DON GIOVANNI
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Mozart-Portal

Hof 1 der Technischen Universität
9. Juli 2011
Premiere

Dirigent: Michael Rot

Regie: Robert Simma
Ausstattung: Adi Frühauf
Kostüme: Anita Spanring
Licht: Armin Steiner

Choreinstudierung: Bruno Hatschka


Don Giovanni - Klemens Sander
Komtur - Florian Spiess
Donna Anna - Cigdem Soyarslan
Don Ottavio - Paul Schweinester
Donna Elvira -
Akiko Ito
Leporello - Andreas Jankowitsch
Zerlina - Irina
Borodyanska
Masetto - Lothar Burtscher


„Der Teufel kommt um Mitternacht

(Dominik Troger)

Don Giovanni macht die Technische Universität unsicher. Im 1. Hof hat er sich eingemietet, um seinen Verführungskünsten zu frönen. Wer zahlt, kann dabei zuschauen: Noch am 11., 13., 15., 17., und 19. Juli gibt man Mozarts Meisterwerk in einer Produktion der opernwerkstatt wien.

Freiluftveranstaltungen haben ihre eigenen Gesetze. Sie pflegen spät zu beginnen, die Veranstalter dem „Wettergott“ auszuliefern und das Publikum in engbestückte Plastikschalen zu zwängen, die sich „Platz“ nennen. Trotzdem wäre es schade, würde es die opernwerkstatt wien nicht geben, die nun schon seit zehn Jahren das karge Opernprogramm der Bundeshauptstadt in den Sommermonaten aufbessert.

Nachdem man in den letzten Jahren in der Roßauer Kaserne zu Gast war, ist man mit dem neuen Spielort ganz nah ans Zentrum gerückt – in den 1. Hof der TU Wien. Der langgestreckte, nicht gerade breite Hof wurde im Ostteil mit einer Bühne versehen. Daran schloss man den Orchester- und Publikumsteil an, zuerst ebenerdig, dann mit einer Tribüne, in mehrere nicht sehr hohe Stufen gestaffelt. Hinter der Tribüne, der Resselgasse zu, blieb genügend Platz für eine von mehreren Pausenzonen mit Getränkeverkauf. Dieser flache Anstieg der Tribüne benachteiligt die „hinteren“ Plätze in der Sicht auf die Bühne und – wie man mir erzählt hat – störte das Gläsergeklirre vom Buffettaufbau.

Die in schwarz gehaltene Bühne zeigte rechts einen mit Treppe erreichbaren deutlich höher gelegenen Zugang, die Mitte wurde durch eine Linde (im Vordergrund) und einen Kastanienbaum (im Hintergrund beherrscht). Vor der Linde gab es an der Rampe eine Art „Versenkung“, über die man mittels kurzer Stiege von der Bühne auf Orchesterniveau hinabsteigen konnte. (Hier flüchten Don Giovanni und Leporello am Ende des ersten Aktes durch den „Zuschauerraum“.) Am linken Bühnenrand war ebenfalls einen Auftrittsmöglichkeit vorgesehen. Um die Variabilität des Bühnenbildes zu steigern, wurde mit quaderähnlichen, hellbraunen Elementen gearbeitet, aus denen die Statisterie beispielsweise rasch eine Friedhofsmauer und ein Grabmal zusammensetzen konnte. Daraus ergaben sich – trotz ins Auge springender Einfachheit – praktikable „Formationen“, die dann ins Spiel einbezogen wurden.

Die Kostüme zeigten eine bis zu den Strümpfen hellrot gewandete, leicht „aufreizend“ gekleidete Donna Anna, Donna Elvira trug ein dunkelblaues Kostüm und wirkte etwas „businessmäßig“, Zerlinas Lieblingsfarbe (einschließlich Unterwäsche) war eindeutig Gelb. Don Giovanni trug einen schwarzen, innen mit grellem Rot gefütterten, langen Mantel, Leporello zeigte sich ganz jugendlich-konventionell mit schwarzem T-Shirt und verkehrt getragener Baseballkappe. Masetto trug bei der Hochzeit ein grünes Sakko.

Der Bühnenraum wurde von der Inszenierung sehr gut genützt. Eine klare, an der Sache orientierte Personenführung und trotz karger Ausstattungsmittel immer wieder überraschende Ideen hielten den Spielfluss aufrecht und ließen keine Langeweile aufkommen. Die durchaus moderne „Deutung“, die „Don Giovanni“ hier erfuhr, erfordert allerdings einige Anmerkungen – deshalb sei zuerst auf die musikalische Seite dieser Produktion näher eingegangen.

Spätesten an dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die opernwerkstatt wien in ihren Projekten Hobby- als auch ausgebildete Musiker „zusammenspannt“, wobei gemeinsame Aktivitäten mit dem TU Orchester eine Keimzelle der als Verein organisierten opernwerkstatt waren (womit sich auch gleich der Kreis zum Veranstaltungsort geschlossen hätte). Unter Michael Rots musikalischer Leitung hielten gut gewählte Tempi und Übergänge das Geschehen pragmatisch am Laufen. Die Akustik im Hof bevorzugte (zumindest bei meinem vorderen Tribünenpatz) eindeutig die Sänger, das Orchester wurde meist nur als unauffällige „Begleitmusik“ wahrgenommen. Etwas „seltsam“ hörten sich die Begleitung zu den Rezitativen (verstärkt?) und zur „Canzonetta“ Don Giovannis an.

Die Besetzung mischte mehr und weniger erfahrene Kräfte zu einem gut aufeinander abgestimmten Ensemble. Den ersten Preis – wenn es denn einen solchen zu verleihen gäbe – würde ich der Donna Elvira, Akiko Ito, zuerkennen. Sie brachte freilich schon einiges an Bühnenerfahrung in diese Produktion mit ein. Im „Mi tradi qell’alma ingrata“ überzeugte nicht nur ihr technisch gut geführter Sopran, sondern auch ihre gestalterische Fähigkeit, in der langen Arie die emotionale Spannung zu halten – wobei die Regieidee, Elvira ihren geliebten Don Giovanni beim Stelldichein mit ihrer Bedienten zu erwischen, ihr dieses Vorhaben möglicherweise erleichterte. Ihr Sopran war etwas kühl timbriert. Das mag man eventuell einwenden, wenn man vermeint, dass in Donna Elvira südländische Leidenschaften zu brodeln hätten.

Ebenfalls mit viel Energie und einer gewissen erotischen Nuance in Spiel und Gesang ging Cigdem Soyarslan als Donna Anna zu Sache. Soyarslan überzeugte mit ihrer klaren Mittellage und guten Höhe. Die Stimme besitzt eine leichte Fülle und trägt bereits sehr gut – zusammen mit Ito überbrückte sie am besten die Freiluftdistanz von der Bühne bis zum Publikum. Ob sie das „Kostüm“ vorteilhaft gekleidet hat, lasse ich mal offen. Die dritte Dame im Bunde, Irina Borodyanska, kam frisch von der Musikhochschule aus Nürnberg nach Wien. Sie spielte adrett und gab der Zerlina eine kokette Note.

Der Titelheld musste den beiden erstgenannten Damen in der Bühnenwirkung den Vortritt lassen. Erst im zweiten Akt gewann dieser Don Giovanni Profil. Lebt diese Figur nicht stark von der Phantasie, die sie in den ZuschauerInnen zu erzeugen vermag? Ein angenehmes Äußeres und eine schöne Stimme sind eine Grundvoraussetzung dafür, sie alleine vermitteln aber das Fluidum dieses zweifelhaften und gerade deshalb so interessanten Charakters nur schwer. Klemens Sander ist es trotz solcher Vorzüge an diesem Abend nicht so recht gelungen, die Figur „aus der Reserve“ zu locken. Erst im Finale entwickelte er für meinen Geschmack genug Überzeugungskraft, um sich voll seinem Untergang entgegenzustemmen.

Vielleicht – und das ist mir Anbetracht des Leporellos von Andreas Jankowitsch durch den Kopf gegeistert, hätte es sogar Sinn gemacht, diesen Freiluft-„Don Giovanni“ in deutscher Sprache zu singen. Das Publikum hat bei den Pointen fast nie gelacht, weil – so befürchte ich – sie kaum verstanden wurden. (Und eine Übertitelungsanlage gab es nicht.) Andreas Jankowitsch ist kein „Neuer“ in der Wiener Opernszene und gilt als Spezialist für zeitgenössische Oper. Sein Leporello versprühte einen eher trockenen Humor. Insofern passte es wieder zum Bühnensetting, das in der Figur nicht die Opera buffa suchte, sondern mehr den Helfeshelfer eines kriminellen Herren, dem es auch nicht an Zynismus ermangelte.

Paul Schweinesters engagierter Don Ottavio klang in den herausfordernden Passagen der beiden Renommee-Arien etwas schmal. Da müsste dem Timbre noch etwas Fülle zuwachsen. Seine Bühnenpräsenz profitierte von der Regie – doch dazu gleich anschließend. Beim Masetto, Lothar Burtscher, und Komtur, Florian Spiess, kamen wieder junge, gut geführte Stimmen am Anfang ihrer Karriere zum Einsatz.

Die Regie (Robert Simma) setzte Don Giovanni in eine zeitgemäß orientierte Beziehungskiste. Die Handlung wurde deutlich „sexualisiert“. Alle zeigten sich mit Don Giovannis-Schicksal verstrickt und nach dessen Höllenfahrt wurde solange um seinen Mantel gestritten, bis er zerriss. Der Streit der „Pärchen“ ging sogar nach dem letzten Takt weiter, der aufklärerische Appell von Mozart und da Ponte, die Bestrafung des bösen Sünders, haben hier nichts gefruchtet.

Schon die erste Szene machte klar, dass es um mehr gehen könnte: Wenn Don Ottavio herumschleicht und Donna Anna und Don Giovanni beobachtet und beide unvermuteter Weise ein Liebesspiel (!) beginnen, ehe der Komtur auftaucht. Der Komtur sitzt im Rollstuhl, Don Giovanni erschießt ihn kaltblütig. Das nimmt der Szene viel von ihrer Dramatik, die von einem Degenkampf ausgeht. Macht man es Don Giovanni nicht gar zu leicht, wenn er sich so billig aus der Affäre ziehen kann?

Das Verhältnis von Donna Anna zu dem bösen Vergewaltiger wird außerdem gleich am Beginn korrumpiert. Man denkt sogar, dass sie mit ihm unter einer Decke steckt! Ahnt Don Ottavio etwas – oder hat er sich nur ein Stelldichein erhofft und Don Giovanni ist ihm zurvorgekommen? Jedenfalls muss Donna Anna ihrem Don Ottavio einiges vorschwindeln, was ihr Verhältnis zu Don Giovanni betrifft.

Das sind überraschende Fragestellungen, die sich hier auftun – und die man eigentlich von einer „Freiluftaufführung“ nicht erwartet hätte. Allerdings nährte diese erste Szene in mir einige Zweifel bezüglich ihrer Kompatibilität mit Libretto und Musik, die sich den ganzen Abend nicht legen wollten. Zudem wurde das Verhältnis von Donna Anna zu Don Ottavio durch eine Umstellung der Arien im zweiten Akt zusätzlich „dramatisiert“. So erklang das „Il mio tesoro“ erst nach dem „Non mi dir“ und zeigte die beiden in heftiger Interaktion. Don Ottavio versuchte Donna Anna mit ihren roten Strümpfen an den Rollstuhl ihres Vaters zu fesseln. Keine Frage, dass die Figur des Don Ottavio dadurch einiges von ihrer Blässlichkeit verlor, aber welche seelischen Befindlichkeiten wohl dahinter stecken?!

Dieser Rollstuhl spielte dann im Finale eine pointierte Rolle. Der Komtur erschien berollstuhlt oben auf dieser Treppe am linken Bühnenrand. Don Giovanni, effektvoll über die Treppe hochgewankt und hochgekrochen, wurde vom Komtur in den Rollstuhl bugsiert – und hinter die Kulisse gekippt. Diese Höllenfahrt war gut gelöst, die Aufwärtsbewegung statt der erwarteten Höllenfahrt abwärts, eine gelungene Verfremdung gewohnter Perspektiven. Die Arme, die sich aus der Stiege plötzlich nach Don Giovanni reckten, bewiesen einmal mehr, dass man mit einfachen Mitteln effektvolles Theater machen kann - noch dazu, wenn ein paar Scheinwerfer krampusrot in die Szene strahlen.

Der Abend begann mit sorgenvollem Blick zum Himmel, Gewitterwolken zogen auf. Zum Tod des Komturs grollte ein mächtiger Donnerschlag, Wetterleuchten begleitete den ersten Akt. Aber es kam kein Regen und zum Finale blitzten die Sterne (doch das ist eine andere Oper). Der Abend dauerte fast bis halb Eins – nachdem er wie angekündigt nicht um 20.45, sondern erst um 21.00 begonnen hatte. (Trotzdem waren noch ein paar Besucher zu spät gekommen!) Eine reale Beginnzeit um 20.30 wäre auch kein Fehler, vor allem unter der Woche, wenn keine Nacht-U-Bahn fährt.

Ein Epilog

Es wird in dieser Stadt, die sich im touristisch genutzten Umfeld so gerne mit kulturellen Meisterleistungen schmückt, im Juli und August ohnehin kaum Oper gespielt – insofern löste der Epilog mit dem die opernwerkstatt das Programmheft zur Aufführung beschließt, gemischte Gefühle aus: „Die opernwerkstatt wien erhält heuer keine öffentlichen Subventionen, das Sponsoring ist rückläufig. Diese Lage bedingt auch eine programmatische Wende: Wir sind auf Einnahmen an der Kassa angewiesen, blicken aber optimistisch nach vorn.“

Für 2012 hat man jedenfalls schon geplant: Auf „Don Giovanni“ wird „Cosi fan tutte“ folgen.