L'ORFEO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Monteverdi-Portal

Staatsoper
11. 6. 2022
Premiere
Erstaufführung an der Wiener Staatsoper

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado

Inszenierung: Tom Morris
Bühne & Kostüme: Anna Fleischle
Licht: James Farncombe
Video: Nina Dunn
Choreographie & Bewegungsregie: Jane Gibson Callum Hastie

Concentus Musicus Wien
Chorakademie der Wiener Staatsoper, Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, Europaballett St. Pölten

Die Musik / Die Hoffnung / Echo - Kate Lindsey
Orfeo - Georg Nigl
Euridice - Slávka Zámecníková
Botin / Proserpina - Christina Bock
Plutone - Andrea Mastroni
Caronte - Wolfgang Bankl
Apollo - Hiroshi Amako
Nymphe - Antigoni Chalkia
Ein Hirte - Iurii Iushkevich
Ein Hirte / Ein Geist - Narumi Hashioka
, Aaron McInnis


Orfeo im Sommernachtstraum
(Dominik Troger)

Mit „L'incoronazione di Poppea“ hat der Claudio-Monteverdi-Zyklus der Wiener Staatsoper vor einem Jahr begonnen, mit „L’Orfeo“ wird er jetzt fortgesetzt. Als Orchester hat man wieder den Concentus Musicus unter Pablo Heras-Casado engagiert, für die Inszenierung wurde der englische Theatermacher Tom Morris nach Wien geholt.

Der Concentus Musicus war wieder erweitert worden, Pablo Heras-Casado warf allein fünf Trompeten und fünf Posaunen und eine verstärkte Continuo Gruppe „in die Schlacht“, um der Staatsoper Monteverdis Musik so nahe zu bringen wie es dem großen Auditorium angemessen ist. Das Ergebnis war ein Monteverdi, der leicht angeraut weniger rührende Feinheiten herausstrich, sondern mehr mit breitem Pinselstrich die gewaltige seelische Erschütterung malte, der Orfeo ob des Verlustes seiner Braut anheimfällt.

Die musikalische Wiedergabe war gut auf den von Tom Morris inszenierten „Event“ abgestimmt, dem allerdings nach dem tragischen Ausgang des Hochzeitsfestes rasch die „Eventhaftigkeit“ abhanden kam. Was mit kindischen Lautsprecherdurchsagen zwanzig und zehn Minuten vor Vorstellungsbeginn begann („In zwanzig Minuten geht’s los ...“) und mit der Einbeziehung des Zuschauerraums ein wenig an die französische „Don Carlos“-Produktion erinnerte (aber nicht so konsequent durchgezogen wurde), verblasste rasch vor der Tragik des Geschehens, das sich später wieder ganz „klassisch“ auf die Bühne zurückziehen sollte. Aber zuerst tummelten sich noch Mitwirkende im Parterre und der Dirigent marschierte von einem Trommler begleitet zum Pult. Im Bühnenhintergrund sah man eine Projektion der Zuschauerränge der Staatsoper: Alle sollten an diesem Hochzeitsfest teilhaben!

Solch ausgelassenes Treiben steht einer Hochzeit gut an. Die Hochzeitsgäste, phantasievoll kostümiert wie für einen „Sommernachtstraum“, feierten in bukolischem Ambiente – aber weil Tom Morris die Braut nicht zum Blumenpflücken schickt, sondern auf der Bühne belässt, entfaltete der fatale Stimmungsumschwung mit dem Auftritt der Botin kaum Wirkung. Wenn jeder sieht, dass Euridice tot umfällt, wozu braucht es dann eine Messageria?

Morris wollte möglicherweise Orfeo in der „Menschenwelt“ belassen, an ihm ein Exempel über „Trauerarbeit“ statuieren. Er geht in einem Interview kurz darauf ein, das im Programmheft zur Aufführung nachgelesen werden kann. Es hat den Anschein, als würde Orfeo die Hochzeitsgesellschaft nie verlassen, als würde Euridice dort liegen bleiben, wo die erschütterten Hirten und Nymphen sie aufgebettet haben. Wird der Abstieg in das Reich Plutones von Orfeo nur geträumt? Morris lässt aber trotzdem die Bühnenmaschinerie „hochfahren“, um ganz nach alter Manier den Sommernachtstraumwald in eine stimmungsvolle, blaudunkle Unterweltsszenerie zu verwandeln (Bühne & Kostüme: Anna Fleischle).

In der Unterwelt stirbt Euridice ihren „zweiten“ Tod, aber sie bleibt nicht dort. Wenn ihr Orfeo im fünften Akt in Thrakien nachtrauert, liegt sie wieder vor ihm hingebettet – und auch Apollo hat nichts Deus-ex-machina-haftes an sich. Sind die Hochzeitsgäste noch nicht nach Hause gegangen? Schließlich platziert sich Orfeo mit Euridice auf einem länglichen, schaukelähnlichen Bühnenteil, um damit ein paar Meter Richtung Schnürboden gezogen zu werden. Das Angebot Apollos, mit ihm zu den Unsterblichen aufzufahren, hat Orfeo augenscheinlich nicht angenommen. Möchte der Regisseur mit diesem Finale eine Art von Liebestod andeuten?

Georg Nigl gab einen kräftigen, baritongestützten Orfeo, der nicht nur Charon und Proserpina, sondern auch das Publikum mit seinem Klagen zu rühren verstand. Die stimmlich robustere Natur war dem Aufführungsort angemessen. Euridice hat wenig zu singen – Slávka Zámecniková entledigte sich der Aufgabe mit klarem Sopran. Kate Lindsey steuerte auf ihre aparte Art Musik / Hoffnung / Echo bei (wobei die Musik am Beginn ihren Gesang zuerst in Deutsch, dann in Englisch an das Publikum richtete). Wolfgang Bankl war ein etwas harmloser Caronte, mit einem schiffsähnlichen Hut auf dem Kopf aber einprägsam kostümiert. Christina Bock (Botin / Proserpina) bot als Plutones Gemahlin einen stärkeren Eindruck. Der Plutone von Andrea Mastroni ließ einen „standesgemäßen“, fülligen, dunklen Bass ertönen. Der Apollo von Hiroshi Amako hatte wenig Strahlendes an sich, aber er sollte anscheinend auch keinen „Gott“ darstellen. Die Hirten und Nymphen der Chorakademie der Staatsoper, der Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper und vom Europaballett St. Pölten steuerten u. a. schwungvolle Hochzeitstänze oder lauernde Unterweltskreaturen bei. Die Sitzplätze waren sehr gut besucht, der Stehplatz weniger. Das Publikum spendete zwölf, dreizehn Minuten langen, starken Schlussapplaus. Die Regie wurde nicht beeinsprucht.

Fazit: Musikalisch ist nach meiner Ansicht die „Poppea“ besser gelungen, weil das Sujet von vornherein weniger Intimität verlangt. Seitens der Inszenierung geht die Rechnung nicht ganz auf, auch wenn die barocke Kulissenoptik viel Reiz entwickelt. Die „Poppea“ war szenisch zwar spektakulärer, durch ihren übertriebenen „Performance“-Charakter aber schon etwas enervierend.

PS: Vor Beginn durfte man als „gewöhnlicher“ Besucher nicht auf die Terrasse, um dort ein wenig Luft zu schnappen, weil die Direktion Gäste geladen hatte. In der Pause durfte man zwar hinaus, aber der Abbau der Tischchen und Stühle war noch nicht abgeschlossen.