WERTHER
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Staatsoper Dirigent: Marco Armiliato |
Werther - Neil Shicoff |
Werther intensiv Es war Neil Shicoff doch nicht vergönnt, diese „Werther“-Aufführung als zukünftiger Staatsoperndirektor zu singen. Er zeigte sich vom Hin und Her der letzten Wochen unberührt und widmete sich der Partie mit großer Intensität. Das Spiel der Leidenschaften, dieses Überquellen an Gefühl und Selbstmitleid: Neil Shicoff gestaltete Werthers Schicksal mit an Selbstaufgabe grenzendem emotionalem Einsatz. Er formte einen Charakter, der zwischen Enthusiasmus und Verzweiflung taumelnd, in der Sterbeszene doch noch auf seine Art „Erlösung“ findet. Es ist Shicoffs Verdienst, dass Normalsterblichen diese Extase des Todes als erschütternder Akt der Liebeserfüllung begreifbar wird (allerdings wird man zugeben müssen, dass aus Sicht Charlottes, Werthers Betragen einem schwärmerischen Egoismus nachhängt, der sie als eindeutige Verliererin zurücklässt). Shicoffs stimmlicher Reifegrad tat dem jugendlichen Eindruck seines Werther keinen Abbruch. Seine intensive Bühnenpräsenz glättete, was an etwas forcierteren Höhen und Lyrismen nicht mehr so ganz in die Linie vorwärtsdrängender Sehnsuchtsphrasen passte, mit denen Werther seinen Liebesträumen nachhängt. Doch die Stimme war elastisch genug, um auch die verhalteneren Seiten Werthers zu zeigen und einen wohldosierten Farbtopf anzurühren, in dem die Töne zu Leidenschaften gerannen. Fazit: Shicoff ist als Werther immer noch ein Ereignis, geprägt von starker Intensität und beklemmender Wahrhaftigkeit. Charlotte, Vesselina Kasarova, ließ sich von Werther nicht so richtig in Beschlag nehmen. Neben dem gebotenen Eingehen auf sein Liebeswerben stand eine spürbare Reserviertheit (möglich, dass sich selbige im Laufe der Aufführungsserie noch „erweicht“). Kasarovas Charlotte lebte die verfahrene Gefühllssituation, das abgedunkelte Timbre ihrer Stimme formte im Zusammenspiel mit ihren „männlichen“ Tiefen eine ungewohnte Mischung aus barocker Künstlichkeit und existentieller Verzweiflung. Schon am Beginn fehlte diese mädchenhafte Frische, jener Ausdruck mythischer Natürlichkeit, der Werther verzückt. Im dritten Akt zeichnete Kasarova Charlotte als erschütterte Frau, die mit tragödisch ausgestoßener Verzweiflung vor ihrem Schicksal davon laufen möchte – und wenn sie dem sterbenden Werther beisteht, hat man das Gefühl totaler Zerstörung. Womöglich unterläuft hier Kasarova Vorstellungen, die man sich landläufig von Charlotte macht. Da gilt es die Opferrolle gegen das Ringen um ein eigenständiges Schicksal abzuwägen – auch wenn das Charlotte in den psychischen Ruin treibt, weil ihre Wünsche unter den gegebenen Bedingungen unerfüllbar sind. Interessant war zu hören, wie „beiläufig“ sie die Piani sang, fast so, als sollten sie untergehen, um nicht zum Nährboden zu werden für eine „falsche“ Sentimentalität. Adrian Eröd (Albert) machte auf mich an diesem dunstigschwülen Wiener Juniabend einen stimmlich leicht abgespannten Eindruck, Laura Tatulesco sang eine nette Sophie. Das Orchester unter Marco Armiliato musizierte mit satten, ein wenig an Wagner und Strauss gemahnenden Streicherklängen. Die Gefühlsaufwallungen von Charlotte und Werther wurden rege nachgezeichnet, was nach etwas unsicherem Beginn eine klangschöne und zugleich emotional bewegende Orchesterleistung ergab. Ein besonders zugkräftiges Werk ist „Werther“ nicht – zumindest hier in Wien. Es waren sogar einige Sitzplätze leer geblieben, der Stehplatz war schlecht besucht. Es gab zwei Blumenwürfe für Shicoff, einen für Kasarova und viele Bravorufe. Nachtrag: Für Marco Armiliato gab es einen deutlich hörbaren Buhruf. |