WERTHER
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Theater a.d. Wien
Premiere
14.7.2000

Klangbogen Wien

Dirigent: Bertrand de Billy
Inszenierung:
Guy Joosten
Bühne: Johannes Leiacker

Kostüme: Jorge Jara

Werther - Marcello Giordani
Charlotte - Jeniffer Larmore
Albert - Martin Gantner
Sophie - Patricia Petibon
Le Bailli - William Powers
Johann - Wolfgang Bankl
Schmidt -
Ernst Dieter Suttheimer
Kätchen - Gudrun Burghofer
Brühlmann - Markus Puchberger


Ein Glücksfall....
(Dominik Troger)

Jules Massenet lädt mit seinem 1892 an der Wiener Hofoper aus der Taufe gehobenen Werther auch heutzutage noch zu einer emotionalen Gradwanderung ein. Von süßverkitschter Liebesromantik bis zum eruptiven emotionalen Drama ist da wirklich alles drin.

Die Klangbogen Produktion im Theater Wien schaffte unvermuteter Weise gerade letzteres, wobei neben sich aufopfernd in die Partien schmeißenden Protagonisten auch das grobhandwerkende Radio Symphonieorchester Wien unter Bertrand de Billy gehörigen Anteil hatte. Denn das Vorspiel blies einem als Zuhörer schon mal gehörig die Ohren durch und ließ eine liebesschwindsüchtige "Romantik" erst gar nicht aufkommen. Das kochte und brodelte gleich von Beginn weg, und machte, dass Werthers Liebes-Wahnsinn in dem intimeren Rahmen des Theaters an der Wien wie siedendes Wasser in einem Kessel zu zischen und wallen anfing. (Dieser - für mich - positive Effekt soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das RSO Wien insgesamt sehr inhomogen musizierte, und offenhörlich auf die akustischen Anforderungen des Aufführungsortes schlecht abgestimmt war.)

Nachdem einem also der Beginn gleich mal jede Gefühlsduselei ausgetrieben hatte, trat die Regie (Inszenierung: Guy Joosten, Bühnenbild: Johannes Leiacker) auf den Plan. Da wurde einem gleich klar gemacht: Jemand, der im Sommer seine Kinder Weihnachtslieder üben lässt, muß ein Haustyrann sein, und am besten, er trankelt ein paar Schnapserl dazu. Charlottes Milieu, in dem Sie ihrer "Pflichterfüllung" nachkommt, ist die verlogene kleinbürgerliche Welt eines Pseudo-Wetzlar, in dem auch die Freunde dieses Amtmanns mit den Kindern derbe Späße treiben. Nun, der Rohrstock liegt griffbereit am Tisch, und der Schnaps dann in der Tischlade, wo ihn auch Albert, der spätere Angetraute Charlottes, sicher finden und heimlich trinken wird.

Wo also auf der einen Seite der Alkohol für die gelebte Selbsttäuschung sorgt, offenbart sich durch Werthers Liebe, der illusorische Anspruch einer "Wahrhaftigkeit", die sich schließlich nur selbst aus der Welt schaffen kann, um sich selbst treu bleiben zu können. Als Zuschauer ist man über die Deutlichkeit (um nicht zu schreiben: Plakativität) mit der dieser Sachverhalt einem im ersten Akt "aufs Aug gedrückt" wird, zuerst einmal entzürnt. Aber zum Glück hat man sich ein Programmheft gekauft und kann dort einen sehr instruktiven Artikel des Dramaturgen Luc Joosten nachlesen, der die Gedankengänge dahinter plausibel macht. Und das Konzept stimmt wirklich. Ja, es zeigt sich mit fortlaufendem Abend, dass diese betonte Gegensätzlichkeit der Werther-Charlotte-Welt zu den sie umgebenden Menschen ein ganz wesentlicher Impuls ist, der Massenets "Werther" vom Groschenroman zu einem vor-freudschen Seelendrama transponiert. Und es ist das eindeutige Verdienst der Sänger und des Dirigenten, sich darauf kompromißlos eingelassen zu haben.

Die Konzentration auf das Wesentliche, auf den Weltausschnitt von Werthers Liebe, der wie Wahnsinnig durch eine trügerische Welt bürgerlicher Werte torkelt, deutet auch das Bühnebild an. Es ist das Zimmer wie ein Keil zwischen großen, weißen Fliesenwänden (ja so weiß gekachelte Wände sind derzeit auf Opernbühnen modern) hineingetrieben, mit einer Landschaftstapete dekoriert, die sich im Wechsel der Jahreszeiten verändert. Nur im vierten Akt fehlt dieses zufluchtgewährende Zimmer, und Werther stirbt an diese großflächig verflieste Wand gelehnt wie ein Rauschgiftsüchtiger auf einer Bahnhofstoilette. (Aber ist er nicht süchtig???) Nach links und rechts läuft, bis über die Bühne hinaus, ein schmaler geklebter Streifen, auf dem verschiedene Schmetterlinge aufgeklebt, wohl auf die Metarmorphose der liebenden Seele verweisen.

Als Liebespaar, das nicht zueinander finden darf, schenkten sich Marcello Giordani (Werther) und Jennifer Larmore (Charlotte) keine Note. Giordanis Verausgabung zwang ihn zu einer sehr authentischen Sterbeszene, deren emotionale Glaubhaftigkeit wie an einem seidenen Faden am unbeirrten Einsatz der beiden Hauptdarsteller hängt. Und das war beeindruckend, wie Giordani und wie Larmore hier wirklich den emotionalen Höhepunkt ihrer zweieinhalbstündigen Opernbeziehung setzten, hatte doch schon zuvor die Begegnung Werthers und Charlottse im Schatten eines aufgeputzten Weihnachtsbaumes (3.Aktes) in einen emotionalen Ringkampf ausgeartet, der Werthern dann auf einen einsamen Sessel mit solcher seelischer Erschütterung niedersitzen ließ, dass ein deutliches Knarren nicht zu überhören war. Aber der Sessel hielt stand, wie auch die Stimmbänder.

Die gesanglich sauberste Leistung des Abends lieferte allerdings Patricia Petibon als Sophie, wobei sie jedoch nie so "außer sich" gehen mußte, wie Werthern (der es nahezu beständig war) und Charlotte, die ab dem dritten Akt zu einer faszinierenden von Pflicht und Neigung durchgebeutelten Persönlichkeit avancierte. Albert (Martin Gantner) rundete solide die Dreiecksbeziehung ab, zunehmend seine Geduld an die Eifersucht verlierend. So war man denn am Schluß wirklich fasziniert und trug die aufrichtige Hoffnung mit nach Hause, Werther und Charlotte möchten befähigt sein, jede der insgesamt fünf Vorstellungen mit solchem bedingungslosem Einsatz zu singen.

Freilich, und das sei für alle Skeptiker angemerkt, wer noch anno dazumal Alfredo Kraus oder Jose Carreras in der Titelpartie gehört hat, der mißt hier mit falschen Maßstäben. Alfredo Kraus war eine Ausnahmeerscheinung und Carreras war von seinem Timbre her für diese Rolle prädestiniert. Für das Theater an der Wien im Juli 2000 jedoch war gerade diese Besetzung richtig!