DON GIOVANNI
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Staatsoper
11.12.2010
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst

Regie: Jean-Louis Martinoty
Bühne: Hans Schavernoch
Kostüme: Yan Tax
Licht: Fabrice Kebour
Chorleitung: Thomas Lang

Don Giovanni - Ildebrando D'Arcangelo
Komtur - Albert Dohmen
Donna Anna - Sally Matthews
Don Ottavio - Saimir Pirgu
Donna Elvira -
Roxana Constantinescu
Leporello - Alex Esposito
Zerlina - Sylvia Schwartz
Masetto -
Adam Plachetka


„Enttäuschende Premiere

(Dominik Troger)

Enttäuschend geriet der neue „Don Giovanni“ an der Staatsoper, sowohl szenisch als auch musikalisch. Der Schlussapplaus, mit ein paar hartnäckigen Buhrufen für das Regieteam gewürzt, dauerte kurze acht Minuten.

Ob man diesen Abend unter Misserfolg verbuchen muss, bleibe dahin gestellt – Erfolg war es sichtlich keiner. Das Gebotene hatte zu wenig Überzeugungskraft, um diesen neuen „Don Giovanni“ an der Staatsoper zu rechtfertigen. Handelt es sich dabei doch nicht um „irgendein“ Werk, sondern um eine ganz zentrale Säule des Kernrepertoires.

Der Dirigent

Schon die musikalische Seite zeigte sich anfechtbar. Das Dirigat von Franz Welser-Möst erscheint im Klangbild zwar „konservativ“, ein Nachhall eher romantischer Spieltradition, aber er lässt sich in der Interpretation darauf nicht ein. Wie meist beim „Don Giovanni“ bietet schon die Umsetzung der Ouvertura einigen Aufschluss: Welser-Möst nimmt das Andante ziemlich schnell, bereits die ersten vier Takte sind knapp formuliert. Da ist kein Platz für „romantisch-philosophische“ Fragestellungen oder besondere Gefühlstiefe – aber im Molto Allegro fehlt dann der mediterrane Witz, die Leichtigkeit mit der Don Giovanni versucht, dem Schicksal eine „Nase“ zu drehen. Zudem ebnen sich durch das flott genommene Andate die Gegensätze zwischen den beiden Teilen zu stark ein.

Dadurch enstand eine Spannungsleere, die sich auf die gesamte Aufführung übertrug. Mozarts Musik wurde mit einer eloquenten Indifferenz dargeboten, oft ohne merkbaren Spannungsaufbau, und klang dabei doch eine Spur zu „schwer“. Nur selten, etwa im Finale des ersten Aktes, wurde die Spannung aus der Musik entwickelt und auf den Punkt gebracht. Wenn Welser-Möst im Programmheft etwa zur finalen Arie der Donna Elvira anmerkt, diese beinhalte „eine Feierlichkeit, einen Abschied“, dann müsste man diesen inneren Vorgang der Selbstbesinnung auch wahrnehmen können. Doch während der Aufführung hatte man eher den Eindruck, diese Arie sollte möglichst schnell zu Ende gebracht werden. Das Auskosten von Mozarts Musik und Pointen vermisste man ebenso wie jene Ruhepunkte, in denen die Figuren Seelentiefe gewinnen dürfen, in denen die äußere Handlung berechtigterweise ruht, um einen inneren Vorgang zu schildern. Außerdem – und das mag überraschen – stellte sich zumindest bei mir das Gefühl ein, dass man hier insgesamt noch am Suchen ist und dieser „Don Giovanni“ sich erst im Stadium einer tieferen Aneignung befindet. Die Reprisen werden möglicherweise überzeugender ausfallen.

Diese Ausdrucksschwäche lässt sich genauso auf die sehr flach umgesetzten Rezitative übertragen, die Bandbreite zwischen Opera buffa und „tödlichem“ Ernst wurde bei weitem nicht ausgenützt. Hier kommt natürlich auch die Inszenierung ins Spiel, die kein Gespür für den subtilen Wettstreit der Geschlechter entwickelte. Diese mangelnde Durchdringung des Werkes hin auf seine Schattierungen, auf Scherz, Ernst und Ironie waltete im Orchestergraben und auf der Bühne.

Die Besetzung

Bei den Sängern schnitten die Herren besser ab als die Damen. Ildebrando D' Arcangelo ist ein Don Giovanni, dem eigentlich nichts abgeht, bei dem man Seitens der Regie aber die Vorzüge besser ins Rampenlicht stellen müsste. Dass er sich beim „Fin ch`han dal vino“ mit nacktem Oberkörper präsentieren darf, ist ein bisserl wenig. Die meiste Zeit mimte er einen ruhelosen Macho, nicht einmal bei der Verführung Zerlinas durfte er sich subtiler geben. Möglich, dass D' Arcangelo deshalb auch stimmlich etwas forcierte. Der galante Verführer, den er in Wien auch schon gesungen hat, war er an diesem Abend nicht.

Seinen Diener gab Alex Esposito (Staatsoperndebüt) – und auch er wurde regiebedingt unter seinem Wert geschlagen. Leporello zeigte sich als Abziehbild seines Herrn, genauso ein Macho und ziemlich humorlos. Trotz teils großem Körpereinsatz und an und für sich passender Stimme blieb der Gesamteindruck eher blass. Saimir Pirgu nutzte seine Chance und gab ein Beispiel schön phrasierten Mozartgesangs, wobei vor allem das „Il mio tesoro“ gefiel. Seine Stimme ist eine Spur breiter geworden, gibt dem Don Ottavio jetzt eine jungendlich-männliche Note. Er war auch von präsenter Bühnenerscheinung.

Adam Plachetka hat in der kurzen Zeit seines Wien Engagements schon überzeugendere Abende gesungen. Aber auch bei ihm mag das an der Inszenierung liegen. Der weiß beanzugte Masetto ist hier kein Bauer, sondern – ja was eigentlich? Seine Stimme ist für den Masetto womöglich zu wenig markant und einen verkappten Revolutionär nimmt man ihm kaum ab. Es ist selten, dass das „Ho capito“ so en passant an einem vorüberrauscht. Albert Dohmen war ein wenig „fürchterlicher“ Komtur, was zum Teil wohl auch der Regie geschuldet war.

Zu den Damen: Für Roxana Constantinescu kam die Premieren-Donna Elvira wohl zu früh, hat sie doch im Frühjahr am Haus noch Zerlina gesungen. Die Donna Elvira scheint ihr eine Nummer „zu groß“, sowohl von der Bühnenpersönlichkeit als von der gesanglichen Gestaltungskraft. Sally Matthews (Staatsoperndebüt) sang eine überspannte, traumatisierte Donn Anna. Ich empfand ihre Darbietung als gewöhnungsbedürftig, trotz im Prinzip guter Höhen und Koloraturen. Das klang alles sehr „geradlinig“ und machte vor allem emotionale Wirkung. In einigen Momenten sehr nett und gefühlvoll erklang die Zerlina der Sylvia Schwarz – aber die Stimme ist für die Staatsoper schon etwas schmal.

Die Inszenierung

Zur Inszenierung von Jean-Louis Martinoty ist auf den ersten Blick nicht viel zu sagen: die Männer sind Machos und Frauen spreizen die Beine. Das mehrmalige Andeuten von Geschlechtsverkehr zeigte in ermüdender Weise, wie reduziert ein so komplexes Werk wie der „Don Giovanni“ heutzutage wahrgenommen wird. Dazu kamen ein paar Seltsamkeiten, etwa am Beginn Donna Anna mit Handschellen (!) oder der dick eingebundene rechte Arm des Komturs – er darf dann mit dem linken gegen Don Giovanni fechten. Die Optik dieses weißen Verbandknödels ist verheerend (!!!), die ganze Zweikampfszene übrigens höchst undurchschaubar. Don Giovanni ficht gegen den Komtur mit einem Regenschirm, blendet ihn mit einer Taschenlampe und plötzlich hat der Komtur ein Messer zwischen den Rippen sitzen. Das alles geht so „beiläufig“ – auch aus dem Orchestergraben, dass die Dramatik der Situation kaum zur Geltung kommt.

Wichtig: das Bankett findet nicht in einem Saal, sondern auf dem Friedhof statt!! Vor dem Grabmahl wird die Tafel bestellt. Beim Auftritt des Komturs öffnet sich das Monument. Dass der Komtur, während er Don Giovanni droht, die Pappendeckelteller des Festmahls mit dem Fuß von der Tafel stößt, wirkt ziemlich kleinkariert und beschädigt den Gesamteindruck dieser Geistererscheinung stark. Immerhin rutscht Don Giovanni über diese Tafel in eine klassisch krampusrot aufglühende Hölle. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es müsste dem Stil der Inszenierung entsprechen. Dieser – wenn man so möchte – „höhere Witz“ Mozarts und da Pontes, dieses Spiel mit Teufelsfurcht und Puppentheater, kam dann zu überraschend und schien nicht recht zum bisherigen, nüchtern ausstaffierten Szenenverlauf zu passen.

Positive Ansätze der Inszenierung sind eventuell Versuche Martinotys, Einzelszenen zu verbinden. So treibt sich der als Don Giovanni verkleidete Mönch noch auf dem Friedhof herum, wenn Donna Anna auftaucht, um bald darauf ihrem Ottavio das „Crudele!“ an den Kopf zu werfen. Donna Anna möchte vor dem Grabmahl beten. Don Giovanni, von der Kuttenkapuze verhüllt, segnet Donna Anna, bevor er sich aus dem Staub macht und die Beziehungskrise versäumt. Auch Don Ottavio wird bei seinem „Il mio tesoro“ nicht allein gelassen, tröstet noch Donna Anna.

Leider übertreibt Martinoty, etwa wenn Donna Elvira zu ihrer Auftritts-Aria ganz unvermittelt eine Vodoo-Puppe ansticht (sie wird ihr einfach in die Hand gedrückt). Zudem muss immer viel Bewegung auf der Bühne sein, und man weiß nicht immer, wozu die Leute gut sind, die da herumlaufen. Die Registerarie wird anhand von Chordamen erklärt, die sich der Reihe nach in Leporellos Gewalt verfügen, um ganz schulmeisterlich zu zeigen, dass Don Giovanni alle mag, egal, ob klein, groß, blond, braun, dick, dünn, jung oder alt. Das schaut sehr, sehr bieder aus.

Die Handlung wurde ins Sevilla des beginnenden 20.Jahrhunderts verlegt, die Szene wird durch Vorhänge belebt, die mal großformatig Paläste oder deren schönes Innenleben zeigen. Gewissermaßen „gebaut“ sind beispielsweise der Gasthof, in dem Donna Elvira absteigt und für Zerlinas Hochzeitstafel gedeckt ist, der Palast zum Fest, der Friedhof mit einem mächtigem Skelett als Grabmahl, das es in „echt“ gibt: eine Vanitas-Darstellung des französischen Bildhauers Ligier Richier. Durch den Maskenball in Don Giovannis Haus kommen aber auch Barockkostüme ins Spiel, der Zeitbezug bleibt also insgesamt eher vage. Nach der Höllenfahrt öffnet sich der Hintergrund, eine Statue steht auf einem Sockel, es darf gerätselt werden, wer dort oben steht: Don Giovanni?

Publikumsreaktionen

Die Publikumsreaktionen während des Abends waren verhalten, stärkeren Applaus mit Bravorufen heimsten nur Saimir Pirgu und mit Abstrichen Sally Matthews für ihre zweite Arie ein. Beim Schlussapplaus hat man an der Staatsoper insgesamt schon üppigeren Beifall gehört. Die Buhrufe gegen die Regie kamen allerdings nur von wenigen Stellen im Haus. Viele Bravorufer fanden sich für Martinoty und sein Team aber auch nicht gerade. Dass Martinoty demnächst den „Ponelle-Figaro“ an der Staatsoper liquidieren darf, ist nach diesem „Don Giovanni“ eine wenig begeisternde Option.

PS: Im Programmheft wird die Besetzung der Aufführung des „Don Juan“ zur Eröffnung des heutigen Hauses am Ring am 25. Mai 1869 erwähnt. Diese enthält einen Fehler, der sich seit Jahrzehnten durch die Wiener Operngeschichte schleppt, weil die Besetzungsliste des damaligen Abendplakats die plötzliche Heiserkeit von Josef Draxler (Komtur) nicht berücksichtigt. Es sang laut zeitgenössischen Quellen – wie die einhelligen Berichte in den Tageszeitungen belegen – nicht Herr Draxler den Komtur, sondern Herr Schmid.