inszenierung noch den Masetto gesungen.

Jörg Schneider überzeugte erst beim trefflich gesungenen „Il mio tesoro“, das „Dalla sua pace“ hatte ihm hingegen etwas Mühe bereitet. Mischa Schelomianski und Kristiane Kaiser waren noch „Erbstücke“ der alten Inszenierung (sonst gab es an diesem Abend nur Volksopern-Rollendebüts) – und bei beiden hat sich in den letzten zehn Jahren ihre stimmlichen Anlage wenig verändert:Schelomianski gab einen aus eher einfachem Holz geschnitzten Leporello, und Kaiser hat ein Gespür für die leicht überspannte emotionale Aura der Donna Anna, stieß in den beiden großen Arien aber ein wenig an ihre Gestaltungsgrenzen. Die kokette Zerlina der Anita Götz fand in Ben Connor einen mäßig durchschlagskräftigen Masetto vor, und Esther Lee, als Donna Elvira eingesprungen für Caroline Melzer, agierte gesanglich eher vorsichtig und wirkte auf mich zu wenig sinnlich. Der Komtur von Andreas Mitschke erfüllte mit etwas trockenem Bass seinen Zweck. Das Orchester unter Jac van Steen hinterließ einen guten Eindruck, fand immer wieder zu animiertem, mit Esprit angereichertem Spiel.

Beim Schlussapplaus – etwa acht Minuten lang – gab es neben vielen Bravorrufen (ganz besonders für Don Juan) auch einige Buhrufe, die sich gegen das Regieteam, also Achim Freyer richteten.