IL RITORNO D' ULISSE IN PATRIA
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Staatsoper
2. April 2023
Premiere

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado

Inszenierung: Jossi Wieler & Sergio Morabito
Bühne & Kostüme: Anna Viebrock
Ko-Bühnenbildner: Torsten Köpf
Licht: Reinhard Traub
Video: Tobias Dusche

Concentus Musicus Wien

Ulisse - Georg Nigl
Penelope - Kate Lindsey
Telemaco - Josh Lovell
Minerva - Isabel Signoret
Eurimaco / Anfinomo - Hiroshi Amako
Nettuno / Antinoo / Il Tempo - Andrea Mastroni
Eumete - Robert Bartneck
Ericlea / L'umana fragilità 1 - Helene Schneiderman
Iro / L'umana fragilità 2 - Jörg Schneider
Melanto / L'umana fragilità 3 - Daria Sushkova
Pisandro / L'umana fragilità 4 - Katleho Mokhoabane
Giunone - Anna Bondarenko
Giove - Daniel Jenz
Amore - Alma Neuhaus
Fortuna - Miriam Kutrowatz


„Monteverdi im Möbellager“
(Dominik Troger)

Mit der Staatsopern-Erstaufführung von „Il ritorno d’Ulisse in patria“ hat das Haus am Ring seinen Monteverdi-Zyklus abgeschlossen. Angetreten sind wieder der Concentus Musicus Wien unter der musikalischen Leitung von Pablo Heras-Casado. Mit Kate Lindsey als Penelope und Georg Nigl als Ulisse wurde auch bei der Besetzung Kontinuität gewahrt.

Kate Lindseys Penelope war allerdings äußerst expressiv angelegt. Das hehre Ideal der auf den Gemahl wartenden Königin stand nicht im Mittelpunkt der Inszenierung: Diese Penelope haben zwanzig Jahre der Odysseusferne schwer traumatisiert, ihr Klagen wird zum Aufschrei. Lindseys Penelope zeigte sich ihrem Nerone ähnlich, mit dem sie die Aufführungen von „L'incoronazione di Poppea“ aufgemischt hat, immer an der Grenze zu einer borderlinerartigen.emotionalen Instabilität. Nicht die beharrliche Odysseuesliebe gepaart mit weiblicher List verhindert Penelopes Untreue, sondern ihre traumatisch bedingte psychische Beziehungsunfähigkeit. Insofern blieb auch das Finale in Schwebe: Diese sanften leisen Töne, die Lindsey dann noch ihrem Ulisse entgegenhaucht, eine sublime Mischung aus Trauer über die verlorenen Zeit und erinnerter Erotik, löst die Handlung nicht wirklich auf, lässt auch das Publikum in einer seltsamen Spannung zurück – ein starkes Finale eines phasenweise ziemlich zähflüssigen Premierenabends.

Wem der erste Teil schon zu lange wurde, den hat Georg Nigel bei seiner Ankuft auf Ithaka wachgerüttelt. Trotz offener Bühne wusste er das Haus mit seinem Bariton zu füllen – mit starkem Ausdruck ganz den Worten der „L‘humana fragilitá“ des Prologes nacheifernd, die dem Schicksal, der Zeit und der Liebe unterworfen, ihr Dasein fristet. Nigl ist wie Lindsay in der Lage, eine Bühnenfigur stark existentialistisch anzulegen: der wendig-listenreiche Odysseus wandelte sich durch ihn zur göttergeplagten Kreatur, der kaum noch Handlungsspielraum bleibt. Nigl fand dafür imposante Töne, basierend auf einer manchmal fast ein wenig „wozzeckartigen“ Grundhaltung. Nur im Moment der Bogenprüfung flammte noch ein heldisches Leuchten auf, ein gerechter Zorn, mit dem er die Freier aus dem Palast schießt. Am Schluss treffen sich dann zwei gebrochene Menschen, Ulisse und Penelope, ihrer Lebenskonzepte und Listigkeiten bar – wer weiß, welcher Zukunft diese Beziehung entgegengeht?

Der existentalistische Zugang der Inszenierung hat auch den Iro von Jörg Schneider „eingefärbt“. Schneider hat bereits 2017 im Theater an den Wien den Iro gesungen, damals als witziges, ironisch gehaltenes Porträt eines „Vielfraßes“ – hier und jetzt wurde dieses Porträt bis zur Widerlichkeit getrieben, eine aufgeblasene Figur, die dann mittels zelebriertem Selbstmord einem humorlosen Exitus abseits der Bühne entgegenkriecht. Schneiders Tenor besitzt nach wie vor lyrische Geschmeidigkeit, die er mit charakterlicher Schärfe ganz nach Belieben zu würzen versteht.

Vom reichhaltigen Figurenkatalog drängte sich die spielfreudige, seltsam graublau geschminkte Minerva der Isabel Signoret in den Vordergrund, Josh Lovell war als etwas steif beanzugter Telemaco der wohlerzogener Sohn seines Vaters – die Begegnung zwischen ihm und Ulisse zählte zu den gelungeren Bühnenmomenten. Und dem angenehm timbrierten, seriösen Freier des Katleho Mokhoabane hätte man als Zuschauer Ulisses Pfeil sogar ersparen wollen. Aber ohne den reichhaltigen Figurenkatalog jetzt im Detail durchzugehen – die ein wenig ins „Fantasyhafte“ gerückten Götter hatten es schwerer zu überzeugen, weil der Inszenierung in dem Einheitsbühnenbild keine klare Trennung der Sphären gelungen ist. (Sie mussten in Flugzeugsitzen manövieren, was vielleicht witzig sein sollte. Eine weiße Leinwand, die sich in den Götterszenen bettlakengleich über der Bühne wölbte, wurde mit Projektionen bestrahlt, die von den oberen Rängen aber schwer bzw. nicht mehr wahrzunehmen waren.) Jupiter (Daniel Jenz) und Juno (Anna Bondarenko) gehörte von meiner Seite der Vorzug gegenüber dem etwas verquollen klingenden Bass von Andrea Mastrino (Neptun). Insgesamt reichte es zu einer guten Ensembleleistung. Der Concentus Musicus unter Pablo Heras-Casado konnte die Längen vor der Pause auch nicht vergessen machen. Hat man in der „Poppea“ und im „L‘Orefo“ eine Spur schwungvoller und gelöster musiziert? Wie auch immer: Es lag an der musikalischen Ausführung, dass sich der Premierenabend doch noch zu einem knapp über zehn Minuten lang beklatschen Erfolg runden konnte.

Es zweifelt niemand daran, dass in der Chefdramaturgie der Staatsoper unglaublich gescheite Leute sitzen. Aber es gibt eine Gescheitheit, die das Theater ruiniert. Das Trio Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock (als ihnen beigesellte „Ausstatterin“) hat in etwa das auf die Bühne gestellt, was man von ihnen erwarten durfte. Im großen mit allerhand Tischen und Sitzmöbel vollgeräumten Einheitsbühnenbild entwickelte sich der Abend zuerst ausgesprochen langatmig. Das Ambiente ließ eine örtliche Gliederung nur erahnen, links im Hintergrund zeigte sich sogar ein rumpelkammerartiges „Flohmarktareal“ mit antiken Artefakten. Die Allegorie der menschlichen Zerbrechlichkeit im Prolog wurde zur allgemeinen Verwirrung auf vier Personen aufgeteilt. Wenn später weißbemantelte Archäologen, Restauratoren, Kuratoren – oder was auch immer – über die Bühne wandeln, wird man als Zuseher davon auch nicht klüger. Und wenn die „Phäaken“ durch den Zuschauerraum aufmarschieren und dem Publikum einen Band der „Dialektik der Aufklärung“ entgegenhalten, dann beugt man sowieso demütig das Haupt vor soviel Klugheit: Monteverdi im Philosophieseminar, das ist natürlich die „Krönung“.

Das zentrale Element des Bühnenbildes war ein Webstuhl, in die Mitte der Drehbühne gestellt. Der „Webstuhl“ wird mit einer Installation des Videokünstlers Tobias Dusche „bespielt“, wie man aus dem Programmheft erfährt. Das verwendete Videomaterial stammt aus dem Jahr 1905 und zeigt eine alte Frau irgendwo auf dem Balkan beim Spinnen. Man mag diesen Querbezug genial finden (oder auch nicht) – sein auffallendstes Merkmal war, dass Penelope zuerst mit Sonnenbrille (!) auftritt, weil ihr die Projektionslampe der Videoinstallation vor dem Webstuhl mitten ins Gesicht knallt. Je nach der Position, die die Drehbühne zum Zuschauerraum einnahm, wurde das Publikum ebenso von dieser Projektion geblendet. Ganz schlecht ist es, wenn man am Balkon links auf der Seite in der ersten Reihe sitzt. Minutenlang quälte einen dort am Premierenabend diese „künstlerische“ Projektionslampe, hat man einen Blick auf die Bühne riskiert.

Zumindest die Schlüsselszenen haben einigermaßen funktioniert – wohl auch deshalb, weil sie von Haus aus für die Theaterpraxis gut entwickelt sind: etwa die Sache mit den Freiern und ihre Ermordung. Warum aber des Odysseus Bogen aus einer großen langen Kiste gefischt wird, die gefühlte Stunden vor dem Souffleurkasten herumliegt, bleibt unklar – vor allem auch deshalb, weil man diesen Ort für die Interaktionen des Ensembles hätte nützen können. Aber nein, man bespielte immer wieder die Seiten, links und rechts am Bühnenrand, so als ob alle Plätze im Haus einen geraden Blick auf die Bühne ermöglichen würden. Kümmert sich in den langen Probewochen wirklich niemand mehr darum, wie die geplante Inszenierung von oberen Rängen und von der Seite einzusehen ist? Der neue „Eugen Onegin“ ist auch so eine Großtat publikumsfeindlicher Optik.

Am Schluss musste sich das Regieteam beim Vorhang mit gar nicht wenigen Buhrufen abfinden, die Bravorufer konnten nicht dagegen halten. Für die Sängerinnen und Sänger sowie Orchester und Dirigent gab es viel Applaus (in den Beifall für den Dirigenten mischten sich ein oder zwei kurze Missfallensbekundungen). Bleibt in Summe anzumerken, dass die Produktionen von „Poppea“ und „L’Ulisse“ einen geschlosseneren Eindruck hinterlassen haben.