COSI FAN TUTTE

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Theater an der Wien
2. Juni 2014
Premiere


Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling
Inszenierung: Michael Haneke
Bühne: Christoph Kanter
Kostüme: Moidele Bickel
Mitarbeit Kostüme: Dorothée Uhrmacher
Licht: Urs Schönebaum
Chorleitung: Andrés Máspero

Cembalo: Eugène Michelangeli
Orchester: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Chor: Coro Titular del Teatro Real

Teatro Real. Madrid, Koproduktion De Munt / La Monnaie, Brüssel

Fiordiligi - Anett Fritsch
Dorabella - Paola Gardina
Guglielmo - Andreas Wolf
Ferrando - Juan Francisco Gatell
Despina - Kerstin Avemo
Don Alfonso - William Shimell


„Schauspiel statt Oper?“
(Dominik Troger)

Michaels Hanekes „Cosi fan tutte”-Deutung wurde 2013 in Madrid aus der Taufe gehoben und ist jetzt für drei Aufführungen bei den Wiener Festwochen zu Gast. Die Produktion ist vor allem szenisch interessant, auf musikalischer Seite blieben viele Wünsche offen.

Michael Haneke hat die „Cosi“ unter das Mikroskop gelegt und das lustvoll-zynische Dramma giocoso des Künstlerteams Mozart/da Ponte einer gleichsam wissenschaftlichen Zergliederung unterzogen. Als Mikroskop diente ihm das Auge des Filmregisseurs, der die Gefühlsäußerungen seiner Protagonisten in der Naheinstellung auskostet, der aus einer Liebesverwirrung, die einem in der Totale vielleicht ein verständnisvolles Lächeln in das Gesicht zaubert, eine Träne des Schmerzes formt.

Es mag seltsam erscheinen, aber je länger der Abend währte, um so öfter schwand der Eindruck, einer Opernaufführung beizuwohnen. Das Geschehen auf der Bühne erinnerte immer stärker an einen zelebrierten Theaterabend – Tschechow, Schnitzler, vielleicht noch ein bisschen Ibsen oder Strindberg – gedehnte Rezitative, lange, bedeutungsschwangere Pausen, Sekunden voller Stille, die Sänger wie Schauspieler zu einem exhibitionistischen Spiel mit den Figurenseelen getrieben. Die schützende Haut der Musik hat Haneke in monatelanger Probenarbeit abgezogen, es leuchtet darunter das rosige Fleisch unstillbarer Begierde, die keine noch so aufklärerische Vernunft wird bezähmen können. Die beiden Schwestern, Fiordiligi ganz besonders, hat er aus dem Libretto herausgezupft wie eine Nervenfaser und beim „Per pietà, ben mio, perdona“ darf das Publikum zusehen, wie diese Fiordiligi-Faser unter unbewältigter Gefühlsverwirrung und unter Schuldgefühlen sich schmerzvoll zusammenkräuselt.

Dazu gesellt sich der Zyniker, der zu wissen vermeint, dass in Sachen Liebe ohnehin alles immer auf dasselbe hinausläuft – hier in der Gestalt des Don Alfonso institutionalisiert, der auf der Bühne in seinem alten, mit ein paar „Modernismen“ ausgestatteten Palais die Rolle des Regisseurs fortspinnt. Er arrangiert ein Kostümfest – vielleicht um Fiordiligi, Dorabella, Guglielmo und Ferrando in eine Falle zu locken? Don Alfonso ist – wie man im wenig aussagekräftigen Programmheft erfährt – mit Despina verehelicht. Eine unglückliche Ehe offenbar, Despina scheint depressiv zu sein. Aber warum?

Allerdings waren es gerade die Nahtstellen der Handlung, die Haneke auf den ersten Blick nicht plausibel zu überblenden vermochte. Dass sich Guglielmo und Ferrando in „Kostümuniformen“ auf das „Schlachtfeld“ davon machen, war in diesem Arrangement mehr als unglaubwürdig. Weil der Zuseher Fiordiligi und Dorabella aber nicht für so dumm halten möchte, dass sie diesen „Zirkus“ für bare Münze nehmen, bleibt nur der Ausweg, dass sie auf diesem Kostümfest quasi ein „Theaterstück“ aufführen – oder dass sie wissen, dass sie betrogen werden sollen. Auch die Reaktionen der beiden Frauen auf die Abreise der Geliebten, das schmerzvolle Pathos, bei dem da Ponte und Mozart das Augenzwinkern durchaus einkalkuliert haben, wirkte hier befremdlich und wenig glaubhaft. Die lächerliche Kostümierung der plötzlich ins Haus schneienden fremden Männer – eine Verkleidung, der sie sich bald entledigen (!) – scheint nur unter den oben genannten Voraussetzungen möglich. Oder handelt es sich gar um eine Art von rituellem Partnertausch, der die Beteiligten regelmäßig zusammenzwingt zu einer seltsamen, erotischen Schicksalsgemeinschaft?! Es darf auch deshalb wüst spekuliert werden, weil das dünne, wenig aussagekräftige Programmheft nur ein paar Fragen des Regisseurs zitiert, die vielleicht ein paar Fährten legen („Warum macht er (=Don Alfonso) denn für seine Freunde eine Housewarmingparty als Kostümfest?“) – und ansonsten zu dieser Produktion eisern schweigt.

Fragwürdig ist jedenfalls die Zeichnung der Despina, die bei Haneke eine 180-Grad-Drehung des Charakters über sich ergehen lassen muss und von der lustigen, in Liebesdingen erfahrenen Kammerzofe zu einer traurigen Ehefrau mutiert. Despina macht das Spielchen mehr oder weniger animiert mit, wobei für alle Beteiligten der Weg zum mit harten Alkoholika voll geräumten Luxuskühlschrank kein weiter ist. Das Ambiente, wohl ein Herrensitz mit Meeresblick, hat Christoph Kanter (Bühne) geschmackvoll arrangiert – und Haneke arbeitet im zweiten Teil mit brennendem Kamin und Kerzen, gönnt dem Publikum das weiche Licht eines Empfindungsdramas, damit die Enttäuschung, die die Liebenden auf der Bühne spüren, für die Zuseher umso kräftiger ausfällt. Das Schlussbild ist einem Scherenschnitt nachempfunden, die sechs Protagonisten fassen sich Hand an Hand, zerren jeder in eine andere Richtung, eine Anspannung der Körper und der Seelen, ganz kurz vor dem Zerreißen. Schon zuvor hat Despina Don Alfonso eine Ohrfeige verpasst, und Don Alfonso hat sich postwendend mit einer Ohrfeige an Despina revanchiert. Beschämung und Gefühlschaos. So endet keine Komödie.

Die musikalische Umsetzung war ganz eng mit der Darstellung verknüpft, ihr sozusagen untertan. Dementsprechend spielten alle Darsteller sehr gut bis ausgezeichnet, ohne dabei aber gesanglich zu glänzen. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Sylvain Cambreling begann mit einer „zugepaukten“, undifferenziert und zu laut dargebotenen Ouvertüre, und fand auch im weiteren Verlauf des Abends nur zu einem nüchternen, trockenen Spiel, ohne Gefühl für die witzige Doppelbödigkeit dieser Musik. Die Stimmen der Sänger passten in dieses Schema – keine klangvollen Stimmen wurden aufgeboten, alle etwas nüchtern timbriert, ohne aufzublühen, den Zuhörern keine seelenvollen Klangräume eröffnend.

Am besten reüssierte Anett Fritsch, die mit der schwierigen Partie der Fiordiligi gut zurecht kam und der mit ihrem „Rondo“ wahrscheinlich der gesanglich wertvollste Beitrag zu dieser Aufführung gelang. Ich hatte Fritschs etwas „mezzogetunten“ Sopran allerdings leuchtkräftiger in Erinnerung. Paola Gardina sang die Dorabella mit einem etwas „engen“, wenig aufblühenden Mezzo. Juan Francisco Gatells „Spieltenor“ färbte schon zu grell, was manchen emotionalen Ausbrüchen durchaus gut tat, aber im „Un aura amorosa“ ließ er passendes Timbre und Feinschliff vermissen. Andreas Wolf sang den Guglielmo mit einem im Timbre zu wenig gerundeten Bariton, etwas kernig, vielleicht nicht (mehr) eine explizite Stimme für Mozart.

So eindrucksvoll William Shimell als Don Alfonso darstellerisch die Fäden zog, so wenig vermochte er gesanglich zu überzeugen. Shimell ist nicht mehr der jüngste, da darf die Stimme schon ein bisschen brüchig werden. Allerdings gibt es auch aus der Vergangenheit Mozartaufnahmen, auf denen er nicht gerade eine feine Klinge führt. Kerstin Avemo holte aus der dankbaren Rolle der Despina wenig heraus – wobei hier die Regie die Hand im Spiel hatte. Ihr Sopran klang etwas schmal und blass und in der Höhe bald gefährdet. Der Chor hinterließ einen soliden Eindruck.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Mitwirkenden vor allem als Schauspieler (!) engagiert wurden. Aber selbst die exzellenteste Personenführung kann nur punktuell über gesangliche Defizite hinwegtäuschen. Die Aufführung endete mit starkem Beifall. Szenenapplaus gab es nur sehr selten.