DON GIOVANNI
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Wiener Staatsoper im Theater an der Wien
im Rahmen der Wiener Festwochen

30.6.2002

Dirigent: Riccardo Muti

Premiere 20.6.1999
Inszenierung: Roberto de Simone
Bühnebild: Nicola Rubertelli
Kostüme: Zaira de Vincentiis
Lichtgestaltung: Kurt Schöny

 

Don Giovanni - Carlos Alvarez
Komtur - Franz-Josef Selig
Donna Anna - Barbara Frittoli
Don Ottavio - Giuseppe Sabbatini
Donna Elvira - Regina Schörg
Leporello - Ildebrando D' Arcangelo
Zerlina - Angelika Kirchschlager
Masetto - Boaz Daniel


"Kostüm-Schinken"
(Dominik Troger)

Viel Jubel hat diese Don Giovanni-Inszenierung schon bei der Premiere vor drei Jahren nicht ausgelöst - und musikalisch stimmte zwar Vieles, aber auch nicht Alles.

Zu Beginn darf man sich mal an seltsamen Kostümmonstern erfreuen, die statt pseudobarocker Pracht bei allen Stauballergikern die Warnglocken läuten lassen. Keine Frage, dass sich unter solchen Umständen zwischen Don Giovanni und dem Komtur kein hitziges Degengefecht entwickeln kann. Die Sänger selbst erstarren unter den sie einhüllenden Stoffbahnen zu humanoiden Staubmilben, ganz einfach lächerlich. Man durchschaut die Taktik auch bald: praktisch jedes neue Bild bringt neue Kostüme. Donna Elvira zuerst als wirklich reizvolle Amazone im braun-barocken Hosenanzug und mit langem gewelltem Rothaar (Regina Schörg: amazonenstolz und doch voll Liebesehnsucht) muss sich gleich darauf in eine rosa unförmige Robe zwängen. Dem Don Giovanni bleibt in diesen Anfangsszenen auch keine Chance, sich außer über seine Kleidung und ausgiebige Garderobe-Sessions zu profilieren. Die erste dreiviertel Stunde ist von diesen "Kostüm-Schinken" ganz einfach zugemüllt. Später gibt sich das dann ein wenig, und die Gewandung der Protagonisten geht auf eine Zeitreise vom Barock bis ins späte 19. Jahrhundert. (Angeblich soll das zeigen, dass der Don Giovanni-Mythos quer durch die Jahrhunderte wirkt.) Und so entschlacken sich mit den wechselnden Moden auch die Faltenwürfe. (Was auffällt, sind die teilweise üppigen, und meist mit kleinen Stoffröschen gefassten Dekolletés. Fetischisten kommen hier voll auf ihre Kosten! Besonderes Prachtstück, das schwarze "Trauer"-Gewand Donna Anna's...)

Aber die Kostüme passen in jedem Fall gut zu dieser Nicht-Inszenierung, die in einem ziemlich statuarischen Bühnebild mit ein paar hübschen Perspektiven, die Dramatik des Werkes kaum nachvollziehen kann. Der packende Beginn wirkt schon mal wegen der extravaganten Mode so lächerlich, dass er ganz einfach verpufft. Donna Elviras Auftritt wird durch einen Pilger garniert, der unmotiviert und müde auf einen Stab gestützt, über die Bühne spaziert (und einmal sinnend zurückblickt - wahrscheinlich weiß er selbst nicht, was er hier soll). Hin und wieder passieren "aufschlussreiche" Pantomimen im Hintergrund. Manches ist ja auch ganz witzig - etwa das Register von Don Giovanni's Eroberungen - ein altes Fotoalbum in Buchform, das Leporello der armen Donna Elvira süffisant vorblättert. Das Gelage Don Giovannis mit dem "steinernen Gast" geht ziemlich daneben. Schon der Auftritt des Komturs von der linken Seite, als grünspan-geflecktes Bronze-Monster, benimmt sich jeder Chance, hier das Publikum durch eine geheimnisvolle Aura zu fesseln. Ein geschmackloser Grottenbahneffekt, der noch dadurch verstärkt wird, dass Don Giovanni einen Herzanfall simulieren muss. (Im Programmheft wird ausführlich erläutert warum.) Er lässt die Hand des Komturs wieder los (!), und krümmt sich in seinen Fauteuil, um wenig später dem Komtur doch noch dienstbeflissen in den Bühnenhintergrund nachzufolgen. Ein paar Flammenprojektionen züngeln auf, eine kleine Nebenwolke verhüllt Don Giovanni. Das war's. Grausam, dass diese Inszenierung ab nächster Saison an die Staatsoper hinüberwandert.

Carlos Alvarez (Don Giovanni) ist kein Verführer und kein lässig mit Gefühlen spielender Grandseigneur, er ist noch kein "Herr". Er trägt seinen Adel noch zu sehr im Herzen, die Frauen verschmachten schon nach ihm, wenn er sich nur auf der Bühne zeigt. Man kauft ihm den Brutalo-Matscho nicht ab, der sich nächtens heimlich in die Schlafzimmer höhergestellter Jungfern schleicht und Bauernmädchen mit balzendem Gurren verführt. Aber die Champagnerarie geriet wahrlich "süffig", und der zweiten Akt, wenn Don Giovanni's Verführungsneurose langsam in eine Art selbstzerstörerischen Zynismus übergeht, lag ihm eindeutig mehr, als der tändelnde Frauenheld. Vergleicht man es freilich mit seinem Figaro, den er so recht aufmüpfig und mit ganzer Seele verkörpert hat, dann fehlte seinem Don Giovanni noch sehr vieles von der erotisch-dämonischen Überzeugungskraft, die sogar die Höllenmächte heraufbeschwört, um ihn in die luziferischen Gefielde zu entführen und dort auf den glühenden Seelenrost zu spießen. Aber Alvarez ist der kommende Bariton-Superstar, und nicht nur Stimmen brauchen Zeit zum Reifen, auch Persönlichkeiten.

Viel Freude hatte man mit dem Leporello von Ildebrando d'Arcangelo. Sein Leporello atmete ein wenig von der unverdorbenen Frische der Commedia dell'arte - beweglich im Agieren auf der Bühne und im Gesang. Man kann den Leporello sicher unterwürfiger geben, dieser hatte bei allem noch ein Augenzwinkern mit dabei. Aber das passt zu seiner Stimme, die eine gewisse Leichtigkeit besitzt und sich keine schmeicherlische Boshaftigkeit aufsetzt - der Leporello als leichtfertiger Spitzbub hat ihm beim Solovorhang sogar einen geworfenen Blumenstrauß eingetragen.

Stirnrunzelnd folgte man einem säuselnden Giuseppe Sabbatini in die tenoralen Regionen des Don Ottavio. Für das "Dalla sua pace" fehlte ihm völlig jene ins Piano hinüberwechselnde Geschmeidigkeit, die das Schmachten des sich vor Sehnsucht verzehrenden Liebhabers erst so richtig ausstaffiert. Für mich die größte Enttäuschung des Abends.

Barbara Frittoli als Donna Anna flüchtete sich im ersten Akt aus einer undifferenzierten, unsauber klingenden Mittellage in ein sehr forciert und expressiv gesungenes "Or sai chi l'onore". Schade drum. Bei der Arie im zweiten Aufzug kamen auch nur die Höhen mit klarem, freigesungenen Ton. Die zweite Enttäuschung des Abends.

Regina Schörg brachte die Donna Elvira ganz gut auf den Punkt, auch wenn sie die meiste Zeit in unmöglichen Kostümen herumstolzieren musste. (Schade, dass man ihr das Amazonenkostüm vom Beginn gleich wieder ausgezogen hat.) Ihr Gesang verbreitete auch nicht gerade fiebernde Erotik. Sie ist keine "richtige" Mozart-Sängerin, hat wenig Höhenreserven, aber eine breite, wohlklingende Basis.

Was Mozart betrifft, da blieb nur Angelika Kirchschlager als bezaubernde Zerline übrig (ich weiß, ich habe über ihre Zerline auch schon anderes geschrieben, aber das war eine Aufführung an der Staatsoper, und da hat sie offenbar einen richtig schlechten Tag erwischt). Zusammen mit Boaz Daniel als liebenswürdig-eifersüchtigem Masetto war das eine runde Sache.

Der Komtur von Franz-Josef Selig war schön gesungen, aber viel zu undramatisch - ganz einfach harmlos.

Musikalisch beherrschte einmal mehr Riccardo Muti den Abend, immer ganz nah am dramatischen Impetus des Werks, immer einer artifiziellen Klangsprache verbunden, spannend und ästhetisch zugleich. Echt "klassisch".

Das Publikum schien jedenfalls rundum sehr zufrieden, ließ allen viel Applaus zu Teil werden, und feierte ganz besonders Muti, Alvarez und auch d'Arcangelo.