L'ORFEO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Monteverdi-Portal

Theater an der Wien
14.12.2011
Premiere

Dirigent: Ivor Bolton
Inszenierung:Claus Guth
Ausstattung: Christian Schmidt
Licht: Olaf Winter
Videodesign: Arian Andiel

Freiburger Barockorchester
Monteverdi Constinuo Ensemble,
Arnold Schönberg Chor

Orfeo - John Mark Ainsley
Euridce - Mari Eriksmoen
La Musica, Silvia Messageria, Speranza -
Katija Dragojevic

Ninfa, Proserpina - Suzana Ograjensek
Apollo - Mirko Guadagnini
Caronte, Plutone - Phillip Ens
Pastore, Spirito - Cyril Auvity
Pastore, Spirito, Eco - Jeroen de Vaal
Pastore, Spirito - Jakob Huppman
Pastore, Spirito - Maciej Idziorek
Brautjungfern - Kristin Oettinger, Isabelle Wolf,
Fabiola Varga


Lebensgeschichten
(Dominik Troger)

Der vorweihnachtliche Premierenreigen hat sich von der Staatsoper ins Theater an der Wien weitergedreht – und es war ein gewaltiger Sprung vom 20. Jahrhundert zurück zu den Anfängen der Oper: Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ stand auf dem Programm; Inszenierung: Claus Guth.

Der Name des Regisseurs ließ von vornherein eine moderne Annäherung an den Stoff erwarten – und Guth hat wieder seelische Tiefenanalyse betrieben und die „Qual des Menschseins“ beleuchtet. Man müsste einmal ausrechnen, auf wieviele Bühnenselbstmorde es Guth im Durchschnitt pro Inszenierung bringt. Für den Orfeo darf man einen hinzurechnen: die Titelfigur schluckt Schlafmittel und stirbt nach einem effektvollen Ringkampf mit einem kleinen Beistelltischchen. Orfeo hat den Tod seiner Euridice sichtlich nicht verkraftet.

Guth setzte erneut darauf, Lebensgeschichten zu erzählen, sie in das aufzuführende Werk zu verweben, um musikunterstützt und introvertiert die Schicksale von gutsituierten Bürgern zu zeigen, die an ihren Lebensumständen zerbrechen. Und gar so weit ist dieser „Orfeo“ von seinem „Tannhäuser“ nicht entfernt, mit dem er vor eineinhalb Jahren das Wiener Staatsopern-Publikum eher weniger beglückt hat. Doch bei Monteverdi funktioniert das besser als bei Wagner – zumindest über weite Strecken. Nur der realistische Todeskampf des Orfeo bringt die Sache im Finale noch einmal ziemlich kleinkariert und störend auf den Punkt.

Der Weg zu diesem Bühnenselbstmord beginnt mit der Hochzeit von Orfeo und Euridice. Festgäste kommen und schmücken die Wohnung des Bräutigams mit antiken Versatzstücken, verteilen Lorbeerkränze und kostümieren sich nach der Sitte der Alten. Orfeo ist ein umjubelter Dichter, sehr seriös. Das Bühnenbild zeigt seine Wohnung, Mitte links die Holztreppe in den ersten Stock zu Schlaf- und Badezimmer, im Erdgeschoss viel Platz für Gäste; Parkettboden. Handlungzeit etwa die 1970er-Jahre. Guths gute, aber meist traurige Bürger, wohnen meist guth-bürgerlich.

Es gelang dem Regisseur in der Festszene des ersten und zweiten Aktes einen Kern naiver Fröhlichkeit zu wahren, der recht gut zu Monteverdis für heutige Ohren naiv-kunstvoller Musik passte; ein bisschen monoton im Rezitativ, aufgelockert durch instrumentale Passagen und Chöre. Mit der Botschaft von Euridices Tod erhielt diese Fröhlichkeit einen fahlen, kalkweißen Anstrich. Dieser Stimmungsumschwung war sehr gut umgesetzt, man spürte hautnah wie die Festgäste auf die Nachricht von Euridices Tod reagierten und ihnen das Ableben der Freundin zu Herzen ging – Orfeo vor allen anderen. Ihm drohte jetzt eine handfeste Lebenskrise, die ihn bis zum letalen Schluss nicht mehr loslassen sollte. Visionen machten sich breit, „belebten“ die Wohnung. Orfeo stieg in die Unterwelt hinab, ohne seine eigenen vier Wände zu verlassen.

Er begegnete einem betrunkenen Fährmann und Duplikaten von Euridice. Zeitenlupenhafte Bewegungen verfremdeten bildhaft ausgespielte Emotionen, Proserpina und Pluto machten es sich auf dem Sofa bequem und hielten eine kurzen Eheplausch. Euridice folgte Orfeo über die Stiege hinauf – aber natürlich drehte er sich um und sah sie an. Verzweiflung. Apollo bot ihm den Himmel an – aber Guth konnte sich damit nicht zufrieden geben und inszenierte Orfeos Sterben aus. Durch Videoeinspielungen wurde der Eindruck allgemeiner Desorientierung noch verstärkt

Vielleicht hat der Todeskampf des Orpheus einen Besucher dazu verleitet, nach dem Verklingen der letzten Takte laut: „Schwachsinn!“ in den Zuschauerraum zu rufen. Der Applaus des Publikums gab ihm nicht recht, die Buhrufer blieben in der Minderzahl.

Das Freiburger Barockorchester (verstärkt um das Monteverdi Continuo Ensemble) spielte unter Ivor Bolton trocken und wenig klangsinnlich. Das passte zur Szene und gab der Geschichte einen nüchternen Zug, der vielleicht sogar dabei half, besser aus der Renaissance in die Gegenwart zu finden.

Das betraf auch den Sänger der Titelpartie: John Mark Ainsley ließ keine einschmeichelnde Stimme hören, und ergänzte das, was seinem im Timbre eher kargen Tenor an Sinnlichkeit abging, durch sehr gutes Spiel. Mari Eriksmoen hatte als Euridice wenig zu singen, da war die angenehme Bühnenerscheinung fast wichtiger. Die weitere Besetzung kam mit den nicht so großen Anforderungen zurecht, so richtig glänzen konnte aber kaum wer, am ehesten Phillp Ens als fülliger Caronte und Plutone. Katija Dragojevic trat in mehreren Partien auf - zuerst als liebliche La Musica vor einem geschlossenen Zwischenvorhang.

Der Applaus war – bis auf die erwähnten Einwände – recht stark, aber fürs Theater an der Wien gar nicht so enthusiastisch.