IL RITORNO D' ULISSE IN PATRIA
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Theater a.d. Wien
11.5.2002
Gastspiel im Rahmen der Wiener-Festwochen
Produktion des Festival d'Aix-en-Provence 2000

Musikalische Leitung: William Christie

Regie: Adrian Noble
Bühne, Kostüme: Anthony Ward
Bewegungschoreographie: Sue Lefton
Licht: Jean Kalman

Orchester: Les Arts Florissants

Ulisse - Kresimir Špicer
Penelope - Marijana Mijanovic
L'Humana Fragilità- Rachid Ben Abdeslam
Il Tempo / Nettuno - Paul-Henry Vila
La Fortuna / Melanto - Katalin Károly
Amore / Minerva - Olga Pitarch
Giove - Éric Raffard

Giunone - Rebecca Ockenden
Telemaco - Cyril Auvity
Antinoo - Bertrand Bontoux
Pisandor / Feace - Christophe Laporte
Anfinomo - Andreas Gisler
Eurimaco - Zachary Stains
Eumete - Joseph Cornwell
Iro - Robert Burt
Ericlea - Geneviève Kaemmerlen
Feace - Marcio Soares Holanda


"Welt-Theater"
(Dominik Troger)

Nackt huscht "Die menschliche Zerbrechlichkeit" (Rachid Ben Abdeslam) über die Bühne, kauert sich schutzsuchend an ein einsames kleines Lagerfeuer im Bühnendunkel - der Prolog zu Claudio Monteverdis "Il Ritorno d'Ulisse in Patria" scheut sich nicht, sehr direkt die nackten Tatsachen der menschlichen Existenz bloß zu legen: "Sterblich bin ich... Mortal cosa son io, fattura humana", schutzlos dem Schicksal, der Zeit und der Liebe preisgegeben...

Die Einheitsbühne stellt den Hof des Königspalastes von Ithaka dar: rötlicher Sand, der die Fußabdrücke der SängerInnen festhält, links und rechts zwei helle, sandgelbe Mauern, rechts im Hintergrund, auch vor einen Mauerteil gesetzt, ein paar Tonkrüge unterschiedlicher Größe - ein einsam aufragendes, zuerst kaum sichtbares Wasserleitungsrohr, mit "archaischem" Drehverschluss, spielt den Brunnen. Das alles wirkt sehr konkret, aber auch sehr skizzenhaft, bewusst zurückgenommen, genauso wie die Instrumentation - ein Spiel-Raum, ein "Welt-Raum" wie für eine Shakespeare-Tragödie ausgespannt. (Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, Regisseur Adrian Noble ist künstlerischer Leiter der Royal Shakespeare Company.) Die Inszenierung rückt die Darsteller stark in den Vordergrund, verlässt sich auf Monteverdis Gefühls-Choreographie, die letztlich die Zuhörer berühren soll, reinwaschen und reinigen von den Affekten des Alltags - aufbauend auf der antiken Poetik.

Keine Frage, zuerst empfindet man das als ein wenig karg. Aber schon Penelopes Klage zu Beginn des ersten Aktes, von der androgynen Marijana Mijanovic im schwarzen Kleide mit schwebender Melancholie vorgetragen, lässt diesen Gedanken vergessen. Schon wenig später wird Odysseus (Kresimir Spicer) an Land getragen. Das Schiff symbolisiert ein großes dreieckiges weißes Tuch, halbbühnenüberdeckend, dass an zwei Enden von jeweils einem Darsteller gezogen, wie ein natürliches Segel zu flattern und zu wehen beginnt. Dann taucht Neptun (Paul-Henry Vila) aus dem Bühnenuntergrund wie aus des Meeres Fluten, Jupiter (Éric Raffard) schwebt auf einem goldbarocken "fliegenden Teppich" herab - erstmals bricht sich auch ein gewisser ironischer Spielwitz die Bahn - aber geschmackvoll, den Affekt hebend, Jupiters Macht und Glorie nur gerecht. Sobald dann Odysses erwacht und Minerva (Olga Pitarch) als Hirtenknabe auftritt, ist es wieder der Sand, der die Spuren der Menschen aufnimmt, abbildet, solange, bis wieder einmal jemand darüber hinschreiten wird und sie verwischt...

Am Hofe der Penelope lassen es sich unterdessen die Freier gut gehen, und mit Iro (Robert Burt) meldet sich auch das deftige Volk zu Wort, macht derbe Spässe und beendet sein Bühnendasein in einem großen Tonkrug. Iro kommt auch die Aufgabe zu, am Beginn des dritten Aktes die Rache des Odysseus an den Freiern fast ins groteske zu verzerren, wenn er sich über den Tod seiner Brötchengeber und den für ihn daraus folgenden Hunger beklagt: "Die Freier, die Freier, sie wurden ermordet. Ah, ich verlor die Freuden des Bauches und des Gaumens!" So drängt sich da und dort burleskes Spiel zwischen die Seelenqualen einer Penelope und eines Odysseus, zieht einen als Zuhörer aus der Ebene hochgestimmter Gefühls-Artistik wieder herab zu den "niederen" Grundbedürfnissen menschlicher Existenz: Essen und Trinken und Spaß haben. Der Kosmos hat damit seine gesamte Ausdehnung erfahren, von den "Schicksalsmächten" des Prologes, über die Götter, über Odysseus, der obwohl Mensch zumindest nach den Göttern gegriffen hat, über Penelope, die in ihrer Standhaftigkeit ja auch schon "über-menschlich" erscheint, bis hinab zu den Freiern und ihrem lebensgierigen Gefolge. Monteverdi hat für alle diese Ebenen einen adäquaten musikalischen Ausdruck gefunden.

Es war eine sehr wohltemperierte, stimmungsvolle, musikalisch vorzügliche Aufführung, mit einer ganzen Reihe charaktervoller, schöner Stimmen, neben der Penelope (ja auch ihre Stimme war androgyn, mit der Klangfarbe eines Countertenors, schlank wie ihr Körper, sich aller geschlechtlichen Zuordnung in rätselhafter Weise entziehend) sind hier vor allem noch der Odysseus zu nennen und der Telemach von Cyril Auvity.

Die musikalische Bearbeitung konzentrierte sich auf ein kleines Orchester, eine Handvoll Musiker, den ursprünglichen Aufführungsbedingungen nachempfunden. Der Ulisse war bereits für ein öffentliches Opernhaus komponiert worden - und ist keine höfische Repräsentations-Musik. Und schon damals mussten Operndirektoren sparen, deshalb hielten sie sich sehr kleine Orchester und kaum Chöre - was Monteverdi auch berücksichtigt hat. Wie weit bei dieser Produktion die "Originalität" gewahrt geblieben ist oder was dafür gehalten wird, ist eine musiktheoretische Frage, die hier nicht zur Debatte steht. Die Les Arts Florissants unter der Leitung von William Christie hatten jedenfalls großen Anteil an dieser sehr schönen, poetischen Produktion, die diesen frühen Opern-Kosmos eines Monterverdi sehr eindrucksvoll und glaubhaft wiedererstehen ließ.

Das Publikum ließ sich nachher auch fast zu "standing-ovations" hinreißen, womit der Start in die heurigen Wiener Festwochen als großer Erfolg verbucht werden kann. Was in der ersten halben Stunde nicht funktionierte, das war die Projektion des deutschen Textes auf den oberen Bühnenrand zum Mitlesen - aber das war wohl der Premiereneffekt.