L'INCORONAZIONE DI POPPEA

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Staatsoper - Livestream
Premiere
22. Mai 2021

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado
Inszenierung und Bühne:
Jan Lauwers
Kostüme:
Lemm & Barkey
Licht: Ken Hioco

Orchester: Concentus Musicus Wien

In Zusammenarbeit mit Needcompany

Nerone - Kate Lindsey
Poppea - Slávka Zámečníková
Ottone - Xavier Sabata
Ottavia - Christina Bock
Seneca - Willard White
Virtù / Drusilla - Vera-Lotte Boecker
Nutrice / Famigliare - Daniel Jenz
Arnalta - Thomas Ebenstein
Amore / Valletto - Isabel Signoret
Fortuna / Damigella / Amorino - Johanna Wallroth
Pallade / Venere - Aurora Marthens
Lucano / Soldato I / Famigliare - Josh Lovell
Liberto / Soldato II / Console - Hiroshi Amako
Littore / Tribuno / Famigliare - Erik Van Heyningen
Amorino - Katarina Porubanova

Solotänzerin - Sarah Lutz
Solotänzer - Camilo Mejía Cortés

„Verdrehte Krönung“
(Dominik Troger)

Die erste Staatsopern-Premiere vor Publikum nach dem Ende des Lockdowns galt Claudio Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“. Es handelte sich um die Übernahme einer Produktion der Salzburger Festspiele aus dem Jahr 2018. Nachstehende Eindrücke beziehen sich auf den Stream der Aufführung über die Homepage der Wiener Staatsoper.

Nachdem der Schreiber dieser Zeilen noch auf die durch eine Impfung erworbene gesundheitsbehördliche Absolution wartet, hat er es sich daheim vor dem Notebook gemütlich gemacht und auf das Freitesten verzichtet – und diese Entscheidung war goldrichtig. Die handlungstragenden Figuren im Fokus, das inszenatorische Geschwurbel an den Bildschirmrand verbannt, störten höchsten dann und wann die Beine eines sich unablässig drehenden Tänzers, der in der Bühnenmitte zum menschlichen Kreisel verdammt, hoffentlich nicht selbst den Drehwurm bekam.

Wer die Kritiken zur Salzburger Aufführung dieser Produktion überflogen hat, der konnte ohnehin schon erahnen, was die Staatsopern-Bühne erklimmen würde: tanzende, hopsende, hüpfende, springende, rollende, laufende, liegende, schmusende, grapschende, herumwuselnde, sich drehende Halbnackte, die mit erotischen Avancen den Aufstieg Poppeas zur Kaiserin begleiten – ein „Happening“ mit dem großen Fehler, dass das Publikum nicht mitmachen durfte. Das wäre es gewesen: Die Tanzfläche wie beim Opernball, Poppea und Nerone sich liebend, das Tanzensemble und die Besucher dazwischen, weintrinkend, halbnackt, der Operndirektor mit einer feinen Toga und daumenauf- und daumenabgewendeten Segensgrüßen aus der Proszeniumsloge. Schade, dass Stefan Weber von den „Drahdiwaberl“ schon verstorben ist, bei dem hätte man sich „saturnalische“ Tipps holen können.

So aber blieb eben doch alles beim Alten, bei der kontrollierten Drehung auf der Bühne, so daß niemand aus der Kurve flog, und das Publikum musste den Abend brav in seinen Sitzen festgebannt über sich ergehen lassen, von einem gereiften Performancekünstler, Jan Lauwers und seiner Needcompany, mehr oder weniger „schwindlig“ gespielt. Nun, nach nacktem Fleisch gieren die größten Häupter der Welt, so falsch kann es also auch wieder nicht gewesen sein, dergleichen auf die Bühne zu bringen. Als Spielfläche dienten dutzende kunstgeschichtlich wertvolle Nackte, die man gleichsam aus Gemälden geschnitten und zu einem bühnenweiten Bodenbelag montiert hatte: Kunstgeschichte-Absolventen können sicher auch die wertgeschätzten Maler von Renaissance bis Barock benennen, die dafür „Pate“ gestanden haben. Die Spielfläche ragte außerdem mit einer „Nase“ in das Orchester hinein, das man etwas höher gesetzt hatte. Platz genug für allerhand „Tohuwabohu“ war auf der leeren Bühne vorhanden.

Um noch ein paar szenische Eindrücke zu konkretisieren – der Prolog spielte vor dem Vorhang, Tugend, Fortuna und Amore kamen mit auf eigenartigen Krücken stolpernden „Sklaven“ auf die Bühne, die sie malträtierten. Sollte damit gezeigt werden, dass die Menschen ihrem Schicksal nicht entgehen können? Im zweiten Akt formierte sich zu Poppeas vom Mordanschlag bedrohtem Schlaf ein „lebendes Bild“ auf der Bühne – eine laszive Komposition erotischer Naivität. Luster „schwebten“ ein oder zweimal über der Spielfläche (etwa beim Auftritt Senecas). Ansonsten gab es kaum den Versuch konkreter situationsbezogener Gestaltung, sondern fließendes Bewegungstheater, bei dem immer die Gefahr bestand, dass die handelnden Personen überdeckt wurden. Der Stream bot hier wirklich den Vorteil, durch den gezeigten Bildausschnitt der Handlung einigermaßen folgen zu können.

Deshalb komme ich zumindest für den ersten Akt möglicherweise zu einem günstigeren Urteil als Rezensenten im Saal. (Der ersten Akt war im Vergleich zu den beiden folgenden Akten kaum gekürzt worden. Auf ihn folgte die Pause, danach gab es die Akte zwei und drei, die nahtlos ineinander übergingen.): Ottone kletterte auf die Bühne und lamentierte, Poppea und Nerone spielten liebeshungrig, von der Regie stark sexualisiert, Poppea von kühlem, unterschwelligem Machtbewusstsein angetrieben. Nerones Auftritt:  „Poppea, lascia ch'io parta“ wurde mit deutlichem Herrschaftsanspruch in den Raum gestellt. Senecas Auftritt  hatte Würde – und das Ringen um Macht und Einfluss beziehungsweise um Kalmierung des politischen Familienunfriedens kam gut heraus. Das waren Momente, die durchaus Hoffnungen auf einen spannenden Opernabend weckten. Leider hat sich nach der Pause dieser Eindruck schnell verflüchtigt. Das Pulver war offenbar „verschossen“, der Handlungsfaden riss. Nerone entkam nicht mehr dem kollektiven Herumgehopse, Poppea konnte nicht zulegen, und das „Geschmuse“ der beiden wurde langweilig.

Die „Poppea“ ist in den letzten Jahren zweimal im Theater an der Wien inszeniert worden: 2010 hat Robert Carsen dort eine famose Produktion auf die Bühne gestellt, fünf Jahre später Claus Guth eine  depressive Sicht der Dinge angeboten. Handwerklich waren beide Produktionen ausgezeichnet – da hätte sich die Staatsoper eine Scheibe davon abschneiden können. Die Staatsoper hat sogar selbst eine „Poppea“-Vergangenheit. Herbert v. Karajan hat sie 1963 im Haus am Ring präsentiert: In einer Fassung, die dem Stand heutiger historisch-informierter Aufführungspraxis natürlich fern steht,  die aber trotzdem ihre Reize hat (man kann sie auf Youtube nachhören). Die Produktion war damals ein großer Erfolg.

Im Jahr 2021 hat sich die Staatsoper nur bedingt auf eigene Kräfte verlassen. Von  Jan Lauwers und seiner Perfomancetruppe Needcompany war schon die Rede, dazu gesellte sich der Concentus Musicus - zum ersten Mal an der Staatsoper aufgeboten und mit über 40 Musikern in ganz großer Besetzung. Für die musikalische Leitung sorgte Pablo Heras-Casado. Bei der Musik wird der Stream natürlich zum Nachteil, aber das Orchester kam teilweise ziemlich kräftig über die Lautsprecher. Überhaupt schien mir die ganze Aufführung etwas auf „schroff“ gepegelt, mit einem  „kantigen“ Sound aus dem Orchestergraben und auch die Stimmen pflegten – bis auf den Ottone des Xavier Sabata – nicht gerade eine amouröse Poesie.

Xavier Sabata lieh mit seinem Countertenor dem Ottone eine poetisch feingesponnene, musikalische „Rhetorik“.  Er vermochte jede Silbe, jedes Wort, jede Phrase auf eine sängerische „Goldwaage“ zu legen, zu modellieren, in Nuancen aufzufächern, die, das wäre allerdings zu vermuten, vor Ort womöglich Gefahr liefen, vom Orchester überdeckt zu werden. Dem feinen, stilistisch zugespitzen Pinselstrich des Countertenors ist die Größe des Hauses an sich schon kein Freund – und sie fand an diesem Abend auch keine Nachahmer.

Slávka Zámečníková bot für die Poppea berechnende Soprankühle auf und zeigte darstellerisch wenig Flexibilität – und der Nerone der Kate Lindsey konnte nach starkem Beginn den liebestollen kaiserlichen Herrschaftsanspruch samt Persönlichkeitsstörung nur bedingt vermitteln. Willard White war ein würdevoller Seneca – ein leicht gerauter Bassbariton gemessenen Alters. Thomas Ebenstein gab mit seinem straffen Charaktertenor eine stark in die Richtung Parodie gedrängte Arnalta; John Lovell gab dem Lucano und weiteren Nebenfiguren mit seinem lyrischen Tenor eine gute Kontur. Christina Bock gelang als Ottavia nur ein recht blasser Abschied von Rom. Das übrige Ensemble zeugte im Rahmen des Streams von solider Konsistenz. Die Aufführung dauerte rund drei Stunden fünfzehn Minuten lang. Die Publikumsreaktionen zum Schlussvorhang klangen im Stream sehr positiv. Der Stream selbst funktionierte bis auf zwei, drei kurze Aussetzer klaglos.