L'INCORONAZIONE DI POPPEA

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Theater an der Wien
Premiere
21.1.2010

Eine Koproduktion mit dem Glyndebourne Festival und der
Opéra Natioal de Bordeaux

Musikalische Leitung: Christopher Moulds
Inszenierung: Robert Carsen
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Constance Hoffmann
Licht: Robert Carsen und Peter van Praet

Ottone - Lawrence Zazzo
Poppea - Juanita Lascarro
Nerone - Jacek Laszczkowski
Ottavia - Anna Bonitatibus
Drusilla - Ingela Bohlin
Seneca - David Pittsinger
Arnalta - Marcel Beekman
Nutrice - Andrew Watts
Damigella - Beate Ritter
Valletto - Cornelia Horak
Mercurio - Dominik Köninger
Lucano und 1. Soldat - Michael Dailey
Liberto, 2. Soldat und Tribun - Nicholas Watts
Littore und Konsul - Andreas Wolf
Fortuna - Ruby Hughes
Virtù - Renate Arends
Amore - Trine Wilsberg Lund


„Poppea in modernem Gewand“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien startete in das neue Jahr mit Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“. Die Produktion basiert auf einer Inszenierung des Glyndebourne Festivals aus dem Jahre 2008, die für Wien mit neuer Besetzung erarbeitet wurde.

Die Aufführung hinterließ insgesamt einen sehr kompakten, durchgearbeiteten Eindruck. Die Modernität eines Robert Carsen kommt bei der Regie ohne billige Mätzchen aus und lebt von einer detailreichen Personenführung, die sowohl die Individuen als auch ihre soziale Bezüge treffsicher arrangiert. Auch die Sängerinnen und Sänger passten gut zu den dargestellten Charakteren. Da spielt dann das Kostüm kaum eine Rolle mehr – in diesem Fall gängige Alltagskleidung, von der Unterwäsche bis zum Maßanzug.

Geschickt wurde auch der Bühnenraum arrangiert: und Carsen hat die „Leere der Bühne“ fast im Sinne eines Peter Brook mit dem Weben eines erotisch befeuerten Beziehungsgespinstes gefüllt – bei minimalem Einsatz von Requisiten. Carsen hat zudem in einem Beitrag für das Programmheft über die künstlerische Nähe von Monteverdi und Shakespeare nachgedacht – eine Beziehung, die im Rahmen der Aufführung deutlich spürbar wurde.

Bei der Geschichte um die Karriere machende Poppea mischen sich die Stilebenen, Kaiser und Hofpersonal beteiligen sich üppig am „Sex and Crime“ im alten Rom - und Seneca persönlich steuert seine stoischen Sentenzen bei. Monteverdi scheint es dabei nicht um „Moral“ gegangen zu sein, beweist das Werk doch, wie der Prolog vorgibt, den Sieg des Gottes der Liebe über alle und jeden. Die Tugend hat (wie im Leben meist) von Beginn an schon verloren.

Die Umsetzung des Bühnenbildes und der Umbauten ist schlüssig und steht der Personenführung um nichts nach: das „Grundmotiv“ ist ein Theatervorhang in jenem plüschigen Rot, das den Logen so ein gewisses Flair verleiht. Dieser Vorhang dient als Trennwand ebenso wie als langer Amore oder Poppea umhüllender Schleppenmantel oder als stimmungsvoller wellenwerfender Riesenteppich. Seine Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und verblüffen, es lassen sich damit sogar die großflächigen Spuren eines Schaumbads beseitigen.

Ansonsten braucht es nur ein Doppelbett (was nahe liegt) und eine Badewanne (was weniger nahe liegt, aber Wasserspiele auf Opernbühnen sind anscheinend der gängige Trend). Dazu kommt, dass Carsen den Raum sehr gut nützt, dass die über dreieinhalb Stunden dauernde Aufführung (inklusive zwei Pausen) nie ins Stocken gerät oder die Monteverdischen „Rezitative“ durch zuviel „Action“ aushebelt.

Natürlich passiert auch eine „Ausdeutung“, die ein wenig über die Vorlage hinausgeht: etwa wenn Nero einen seiner Gespielen offenbar im Zuge eines Alkohol- und Sexualexzesses in der Badewanne ertränkt. (Das Requisit muss ja seine Sinnhaftigkeit unter Beweis stellen.) Dass sich Nero am Schluss einfach davonstiehlt, während sich Poppea selbstverliebt und auch ein bisschen verunsichert in den großen roten Bühnenvorhangmantel dreht, gibt dem süßen Liebesfinale einen etwas bitteren, mehr auf die historische Wirklichkeit abzielenden Beigeschmack.

Das Vorspiel lässt Carsen im Bühnenraum beginnen. Fortuna stöbert die als Nonne verkleidete Tugend in der ersten Reihe Parkett auf. Amore gesellt sich hinzu. Was zuerst nach billigem Effekt aussieht, rundet sich aber rasch. Amore übernimmt in Folge eine wichtige dramaturgische Rolle, taucht immer wieder auf, senkt symbolisch seinen goldenen Pfeil in die Herzen der Akteure. Überhaupt muss man Carsen zugestehen, dass er sein modernes Ambiente mit „Geschmack“ und „Hirn“ nützt, dass er keinen Wert darauf zu legen scheint, einen Teil des Publikums mit läppischen Witzchen zu unterhalten, um den anderen (größeren) Teil mehr oder weniger mit Absicht zu provozieren und aus dem Haus zu jagen. Freilich, vor Missgriffen ist niemand gefeit, und Carsens Hang zu einem gewissen „kühlen Design" mag nicht jederfrau/-manns Sache sein, aber an diesem Abend gab es für ihn am Schluss nur Bravos.

Die Besetzung ließ darstellerisch keine Wünsche offen, musikalisch hätte es insgesamt etwas „üppiger“ ausfallen können – obwohl meinerseits sich an den etwas trockenen Klang des Balthasar-Neumann-Ensembles unter Christopher Moulds überraschend rasch gewöhnt hat. Diese Kargheit trotz pointiertem Spiel korrespondierte ganz gut mit der Bühne – die Impulse kamen eher von dort, vor allem die Sängerinnen und Sänger trugen den Abend mit ihrer Ausdrucksstärke.

Juanita Lascarro lieh der Poppea ihr anziehende körperliche Gegenwart, obwohl sie die meiste Zeit nicht so „angezogen“ herumlaufen durfte. In netter Unterwäsche repräsentierte sie Neros Wünsche. Das Resultat war ein lasziv-erotisches Gesamtkunstwerk, an dem sie auch stimmlich eifrig mitwirkte. Ihr Machthunger kam weniger zur Geltung.

Der Nerone von Jacek Laszczkowski hatte eine äußerst exzentrische Note, sein Countertenor hinterließ bei mir nicht den Eindruck einer gleichmäßigen Ausgestaltung. Markant und exzessiv waren seine Sopran-Höhen, die Mittellage fiel dagegen stark ab. Für einen verrückten römische Kaiser mag das passen – und der Eindruck, den er hinterließ, war insofern wirklich „außergewöhnlich“.

Ein gesangliches „Highlight“ des Abends lieferte Anna Bonitatibus, die Ottavias Leid und Rachegelüste in einen kühlen, klaren Mezzo tauchte. Mit „Biss und Stolz“ nötigte sie Ottone zur Mordtat, mit Stolz, aber auch mit großer Wehmut, nahm sie Abschied von Rom. Dieser Ottone, gesungen von Lawrence Zazzo, klang stimmlich weitaus „gereifter“ als sein kaiserlicher Widersacher. Drusilla, Ingela Bohlin, hatte den passend hellen und lieblichen Sopran, um mehr oder weniger die unschuldige Liebe zu Ottone zu leben.

David Pittsinger gab einen ruhigen, seinem Schicksal schon abgeklärt gegenüberstehenden Seneca, der selbst im Tod noch eine gewisse „Pose“ zu suchen scheint – eingeübte Verhaltensmuster eines Stoikers? Sein Bassbariton klang nicht unbedingt farbenreich, wurde aber von einer soliden Spannkraft getragen, die dem alten Seneca eine intellektuell unangefochtene Würde verlieh. (Auch wenn das Nerone durchaus nicht einsehen wollte.)

De komischen Rollen der Nutrice und Arnalta wurden nach historischer Aufführungspraxis mit Männern besetzt, wodurch der Abend eine zusätzlich belebend-komische Note gewann. Andrew Watts und Marcel Beekman generierten durch ihre witzige Darstellung mit flexiblen Stimmen Gelächter und Beifall.

Cornelia Horak brachte als Page Valetto viel Schwung auf die Bühne: ein kecker Sopran. Zusammen mit Beate Ritter, Damigella, sorgte sie für die komödiantische Abhandlung der Liebesthematik auf der Ebene der Dienstboten. Trine Wilsberg Lind sang einen burschikosen Amore, Renate Arends eine passend blasse Virtù, Ruby Hughes, eine als reiche Society-Girl gekleidete Fortuna. Von den weiteren Nebenrollen stach noch Dominik Köninger als Mercurio heraus, der Seneca gefasst und gehaltvoll Neros Todesbefehl überbrachte.

Der Applaus am Schluss war stark, ganz ohne Missfallensbekundungen. Er dauerte etwa sieben bis acht Minuten. Beim Aufflammen der Saalbeleuchtung eilte das Publikum wie auf Knopfdruck zu den Garderoben.