WERTHER
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Staatsoper
5. März 2015

Dirigent: Frédéric Chaslin

Werther - Jean-Francois Borras
Albert - Ludovic Tézier
Le Bailli - Alfred Sramek
Charlotte - Angela Gheorghiu
Sophie - Daniela Fally
Schmidt - Benedikt Kobel
Johann - Hans Peter Kammerer


Anzweifelbares Experiment
(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper bot an diesem Abend dem Publikum eine „Innovation“: Angela Gheorghiu gab ihr Rollendebüt als Charlotte – mehr ein Experiment, als eine Sache von großer Zukunft.

Angela Gheorghiu hat die Mezzo-Partie der Charlotte zwar vor Jahren auf CD aufgenommen, aber Gheorghius Sopran, von Natur eher feingliedrig, war im französischen Fach immer mehr beim Gounod’schen Gretchen angesiedelt, als bei der nach leuchtender, erotischer Mezzogrundierung heischenden Charlotte. Gheorghius Stimme malt im Aquarell, und setzt diesen Malereien affektierte Schmuckstücke auf und ein kokettes Lächeln. Aber für Charlottes sentimentales Herumwühlen in Gewissensbissen, diese Abstumpfung in der Ehe mit Albert, diese kreatürliche Verzweiflung einer um ihre „reine Liebe“ betrogenen Unschuld ist diese „Sopranfassung“ wohl weniger geeignet.

Es scheint, dass sich Gheorghiu dieser Problematik bewusst war, als sie daran ging, die Charlotte für die Bühne einzustudieren. Denn es war unverkennbar, dass die Sängerin sich um diese Figur bemüht, dass sie in dieser Rolle eine natürliche, mädchenhafte Jugendlichkeit vermitteln möchte. Aber das Ergebnis glich – allein schon durch die Kostüme verstärkt (wie das weiße 1950er-Jahre Kleid im ersten Bild) mehr einer „Herumkünstelei“, wie etwa die fahrig wirkende schwesterliche Übertriebenheit, mit der sie den zum Weihnachtsliedersingen verdonnerten Kindern im ersten Akt Süßigkeiten anbot. Denn von dieser Inszenierung (Regie: Andrei Serban) im ersten Akt als kühles „Model“ im Marilyn-Monroe-Stil auf die Bühne geschickt (wobei Gheorghiu ihr schwarzes Haar nicht gegen eine blonde Perücke getauscht hat), schien die Sängerin erst recht wieder zu einer Zeichnung der Bühnenfigur gedrängt, die ihren eigentlichen Intentionen zu widersprechen schien.

Der Anstandsapplaus nach Charlottes Brieflektüre am Beginn des dritten Aktes (ein einsames Bravo eines Fans war auch zu hören) – sagt eigentlich schon alles. Diese Szene, von sentimentlüsterner Tränenerotik getrieben, geriet an diesem Abend zu einer etwas aufgesetzt wirkenden „Midlife-Crisis“, in der Gheorghius Sopran zudem die blühenden Farben schuldig blieb, die unterschwellig Charlottes Leiden mit einem verklärenden Schimmer hätten grundieren können. Aber auch hier kam Gheorghiu die Produktion in die Quere, die Charlotte in einen Verzweiflungsnaturalismus drängt, der wohl nur mit einer satter auftragenden Stimme ausgeglichen werden könnte.

Der um eine passende Bühnenpräsenz ringenden Charlotte stand mit Jean-Francois Borras ein Sänger gegenüber, der mit Natürlichkeit und stilsicherem Tenor ans Werk ging. Borras hat letzten September als einspringender Des Grieux an der Staatsoper debütiert – und ist diesmal als Werther (anstelle von Ramon Vargas) zum Zug gekommen. Borras ist gar nicht mehr ganz so jung, wie man meinen könnte, aber sein Karriere hat erst in den letzten Jahren an „Fahrt“ aufgenommen – unter anderem auch als einspringender Werther für Jonas Kaufmann an der New Yorker Met.

Borras ist ein anderer Tenortyp, als der sehr baritonal gefärbte Jonas Kaufmann, und er ist stilistisch für die Ansprüche Massenets nach meiner Ansicht besser geeignet. Er vermag elastisch zwischen einem eher weichen lyrischen Tonfall und einem kernigeren und gut fokussierten „Forte“ zu wechseln und bietet dadurch eine passende Kombination aus gängigem Publikumsgeschmack und einer stilistischen Beherrschung der Emotionen, die dem französischen Stil seine Eleganz verleiht. Bemerkenswert war, dass sich Borras im vierten Akt konsequent einer veristischen Überzeichnung enthielt, und Werthers langen Todeskampf gesanglich zu keinem heroischen, sondern zu einem lyrischen, feinschattierten Abschiednehmen machte. Dieser Werther fand im Sterben zu einer einfachen Poesie. Das Timbre der Stimme hat einen honigfarbenen Schimmer, allerdings mit einer leichten Rauung, und sein Vortrag war nicht immer ganz ebenmäßig.

Ludovic Tézier hat vor einigen Jahren am Haus den Werther als Bariton gesungen – mit mehr Erfolg, als an diesem Abend den Albert, dem er wenig Konturen verlieh. Tézier zählt derzeit zu den führenden Sängern in seinem Fach, und man wäre dankbar, ihn in dankbareren Rollen hören zu dürfen. Daniela Fallys Sophie überzeugte wieder durch ihre stimmlich-leichtgängige Frische, die die depressive Figurenkonstellation angenehm aufhellte. Alfred Sramek sang einen gütigen La Bailli, assistiert wurde ihm von zwei gemütlichen Herren: Benedikt Kobel (Schmidt) und Hans Peter Kammerer (Johann).

Das Orchester unter Frédéric Chaslin glänzte bei Einzelleistungen, wie zum Beispiel in den Violinen und Celli, wenn Massenet seine „flüsternden Melodien“ spinnt. Aber es gelang nicht, dieses „Flüstern“ gleichsam auf das ganze Orchester zu übertragen – das verlor sich dann zu rasch in einem zu robusten, zu drängenden, zu dramatischen Impuls. Möglicherweise wird in den beiden Folgevorstellungen hier mit mehr Feinfühligkeit agiert – gerade auch der vierte Akt hätte sich das verdient – und Borras hat vorgezeigt, wie es geht.

Die Gunst des Publikums gehörte an diesem Abend zuerst dem Tenor, der beim Solovorhang starken Applaus erhielt. Angela Gheorghiu wurde mit etwas weniger starkem Beifall bedacht. Der Applaus dauerte etwa sechs bis sieben Minuten lang. (Nachtrag: Offenbar gab es ein paar Buhrufe. Aber die waren von meinem Platz aus dem Applaus nicht so deutlich herauszuhören, das ich sie „auf Verdacht“ erwähnen wollte.)

PS: Es gab nur eine Pause, offenbar eine Neuerung, früher wurde nach dem ersten und dem zweiten Akt pausiert.