L'INCORONAZIONE DI POPPEA

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Theater an der Wien
Premiere
12. Oktober 2015

Musikalische Leitung: Jean-Christophe Spinosi
Inszenierung: Claus Guth
Ausstattung: Christian Schmidt
Licht: Olaf Winter
Videodesign: Arian Andiel
Choreographie: Ramses Sigl
Sounddesign: Christina Bauer

Ottone - Christophe Dumaux
Ottavia - Jennifer Larmore
Nerone - Valer Sabadus
Poppea - Alex Penda
Seneca - Franz-Josef Selig
Drusilla - Sabina Puértolas
Nutrice, Ottavias Amme - Marcel Beekman
Arnalta, Poppeas Amme - José Manuel Zapata
Fortuna - Frederikke Kampmann
Virtù | Pallade - Natalia Kawalek
Amore | 1. Famigliare - Jake Arditti
Damigella - Gaia Petrone
Valletto - Emilie Renard
Lucano | 1. Soldat | Konsul | 2. Famigliare - Rupert Charlesworth
Liberto | 2. Soldat | Konsul Manuel Günther Mercurio | Tribun | 3. Famigliare -
Christoph Seidl
Littore,
Tribun -Tobias Greenhalgh


„Nero als Quotenkaiser?“
(Dominik Troger)

Regisseur Claus Guth hat im Theater an der Wien mit „L´incoronazione di Poppea“ seinen Monteverdi-Zyklus abgeschlossen. Der Premierenabend wurde vom Publikum mit viel Beifall, aber auch mit deutlich hörbarem Widerspruch bedacht.

Im Jahr 2010 wurde im Theater an der Wien eine Produktion der „Poppea” in der Regie von Robert Carsen gezeigt. Fünf Jahre später hat sich Claus Guth der letzten Oper von Claudio Monteverdi angenommen. Guth ist 2011 mit „L'Orfeo“ am Theater an der Wien zu seinem Monteverdi-Abenteuer aufgebrochen; 2012 folgte „Il Ritorno d'Ulisse in Patria“. In der „Poppea” lag Guths Fokus einmal mehr auf der Darstellung psychischer Ausnahmezustände, von der er bei einem historiographisch so übel beleumundeten Kerl wie Kaiser Nero natürlich eifrigen Gebrauch machen konnte.

Guths Nero oszillierte masochistisch zwischen Gewaltanwandlungen und erotischer Unterwerfung. Vom Charakter mehr introvertiert gezeichnet, gab sich Nero wie ein hinterlistig ausbrechender Vulkan, der nicht mit viel Rauch pompös umliegende Lande vernichtet, sondern zuerst, wie aus der Defensive agierend, mal eine gierig Leben verschlingende Bodenspalte aufreißt. Auf diese Weise hat der Regisseur ein perfides Porträt des römischen Kaisers gezeichnet, dem er seinen historisch belegten Selbstmord nicht vorenthielt.

Guth hat ein gewisses Faible für Bühnenselbstmorde, Todesfälle und andere unglückliche Verstrickungen. Dass eine Oper mit einem so schwärmerischen Liebesduett schließt, wie „L´incoronazione di Poppea“, das geht natürlich gar nicht. Also erschießt Nero seine neue Kaiserin (wenigstens kracht die Pistole dabei nicht) und Poppea sinkt im Zeitlupentempo zu Boden. Dann legt sich Nero neben sie und jagt sich eine Kugel in den Kopf. Monteverdis Musik darf dabei langsam und von langen Pausen zerstückelt ausklingen. Das war ein „Liebestod“, der einem Teil des Publikums nicht „geschmeckt” hat.

Die zweite Unbekömmlichkeit des Abends waren die elektronisch veränderten Klänge der Zwischenmusiken – sogenannte „Soundscapes“. Folgt man dem Interview mit Claus Guth im Programmheft zur Aufführung, dann denkt dieser offenbar zunehmend daran, seitens der Regie nicht nur in die Handlung, sondern auch in die Musik einzugreifen. Die hier angewandten musikalischen Verblendungen, für die Live-Klänge aus dem Orchester „aufbereitet” wurden, waren im Rahmen dieser Produktion zwar verträglich und der jeweiligen emotionalen Stimmung angepasst – aber abgegangen wären sie mir nicht. Jean-Christophe Spinosi, der musikalische Leiter des Abends, hat sich auf dieses „Experiment“ eingelassen. Für den Abend wurde eine Spielfassung aus dem überlieferten Notenmaterial entwickelt, die Orchesterbesetzung wurde erweitert. Einige Details zur Fassung und zur Orchesterbesetzung können im Programmheft nachgelesen werden.

Die Handlung wurde in die Gegenwart versetzt – ein Fernsehstudio, mit bühnenspannweiter Weltkarte im Hintergrund, samt nüchternem Backstagebereich auf die Drehbühne gestellt. Der Prolog hinterließ mit einem showartigen Stelldichein von Fortuna, Virtù und Amore einen sehr guten Eindruck, der Backstagebereich fiel dagegen optisch stark ab – wenn nicht gerade ein amerikanischer „Oldtimer“ auf der Bühne stand (1960er/70er-Jahre?), auf dessen Dach Poppea und Nero ein paar Minuten ihrer Liebe besangen. Ganz schlüssig war dieses Bühnenambiente nicht. Nero als Quotenkaiser in einer von Liebe, Tugend und Glück veranstalteten Reality-Show? Dafür inszenierte Guth Senecas Selbstmord mit Badewanne und einem nahezu entkleideten Seneca, der in selbige stieg, um sich die Pulsadern aufzuschneiden. Senecas Tod beschloss den ersten Teil des Abends, dann ging es in die Pause. Nach der Pause machte Nero mit dem toten Seneca ein paar Scherzchen und drückte ihm ein Sektglas in die Hand. Nero verkostete sogar das aus Senecas Adern in das Wannenwasser gesprudelte Philosophenblut. Es hat ihn nicht weiser gemacht.

Von Amor angefacht, der den ganzen Abend über seine Fäden zog, wurde das reichhaltige Personal des Stücks immer wieder zu übertriebener Lustigkeit angehalten. Ottavia hatte zudem ein Alkoholproblem. Infolge dieser Mischung aus guten und unoriginellen Einfällen drehte sich der Abend immerhin mit zureichender Spannung im Takt der von der Drehbühnendrehung vorgegebenen Szenenwechsel. Wenn selbige ein wenig den Schwung zu verlieren drohte, würzten die Auftritte der beiden Ammen den Abend mit Humor. Poppea und Nero luden ihn hingegen in den Liebesszenen mit gymnastisch-anrüchiger Erotik auf. Poppea war jedenfalls eine fesche und eine resche „Braut“. Die konnte handfest zur Sache gehen und auch Nero zeigen, woher der Wind weht.

Musikalisch bot die Aufführung seitens des Ensemble Matheus Energie, Emotionalität und einen ganz der Expressivität der Handlung verpflichteten „Originalklang“. Diesem gesellte sich auf der Bühne ein üppiges Figurenverzeichnis hinzu. Valer Sabadus ging als Nero darstellerisch ganz in der Partie auf, war schon vom Typ sehr gut getroffen, mit etwas feingliedrigem, nicht gerade raumgreifendem Countertenor versehen, der Nero einen Zug ins hysterisch-mädchenhafte verpasste. Die Poppea von Alex Penda (vormals Alexandrina Pendatchanska) zeigte Durchsetzungsvermögen und Schwärmerei, von leicht angedunkelter Sopran-Erotik angetrieben. Neben den beiden wird man vor allem den Seneca des Franz Josef-Selig in Erinnerung behalten, der darstellerisch und gesanglich seinen Tod mit stoischem Weltschmerz zelebrierte – und der Nero ein paar Dinge vorsagte, die auch Politiker von heute durchaus noch bedenken könnten. Marcel Beekmann und Jose Manuel Zapata brillierten als witzige Ammen und zählten in Sachen Gesang zu den besten des Premierenabends. Jack Arditi war ein wendiger Amor und Jennifer Larmore fügte sich mit expressiver Persönlichkeit in das Schicksal der ungeliebten Ottavia. Sie zwang einen auch gesanglich überzeugenden Ottone (Christophe Dumaux) zum Mordanschlag auf Poppea. Emilie Renard machte sich mit Witz als triebgesteuerter Page an eine regiebedingt teils recht überdreht zu Werke gehende Drusilla (Sabina Puertolas) heran.

Das Ensemble zeigte insgesamt große Einsatzfreude – und das Publikum dankte es diesem auch mit viel Bravorufen und Beifall, etwa neun Minuten lang. Unüberhörbare Missfallensrufe gab es für die Regie und die musikalische Leitung. Der handwerklich sehr gut gearbeitete Abend dauerte inklusive einer Pause und mit einberechnetem Schlussapplaus von 19.00 bis beinahe 23.00 Uhr.