„Verdrehte Krönung“
(Dominik Troger)
Die
erste Staatsopern-Premiere vor Publikum nach dem Ende des Lockdowns galt
Claudio Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“. Es handelte sich um
die Übernahme einer Produktion der Salzburger Festspiele aus dem Jahr
2018. Nachstehende Eindrücke beziehen sich auf den Stream der
Aufführung über die Homepage der Wiener Staatsoper.
Nachdem der Schreiber dieser Zeilen noch auf die durch eine Impfung
erworbene gesundheitsbehördliche Absolution wartet, hat er es sich daheim
vor dem Notebook gemütlich gemacht und auf das Freitesten verzichtet –
und diese Entscheidung war goldrichtig. Die handlungstragenden Figuren
im Fokus, das inszenatorische Geschwurbel an den Bildschirmrand
verbannt, störten höchsten dann und wann die Beine eines sich
unablässig drehenden Tänzers, der in der Bühnenmitte zum menschlichen
Kreisel verdammt, hoffentlich nicht selbst den Drehwurm bekam.
Wer die Kritiken zur Salzburger Aufführung dieser Produktion überflogen
hat, der konnte ohnehin schon erahnen, was die Staatsopern-Bühne
erklimmen würde: tanzende, hopsende, hüpfende, springende, rollende,
laufende, liegende, schmusende, grapschende, herumwuselnde, sich
drehende Halbnackte, die mit erotischen Avancen den Aufstieg Poppeas
zur Kaiserin begleiten – ein „Happening“ mit dem großen Fehler, dass
das Publikum nicht mitmachen durfte. Das wäre es gewesen: Die
Tanzfläche wie beim Opernball, Poppea und Nerone sich liebend, das
Tanzensemble und die Besucher dazwischen, weintrinkend, halbnackt, der
Operndirektor mit einer feinen Toga und daumenauf- und
daumenabgewendeten Segensgrüßen aus der Proszeniumsloge. Schade, dass
Stefan Weber von den „Drahdiwaberl“ schon verstorben ist, bei dem hätte
man sich „saturnalische“ Tipps holen können.
So aber blieb eben doch alles beim Alten, bei der kontrollierten
Drehung auf der Bühne, so daß niemand aus der Kurve flog, und das
Publikum musste den Abend brav in seinen Sitzen festgebannt über sich
ergehen lassen, von einem gereiften Performancekünstler, Jan Lauwers und seiner Needcompany,
mehr oder weniger „schwindlig“ gespielt. Nun, nach nacktem Fleisch
gieren die größten Häupter der Welt, so falsch kann es also auch wieder
nicht gewesen sein, dergleichen auf die Bühne zu bringen. Als
Spielfläche dienten dutzende kunstgeschichtlich wertvolle Nackte, die
man gleichsam aus Gemälden geschnitten und zu einem bühnenweiten
Bodenbelag montiert hatte: Kunstgeschichte-Absolventen können sicher
auch die wertgeschätzten Maler von Renaissance bis Barock benennen, die
dafür „Pate“ gestanden haben. Die Spielfläche ragte außerdem mit einer
„Nase“ in das Orchester hinein, das man etwas höher gesetzt hatte.
Platz genug für allerhand „Tohuwabohu“ war auf der leeren Bühne
vorhanden.
Um noch ein paar szenische Eindrücke zu konkretisieren – der Prolog
spielte vor dem Vorhang, Tugend, Fortuna und Amore kamen mit auf
eigenartigen Krücken stolpernden „Sklaven“ auf die Bühne, die sie
malträtierten. Sollte damit gezeigt werden, dass die Menschen ihrem
Schicksal nicht entgehen können? Im zweiten Akt formierte sich zu
Poppeas vom Mordanschlag bedrohtem Schlaf ein „lebendes Bild“ auf der
Bühne – eine laszive Komposition erotischer Naivität. Luster
„schwebten“ ein oder zweimal über der Spielfläche (etwa beim Auftritt
Senecas). Ansonsten gab es kaum den Versuch konkreter
situationsbezogener Gestaltung, sondern fließendes Bewegungstheater,
bei dem immer die Gefahr bestand, dass die handelnden Personen
überdeckt wurden. Der Stream bot hier wirklich den Vorteil, durch den
gezeigten Bildausschnitt der Handlung einigermaßen folgen zu können.
Deshalb komme ich zumindest für den ersten Akt möglicherweise zu einem
günstigeren Urteil als Rezensenten im Saal. (Der ersten Akt war im
Vergleich zu den beiden folgenden Akten kaum gekürzt worden. Auf ihn
folgte die Pause, danach gab es die Akte zwei und drei, die nahtlos
ineinander übergingen.): Ottone kletterte auf die Bühne und
lamentierte, Poppea und Nerone spielten liebeshungrig, von der Regie
stark sexualisiert, Poppea von kühlem, unterschwelligem
Machtbewusstsein angetrieben. Nerones Auftritt: „Poppea, lascia ch'io parta“ wurde
mit deutlichem Herrschaftsanspruch in den Raum gestellt. Senecas
Auftritt hatte Würde – und das Ringen um Macht und Einfluss
beziehungsweise um Kalmierung des politischen Familienunfriedens kam
gut heraus. Das waren Momente, die durchaus Hoffnungen auf einen
spannenden Opernabend weckten. Leider hat sich nach der Pause dieser
Eindruck schnell verflüchtigt. Das Pulver war offenbar „verschossen“,
der Handlungsfaden riss. Nerone entkam nicht mehr dem kollektiven
Herumgehopse, Poppea konnte nicht zulegen, und das „Geschmuse“ der
beiden wurde langweilig.
Die „Poppea“ ist in den letzten Jahren zweimal im Theater an der Wien
inszeniert worden: 2010 hat Robert Carsen dort eine famose Produktion
auf die Bühne gestellt, fünf Jahre später Claus Guth eine
depressive Sicht der Dinge angeboten. Handwerklich waren beide
Produktionen ausgezeichnet – da hätte sich die Staatsoper eine Scheibe
davon abschneiden können. Die Staatsoper hat sogar selbst eine
„Poppea“-Vergangenheit. Herbert v. Karajan hat sie 1963 im Haus am Ring
präsentiert: In einer Fassung, die dem Stand heutiger
historisch-informierter Aufführungspraxis natürlich fern steht,
die aber trotzdem ihre Reize hat (man kann sie auf Youtube
nachhören). Die Produktion war damals ein großer Erfolg.
Im Jahr 2021 hat sich die Staatsoper nur bedingt auf eigene Kräfte
verlassen. Von Jan Lauwers und seiner Perfomancetruppe
Needcompany war schon die Rede, dazu gesellte sich der Concentus Musicus
- zum ersten Mal an der Staatsoper aufgeboten und mit über 40 Musikern
in ganz großer Besetzung. Für die musikalische Leitung sorgte Pablo Heras-Casado.
Bei der Musik wird der Stream natürlich zum Nachteil, aber das
Orchester kam teilweise ziemlich kräftig über die Lautsprecher.
Überhaupt schien mir die ganze Aufführung etwas auf „schroff“ gepegelt,
mit einem „kantigen“ Sound aus dem Orchestergraben und auch die
Stimmen pflegten – bis auf den Ottone des Xavier Sabata – nicht gerade
eine amouröse Poesie.
Xavier Sabata lieh mit
seinem Countertenor dem Ottone eine poetisch feingesponnene,
musikalische „Rhetorik“. Er vermochte jede Silbe, jedes Wort,
jede Phrase auf eine sängerische „Goldwaage“ zu legen, zu modellieren,
in Nuancen aufzufächern, die, das wäre allerdings zu vermuten, vor Ort
womöglich Gefahr liefen, vom Orchester überdeckt zu werden. Dem feinen,
stilistisch zugespitzen Pinselstrich des Countertenors ist die Größe
des Hauses an sich schon kein Freund – und sie fand an diesem Abend
auch keine Nachahmer.
Slávka Zámečníková bot für die Poppea berechnende Soprankühle auf und zeigte darstellerisch wenig Flexibilität – und der Nerone der Kate Lindsey
konnte nach starkem Beginn den liebestollen kaiserlichen
Herrschaftsanspruch samt Persönlichkeitsstörung nur bedingt vermitteln.
Willard White war ein würdevoller Seneca – ein leicht gerauter Bassbariton gemessenen Alters. Thomas Ebenstein gab mit seinem straffen Charaktertenor eine stark in die Richtung Parodie gedrängte Arnalta; John Lovell gab dem Lucano und weiteren Nebenfiguren mit seinem lyrischen Tenor eine gute Kontur. Christina Bock
gelang als Ottavia nur ein recht blasser Abschied von Rom. Das übrige
Ensemble zeugte im Rahmen des Streams von solider Konsistenz. Die
Aufführung dauerte rund drei Stunden fünfzehn Minuten lang. Die
Publikumsreaktionen zum Schlussvorhang klangen im Stream sehr positiv.
Der Stream selbst funktionierte bis auf zwei, drei kurze Aussetzer
klaglos.
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