IL RITORNO D' ULISSE IN PATRIA
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Theater a.d. Wien
7. September 2012
Premiere

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Inszenierung: Claus Guth
Ausstattung:
Christian Schmidt
Licht:
Bernd Purkrabek

Orchester: Les Talens Lyriques

Ulisse - Garry Magee
Penelope - Delphine Galou
Telemaco - Pavel Kolgatin
Melanto - Katija Dragojevic
Eumete - Marcel Beekman
Antinoo - Igor Bakan
Iro - Jörg Schneider
Giove - Emanuele d´Aguanno
Nettuno | Il Tempo - Phillip Ens
Minerva | Amore - Sabina Puértolas
Giunone | La Fortuna - Cornelia Horak
L´Umana fragilitá | Pisandro - Rupert Enticknap
Anfinomo | Feace 2 - Tamás Tarjányi
Ericlea - Milena Storti
Eurimaco - Sebastian Kohlhepp


"Von der Melancholie der Heimkehr"
(Dominik Troger)

Dem Theater an der Wien gelang mit Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ ein vorzüglicher Start in die neue Saison.

Der Monterverdi-Zyklus, den das Theater an der Wien derzeit zusammen mit dem Regisseur Claus Guth erarbeitet, ist nach dem „L’Orfeo“ beim „Ulisse“ angekommen. Guth bleibt dabei seinem „Lebensgeschichten“-Konzept treu, seinem Hang zur Psychoanalyse und zu großbürgerlichen „Innenräumen“. Der Kriegsheimkehrer Odysseus bietet dazu reichhaltiges Material – und man muss die Geschichte nicht neu erfinden. Die Entfremdung durch die langjährige Abwesenheit von seiner Gemahlin Penelope, die erlebten Kriegsgräuel, die Abenteuer auf der langen Rückreise von Troja werden schon ihre Spuren in die Psyche des Helden eingegraben haben.

Guth diagnostizierte also beim homerischen Helden ein Kriegstrauma, verlegte die Handlung praktisch in die Gegenwart und hat sie deutlich auf Ulisse und Penelope fokussiert. Die Götter fungieren als Projektionen von Ulisses Unterbewusstsein – und die Heimkehr wird nicht nur als physische Heimkehr, sondern vor allem als psychische Heilung verstanden.

Das Geschehen spielt im „Palast“ des Ulisse. Dieser zeigt großzügige, auf der Drehbühne platzierte Räume, teilweise durch große Flügeltüren verbunden, aber nicht protzig ausstaffiert. Den architektonisch kühlen Zug kontrastieren Parkettböden und großflächige Wandverkleidungen aus Holz. Das gibt dem Ambiente eine Wärme, die den Seelenraum andeutet, in dem Penelope und Ulisse zueinander finden.

Ulisse wird vom ersten Auftritt an von Kriegserinnerungen geplagt. Vielleicht ist er sogar schon zu Hause, aber noch nicht „angekommen“? Ein sandfarbener Jeep im Zimmer (Irak-Krieg?) und ein Zelt, lassen das vermuten, weil Guth inneres Erleben mit äußerem verschränkt. Die Götter, durch weiße, tuchartige, große „Hut-Köpfe“ von den Alltagskostümen der Sterblichen unterschieden, sind ein weiteres irrationales Element und vielleicht Ausdruck von Wahnvorstellungen. Wenn sich Athene alias Minerva Ulisse als Hirten zeigt, dann nimmt sie diese „Verkleidung“ ab, setzt sich ein Käppchen auf – und erinnert an eine Militärpsychologin oder eine Sprecherin höher geordneter Ränge. Denn dort, wo sich die Befehlsstrukturen zuspitzen, herrscht gegenüber Soldaten und gegenüber der Zivilbevölkerung gleichsam göttliche Autorität: die hier gefassten Entscheidungen beeinflussen im Kriege das Leben von Menschen unmittelbar.

Durch diesen Kunstgriff werden die unterschiedlichen Handlungsebenen und die Figurenkonstellation akkurat wiedergegeben. Das Publikum kennt sich aus – und hat nie das Gefühl, dass das Gezeigte zu den formalen und dramaturgischen Gegebenheiten der Vorlage im Widerspruch steht. Natürlich nimmt Guth eine Gewichtung vor – die mehr volksnahen, die „Buffo“-Elemente, müssen sich etwas unterordnen. Der Shakespear’sche Kosmos, der sich bei Monteverdis „Ulisse“ in der Oper auftut, wird ins „Melancholische“ verschoben. Aber nachdem schon Monteverdi im Prolog der Fragilität der menschlichen Existenz huldigt, ist es kein Fehler, wenn das Nachdenken über den Menschen und über die Gewalt, die er seinesgleichen und sich antut, mehr in den Mittelpunkt rückt.

Der Prolog wurde vor dem Vorhang gespielt und zum Teil im Publikum: Fortuna beispielsweise als blinde, weißgekleidete Besucherin gezeigt, die sich am Geländer in das Parkett tastet und dann an den Sitzreihen vorüber zum Orchestergraben geht – eine gelungene Tradierung mittelalterlicher Symbolik. Besonders auffallend und wohltuend: Die Aufführung glänzte durch eine flüssige und sehr genaue, gleichsam dem monterverdischen Rezitativ angeschmiegte Personenregie – und die Sänger waren in den Hauptpartien sehr gut nach den jeweiligen Charakteren besetzt.

Die musikalische Umsetzung lag in den Händen von Christophe Rousset und den Les Talens Lyriques. Rousset entschied sich für eine kleine Orchesterbesetzung, insgesamt nur 16 Personen, die Streicher nur einfach besetzt, zwei Blockflöten, zwei Zinken als Farbtupfer und dazu die Continuogruppe unter anderem mit Harfe delikat erweitert. Das sorgte für eine feinstimmige Begleitung, die sehr gut zum nuancenreichen Spiel auf der Bühne passte.

Als Ulisse war Garry Magee gesanglich und darstellerisch präsent, ein leidender Krieger, mit unterschwelliger Brutalität, die beim effektvollen degustiösen Freiererschießen ihre deutlichste Ausprägung erfuhr. Als Mordwerkzeug wird eine Pistole verwendet, obwohl sich die Freier sehr wohl an einem Bogen probieren. Naheliegender und subtiler wäre es gewesen, Ulisse hätte für seine Rache ebenfalls auf den Bogen zurückgegriffen.

Magee hinterließ als „Gesamtpaket“ einen starken Eindruck, ebenso Delphine Galou als Penelope – mit einem leicht melancholisch gefärbten Mezzo, zwischen Leid und Sehnsucht eingespannt, sensibel und vom Schicksal gekränkt, aber durch Tugend und eine unrealistisch erscheinende Hoffnung am Leben erhalten sowie versucht, aber nicht verführt – und die Idee zum Wettbewerb unter den Freiern muss ihr von Minerva ins Ohr geflüstert werden. Ihr langes Zaudern, ob Ulisse wirklich der Ulisse ist, wird dadurch verständlich. Ihre zarte Seele hat sich wie eine Schnecke in ihre Haus zurückgezogen, wurde schon zu lange geprüft.

Pavel Kolgatin gab einen jugendlichen, weitgehend unbekümmert wirkenden Telemaco – die Jugend, die mit den Geschichten der Alten nur bedingt etwas anzufangen weiß. Die Freier scharten sich um den rauen Bass von Igor Bakan, der mir für Monteverdi schon ein wenig zu grob klang. Dessen Anforderungen schienen mir bei Rupert Enticknap, Countertenor (Pisandro), und Tamás Tarjányi, Tenor, (Anfinomo) stilistisch besser aufgehoben.

Jörg Schneider als Völlerer Iro, von der Regie bei seinem ersten Auftritt auf ein WC verbannt, (von Guth wohl irritierend-boshaft gemeint, aber eigentlich sehr „clean“ und bezogen auf die Figur treffend gelöst) gab ein passendes Porträt dieser widerlichen Figur – und stimmlich mit spannkräftigem Charaktertenor. Die Arie am Beginn des dritten Aktes wirkt im gesamten Ablauf des Geschehens zwar etwas isoliert, aber sie fordert einen Sänger schon heraus. Das hat Schneider gekonnt und mit Witz umgesetzt. Dass sich Iro regiebedingt schlussendlich eine Kugel in den Kopf schießt, wird dem Buffocharakter allerdings nicht gerecht. Marcel Beekman sang den Eumete, von Guth als Gärtner gezeichnet, immer einen Apfel in der Hand. Er sorgte ebenfalls für buffoneske Einlagen und ließ einen noch deutlich ausgeprägteren, manchmal schon etwas grell färbenden Charaktertenor hören.

Die Götter, von Monteverdi mit etwas verzierungsreicherem Gesang bedacht, fielen gerade dort leicht ab. Sabina Puértolas konnte sich als Minerva am besten ins Szene setzen. Sie ließ einen angenehm timbrierten, lyrischen Sopran hören, der nur hin und wieder eine Spur strapaziert klang. Die übrigen Götter kamen wenig zum Einsatz. Phillip Ens, klangvoll, geriet nur die „neptunische Tiefe“ schon recht leise, die Monteverdi einfordert, wenn der Gott mit Jupiter über die Ankunft des Ulisse orakelt und das Phäakenschiff versteinert. Aber hier lässt es Guth sogar ein bisschen bühnenzaubern.

Die Nebenrollen wie die Amme (hier Dienerin) Ericlea, Milena Storti, waren zum Teil mit einigen Strichen bedacht worden - so durfte die Amme beispielsweise ihre Gewissensbisse im dritten Akt nicht dem Publikum vortragen. Katija Dragojevic lieh Melanto einen burschikosen, leicht dunkel timbrierten Mezzo. Ihr Liebhaber, Eurimaco, Sebastian Kohlhepp, fungierte als Penelopes Leibwächter. Der Buffogehalt der beiden Partien blieb inszenierungsbedingt etwas reduziert.

Stimmig das Schlussbild – wenn Penelope und Ulisse auf halbdunkler Bühne hinter der brennenden Uniform des Kriegers auf einem Sofa Platz nehmen. Ulisse lässt jetzt seine Vergangenheit hinter sich, er hat sebst an seine Uniform Feuer gelegt. Aber kann das Paar in Zukunft die Freuden eines ruhigen Lebensabends genießen? Schließlich wurden zuvor auch die Götter als leblose Hüllen gezeigt, über Sitzmöbel gelegtes Gewand wie abgelegte Erinnerungen ...

Der Applaus im nicht ganz gefüllten Haus war einhellig positiv – keine Missfallensbezeugungen – und dauerte rund zehn Minuten lang. Er bezog auch Paul Lorenger mit ein, der als pantomimisch versierter Statist immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich zog, sei es als witziger Barkeeper im Hause des Ulisses oder als verwundeter, sterbender oder toter Kriegskamerad in den Schreckensvisionen.