THAIS

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Stream der Produktion vom Jänner 2021

Theater an der Wien
18.4.2021

Musikalische Leitung: Leo Hussain

Inszenierung: Peter Konwitschny
Ausstattung: Johannes Leiacker
Licht: Guido Petzold

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Thaïs - Nicole Chevalier
Athanaël - Josef Wagner
Nicias - Roberto Saccà
Palémon - Günes Gürle
Crobyle - Carolíma Lippo
Myrtale / Albine - Sofia Vinnik
Amor (Schauspieler) - Samuel Wegleitner



„Thais im Theater an der Wien“
(Dominik Troger)

Die für Jänner geplante Premiere der Massenet'schen „Thais“ im Theater an der Wien musste wegen der Pandemie abgesagt werden. Die Produktion wurde aufgezeichnet und am 18. April im ORF ausgestrahlt sowie über myfidelio gestreamt.

Mit „
Thaïs“ hat Jules Massenet den gleichnamigen Roman von Anatol France für die Opernbühne bearbeitet: Der Asket Athanaël möchte die Seele der Venuspriesterin und Kurtisane Thaïs retten. Er bringt Thaïs vom sündhaften Alexandria in ein Kloster in der ägyptischen Wüste. Dort stirbt Thaïs – und Athanaël erkennt zu spät, dass er sich „fleischlich“ in sie verliebt hat.

Liest man den Roman von Anatol France, erkennt man schnell die hineingewobene Ironie. Massenet hat sich dieser weitgehend versagt, dürfte ihr bei der mißglückten Uraufführung der Erstfassung 1894 sogar ein wenig zum Opfer gefallen sein. Erst die Zweitfassung von 1898 konnte sich durchsetzen. Auf Wiener Opernbühnen ist „
Thaïs“ ein rarer Gast, 2007 gab es eine konzertante Aufführung im Konzerthaus mit illustrer Besetzung: Renée Fleming in der Titelpartie und Thomas Hampson als ihr asketischer Liebhaber.

Das Theater an der Wien spielte wegen COVID eine auf rund 1 Stunde 50 Minuten gekürzte Fassung, wobei im dritten Akt die zweite und dritte Szene stark gekürzt und quasi verschmolzen wurden. Natürlich durfte man von Peter Konwitschny erwarten, dass er in seiner Sicht der Dinge die Regie mehr nach Anatol France ausrichten wird. Sichtbarstes Zeichen dieser Ironie waren die Kostüme mit den großen Engelsflügeln, die die habittragenden Mönche ebenso „verzierten“ wie die lebenslustige Gesellschaft in Alexandria. Athanaël und Thaïs entledigten sich der Flügel aber, bevor sie in die Wüste zogen. Das Bühnenbild war einfach gehalten, von einem Rundhorizont abgeschlossen:  ein Sandhügel im ersten Akt, ein paar Requisiten wie u. a. ein Sofa für die Szenen, die in Alexandria spielen, und eine weitgehend leere, düstere Bühnenfläche im dritten Akt.

Zu erwarten war auch, dass Konwitschny seinem Inszenierungsstil treu bleibt. Ein Stehtischchen mit Sekt und sogar Faschingsschlangen als Attribute der feiernden Bourgeoisie in Alexandria weckten Erinnerungen an seine
Don Carlos- und Aida-Produktion. Der Mönch und die Kurtisane haben natürlich Sex miteinander – vielleicht um die asketische Heuchelei  Athanaëls zu entlarven? Im dritten Akt spricht Athanaël unvermutet die Verszeilen: „Alors, pourquoi le ciel, les ętres, la lumičre? A quoi bon l'univers?“ in Deutsch. Athanaëls nihilistische Anwandlungen als Zeichen einer großen Glaubenskrise werden dadurch zwar wie mit Leuchtstift markiert, aber der musikalische Fluss wird unterbrochen. Auch das ist so ein anzweifelbares „Stilmittel“, das  Konwitschny immer wieder mal anwendet.

Schwerer wiegt allerdings, dass die Kürzungen der dritten Akts das Handlungsgeschehen zu stark verknappen. Der dritte Akt besteht eigentlich aus drei Szenen: Oase, Thebais,  Thaïs Tod. In der ersten Szene des dritten Aktes übergibt  Athanaël Thaïs an die Äbtissin Albine. In der zweiten Szene ist  Athanaël in die Mönchsgemeinschaft zurückgekehrt. In einer Vision wird ihm angekündigt, dass  Thaïs im Sterben liegt. Die dritte Szene schildert den Tod der Thaïs,  Athanaël eilt an ihr Sterbelager. In dieser Produktion bleibt Thaïs den ganzen dritten Akt über auf der Bühne, die Vision ist nicht als solche erkennbar, die Sterbeszene schließt unmittelbar an. Die ohnehin nicht wirklich zwingende Dramaturgie des dritten Aktes wird dadurch noch mehr verwässert, auch die Personenregie mit der auf der Bühne herumirrenden Thaïs wirkte nicht mehr schlüssig. Dass Thaïs sterbend in der Versenkung verschwindet, ist zudem seltsam – oder ein  weiterer ironischer Seitenhieb des Regisseurs? Andererseits belegt die „In-Szene-Setzung“ der Erosstatue, die im Rahmen der Handlung für  Thaïs eine gewisse Rolle spielt, das Theatergespür von  Konwitschny. Er hat diese Statue in den Rang einer Bühnenfigur erhoben, und einen kleinen, verschmitzten Amor daraus geformt. Dieser fügte sie sich gut in die Szene ein, diente der Verdeutlichung und Auflockerung.

Musikalisch bot der Abend ein angemessenes Niveau. Die Thaïs der Nicole Chevalier war expressiv, nicht ohne starker Bühnenwirkung, aber sollte sich diese Massenet'sche Sopranverzückung nicht etwas schwereloser und raffinierter geben? So ein Schuss „Champagner“ und weniger Vibrato, das hätte mich mehr gereizt. Josef Wagner war dem Athanaël ein guter Anwalt,
ein Eiferer mehr geradlinigen Charakters, stimmlich nicht immer so an den musikalischen Eros geschmiegt wie erhofft.   Roberto Sacca lieh dem ausschweifungserfahrenen Nicias einen etwas trockenen Tenor. Das Radiosymphonieorchester Wien unter Leo Hussain passte gut zu dieser zwar ausdrucksstarken, aber nicht mit der dekadenten Raffinenesse des Fin de siècle aufgezuckerten Darbietung. Die anrührende Sinnlichkeit von Massenets Musik hätte man deutlicher spüren können.

Fazit: Zumindest für die Nachwelt wurde diese Produktion  „gerettet“. Aber im Fundus der „Thaïs“ -Mitschnitte lassen sich nach meiner Einschätzung musikalisch überzeugendere Aufnahmen finden. Szenisch ist diese Produktion eine nicht uninteressante Alternative für Opernliebhaber, die auf der Bühne keine nachgebaute oder nachempfundene Antike sehen wollen.