„Thais im Theater an der Wien“
(Dominik Troger)
Die
für Jänner geplante Premiere der Massenet'schen „Thais“ im Theater an
der Wien musste wegen der Pandemie abgesagt werden. Die Produktion
wurde aufgezeichnet und am 18. April im ORF ausgestrahlt sowie über
myfidelio gestreamt.
Mit „Thaïs“
hat Jules Massenet den gleichnamigen Roman von Anatol France für die
Opernbühne bearbeitet: Der Asket Athanaël möchte die Seele der
Venuspriesterin und Kurtisane Thaïs retten. Er bringt Thaïs vom
sündhaften Alexandria in ein Kloster in der ägyptischen Wüste. Dort
stirbt Thaïs – und Athanaël erkennt zu spät, dass er sich „fleischlich“
in sie verliebt hat.
Liest man
den Roman von Anatol France, erkennt man schnell die
hineingewobene Ironie. Massenet hat sich dieser weitgehend versagt,
dürfte ihr bei der mißglückten Uraufführung der Erstfassung 1894 sogar
ein wenig zum Opfer gefallen sein. Erst die Zweitfassung von 1898
konnte sich durchsetzen. Auf Wiener Opernbühnen ist „Thaïs“
ein rarer Gast, 2007 gab es eine konzertante Aufführung im Konzerthaus
mit illustrer Besetzung: Renée Fleming in der Titelpartie und Thomas
Hampson als ihr asketischer Liebhaber.
Das
Theater an der Wien spielte wegen COVID eine auf rund 1 Stunde 50
Minuten gekürzte Fassung, wobei im dritten Akt die zweite und dritte
Szene stark gekürzt und quasi verschmolzen wurden. Natürlich durfte man
von Peter Konwitschny erwarten,
dass er in seiner Sicht der Dinge die Regie mehr nach Anatol France
ausrichten wird. Sichtbarstes Zeichen dieser Ironie waren die Kostüme
mit den großen Engelsflügeln, die die habittragenden Mönche ebenso
„verzierten“ wie die lebenslustige Gesellschaft in Alexandria. Athanaël
und Thaïs entledigten sich der Flügel aber, bevor sie in die Wüste
zogen. Das Bühnenbild war einfach gehalten, von einem Rundhorizont
abgeschlossen: ein Sandhügel im ersten Akt, ein paar Requisiten
wie u. a. ein Sofa für die Szenen, die in Alexandria spielen, und eine
weitgehend leere, düstere Bühnenfläche im dritten Akt.
Zu
erwarten war auch, dass Konwitschny seinem Inszenierungsstil treu
bleibt. Ein Stehtischchen mit Sekt und sogar Faschingsschlangen als
Attribute der feiernden Bourgeoisie in Alexandria weckten
Erinnerungen an seine „Don Carlos“- und „Aida“-Produktion.
Der Mönch und die Kurtisane haben natürlich Sex miteinander –
vielleicht um die asketische Heuchelei Athanaëls zu entlarven? Im
dritten Akt spricht Athanaël unvermutet die Verszeilen: „Alors, pourquoi le ciel, les ętres, la lumičre? A quoi bon l'univers?“
in Deutsch. Athanaëls nihilistische Anwandlungen als Zeichen einer
großen Glaubenskrise werden dadurch zwar wie mit Leuchtstift markiert,
aber der musikalische Fluss wird unterbrochen. Auch das ist so ein
anzweifelbares „Stilmittel“, das Konwitschny immer wieder mal
anwendet.
Schwerer
wiegt allerdings, dass die Kürzungen der dritten Akts das
Handlungsgeschehen zu stark verknappen. Der dritte Akt besteht
eigentlich aus drei Szenen: Oase, Thebais, Thaïs Tod. In der
ersten Szene des dritten Aktes übergibt Athanaël Thaïs an die
Äbtissin Albine. In der zweiten Szene ist Athanaël in die
Mönchsgemeinschaft zurückgekehrt. In einer Vision wird ihm angekündigt,
dass Thaïs im Sterben liegt. Die dritte Szene schildert den Tod
der Thaïs, Athanaël eilt an ihr Sterbelager. In dieser Produktion
bleibt Thaïs den ganzen dritten Akt über auf der Bühne, die Vision ist
nicht als solche erkennbar, die Sterbeszene schließt unmittelbar an.
Die ohnehin nicht wirklich zwingende Dramaturgie des dritten Aktes wird
dadurch noch mehr verwässert, auch die Personenregie mit der auf der
Bühne herumirrenden Thaïs wirkte nicht mehr schlüssig. Dass Thaïs
sterbend in der Versenkung verschwindet, ist zudem seltsam – oder
ein weiterer ironischer Seitenhieb des Regisseurs? Andererseits
belegt die „In-Szene-Setzung“ der Erosstatue, die im Rahmen der
Handlung für Thaïs eine gewisse Rolle spielt, das Theatergespür
von Konwitschny. Er hat diese Statue in den Rang einer
Bühnenfigur erhoben, und einen kleinen, verschmitzten Amor daraus
geformt. Dieser fügte sie sich gut in die Szene ein, diente der
Verdeutlichung und Auflockerung.
Musikalisch bot der Abend ein angemessenes Niveau. Die Thaïs der Nicole Chevalier war
expressiv, nicht ohne starker Bühnenwirkung, aber sollte sich diese
Massenet'sche Sopranverzückung nicht etwas schwereloser und
raffinierter geben? So ein Schuss „Champagner“ und weniger Vibrato, das
hätte mich mehr gereizt. Josef Wagner war dem Athanaël ein guter Anwalt, ein Eiferer mehr geradlinigen Charakters, stimmlich nicht immer so an den musikalischen Eros geschmiegt wie erhofft. Roberto Sacca lieh dem ausschweifungserfahrenen Nicias einen etwas trockenen Tenor. Das Radiosymphonieorchester Wien unter Leo Hussain
passte gut zu dieser zwar ausdrucksstarken, aber nicht mit der
dekadenten Raffinenesse des Fin de siècle aufgezuckerten Darbietung.
Die anrührende Sinnlichkeit von Massenets Musik hätte man deutlicher
spüren können.
Fazit:
Zumindest für die Nachwelt wurde diese Produktion „gerettet“.
Aber im Fundus der „Thaïs“ -Mitschnitte lassen sich nach meiner
Einschätzung musikalisch überzeugendere Aufnahmen finden. Szenisch ist
diese Produktion eine nicht uninteressante Alternative für
Opernliebhaber, die auf der Bühne keine nachgebaute oder nachempfundene
Antike sehen wollen.
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