WERTHER
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Staatsoper
15. Jänner 2022

Dirigent: Giacomo Sagripanti

Werther - Juan Diego Flórez
Albert - Atienne Dupuis
Le Bailli - Hans Peter Kammerer
Charlotte - Clementine Margaine
Sophie - Slávka Zámecniková
Schmidt - Andrea Giovannini
Johann - Michael Anvony


Lyrischer Werther
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper spielt wieder Jules Massenets „Werther“. Juan Diego Flórez gab sein Wiener Rollendebüt in der Titelpartie, als Charlotte war Clémentine Margaine für Julie Boulliane eingesprungen. Margaine hat die Partie für alle drei Vorstellungen übernommen.

Der COVID-bedingten schlechten Auslastung hatte man im Vorfeld mit Kartenaktionen ein wenig auf die Sprünge geholfen. Die leeren Plätze waren zwar nicht zu übersehen, aber das Haus war viel besser besucht als am Montag bei „La Cenerentola“. Wer derzeit an einem Samstag einen Staatsopern-Besuch plant, der rechne wegen der Impfgegner-Demonstrationen außerdem mit einer teilgesperrten Ring-Straße, eingestellten öffentlichen Verkehrsmitteln und einer dementsprechend längeren Anreise.

Die aktuelle Staaatsoperninszenierung des „Werther“ von Andrei Serban stammt aus dem Jahr 2005 und wurde laut Programmzettel an diesem Abend zum achtundsechzigstenmal gespielt. Das ist bemerkenswert, weil es laut Online-Archiv der Staatsoper seit der Uraufführung am Haus im Jahr 1892 bis zum Jahr 2005 insgesamt nur 73 Vorstellungen gegeben hat! Über die Gründe kann man spekulieren, vielleicht beschäftigt sich einmal die Rezeptionsforschung mit diesem Thema?

Die Aufführung selbst hinterließ einen etwas zwiespältigen Eindruck. Das Schicksal Werthers, wie Juan Diego Flórez es zeichnet, würde in einem kleineren Haus womöglich mehr zu Herzen gehen. Es ist die Crux seines Tenors, dass es ihm nach wie vor ein wenig an Volumen mangelt – und wenn ihm dann noch mit Clémentine Margaine eine Charlotte zur Seite steht, die mit durchsetzungsstarkem Mezzo loslegt, dann hat es der unglückliche Liebhaber zweimal so schwer, sich Gehör zu verschaffen. Aber das „Pourqoui me reveiller“ geriet trotz der gemachten Einwände zum Höhepunkt des Abends und es gab kurzen, intensiven Szenenapplaus.

Der Werther, den Flórez darstellt, bleibt in seinem Liebesbegehren sensibel, er gibt sich nicht neurotisch, sondern naiv in seiner charlottebegehrenden Idealisierung, der in Summe ein wenig die Überspanntheit fehlt, die der Figur ein leicht pathologisches Schillern verleiht. Werthers Begehren wird in der Musik Massenets durchaus spürbar, das Gefühl des „Sich-selbst-nicht-helfen-könnens“ darf deshalb nicht zu deutlich hervorstechen. Der Auftritt von Flórez im dritten Akt, wenn er langsam und steif bei Charlotte auftaucht, hatte für meinen Geschmack schon zu viel von einem vorweggenommenen Scheitern, als dass er seinerseits Charlottes unterdrücktes Begehren noch einmal anfachen könnte.

Clémentine Margaine zeichnete die „mädchenhafte“ Charlotte wie eine „reife“ Carmen und sie trug das Ringen um ihr Schicksal zu sehr in der Stimme. Es mangelte an der romantisch-lyrischen Aneignung Werther’schen Weltempfindens, die Briefszene mit ihrer Expressivität hatte einen drängenden veristischen Zug. Der Albert von Etienne Dupuis blieb mit gerautem Bariton im Rahmen einer gesetzten Bürgerlichkeit, die auf seinen Besitz (Charlotte) schaut, und war nicht so scharf gezeichnet, wie es die Inszenierung eigentlich angedacht hat. Slávka Zamecniková (wie Flórez, Dupuis und Margaine Rollendebüt am Haus) warb mit ihrem leicht unterkühlt wirkenden Sopran im zweiten Akt kokett und sicher um Werther. Hans Peter Kammerer brachte die laut schreienden Kinder zur Räson, um ihnen das Weihnachtslied abzupressen, und Schmidt (Andrea Giovannini) und Johann (Michael Arivony mit Rollendebüt am Haus) erfüllten ihren kleinen Beitrag.

Am Pult war Giacomo Sagripanti einer forscheren Expressivität nicht abgeneigt, bemühte sich aber auch, die Sänger (Flórez) nicht zuzudecken. Trotzdem kamen die sentimentalen Gefühlsmalereien von Massenet ebenso wie jene von Flórez etwas unter die „Räder.“ Die Aufführung endete kurz nach 21.30h und das Publikum sorgte für rund sechs Minuten langen Schlussapplaus