MANON

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Wiener Staatsoper
3.3.2007
Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Andrei Serban
Ausstattung: Peter Pabst
Chorleitung: Thomas Lang

Manon Lescaut - Anna Netrebko
Chevalier Des Grieux - Roberto Alagna
Graf Des Grieux - Ain Anger
Lescaut - Adrian Eröd
Guillot - Michael Roider
Brétigny - In-Sung Sim
Poussette - Simina Ivan
Javotte - Sophie Marilley
Rosette - Juliette Mars
Dienerin - Elisabeth van der Vloedt
Wirt - Hans Peter Kammerer
Pförtner - Jacek Krzyszkowski
Zwei Gardisten - Jeong-Ho Kim, Hiro Ijichi


„Großer Erfolg für Anna Netrebko“
(Dominik Troger)

„Manon“-Premiere an der Staatsoper: ein Triumph für Anna Netrebko. Die Inszenierung betreibt Facelifting und bringt den Opernstoff in ein „cineastisches“ 1930-Jahre-Dekor – das Resultat ist relativ dezent und harmoniert ganz gut mit der Musik.

Jung, hübsch, neugierig – Manon sitzt in der leeren Bahnhofshalle und wartet. Das Leben bietet ihr so viele neue Eindrücke. Die Verlockungen von Liebe und Luxus scheinen ihr so harmlos wie Kinderspielzeug. Gewiss wird eine Reise ins Glück beginnen... jetzt, sofort... wenn sie nur fest genug daran glaubt... Solcher Glaube kann Berge versetzen – und Anna Netrebkos Manon lebt nahezu von der ersten Bühnensekunde diesen Glauben an das eigene Leben und an das eigene Glück mit intensiver, ausdauernder Leidenschaft.

Dabei steht ihr eine Natürlichkeit zu Gebote, die überraschen mag. Sogar das dessousreiche zweite Bild erweckt nie den Anschein „pornographischer“ Begehrlichkeit, sondern es handelt sich um Manons reine, junge Liebe, die sich hier entblättert und die sich im rührend gesungenen „Abschied vom kleinen Tischlein“ zugunsten verlockender Reichtümer und gefährlicher Liebschaften selbst aufgibt – wider besseres Wissen...

Wenn Netrebko die gesättigt-sinnliche Note ihres Timbres bis in die Spitzentöne mitnimmt, werden die bei einer leichteren Stimme schnell ins Kokette treibenden Koloraturen als begeisterter Ausdruck ihrer Lebensfreude überformt. Das gibt der Figur eine melodramatische Note, die die Betonung des mehr opernhaft-artifiziellen deutlich zurückdrängt. Das Ergebnis wirkt in hohem Maße authentisch, verdichtet die erzählte Geschichte und erreicht die emotionale Darstellungsschärfe einer filmischen Umsetzung.

Erschütternd greifbar wird das auch beim intensiven Schluss, wo sogar im Sterben das regsame Manon’sche Lebensfeuer bis zuletzt seine Erfüllung sucht, ehe es in einem – von der Regie geschickt inszenierten Aufflammen, verlöscht (Manon reißt sich noch einmal hoch, bewegt sich zum linken Bühnenrand, bricht zusammen). Netrebko gestaltet das nahtlos und ohne Brüche, ihr Operntod wird fürs Publikum zum hautnah erlebten Schicksalsfall.

Schwieriger wurde es für Roberto Alagna, dem Des Grieux gerecht zu werden. Er wirkte wie ein Spitzensportler, der bei einem wichtigen Rennen den Anschluss an seine frühere Form sucht. Dass sich Alagna gerne mit gebotener tenoraler Hingabe ins Liebesbett Massenet’scher Töne gekuschelt hätte, spürte man bei jeder Note – aber man spürte auch die Vorsicht, deretwegen er es nicht tat. Diese Verunsicherung überschattete nicht nur das „Je suis seul!“ in St. Sulpice oder noch deutlicher die Erzählung seines idyllischen Lebenstraumes im zweiten Akt, mit ein, zwei prekären Momenten, sondern folgte ihm wie ein Schatten durch den ganzen Abend. Nach der Pause wirkte Alagana auf mich etwas erfrischter, das Wegfallen des Premierendrucks kann ihm nur dienlich sein.

Tadellos (wie meist) Adrian Eröd, der hier als lässig-brutaler Lescsaut über das Wohlergehen seiner Cousine wacht. Ain Anger ist für den alten Des Grieux mental wahrscheinlich noch zu jung, irgendwie kam mir die gräfliche väterliche Autorität nicht so sehr zum Wirken – das ist auch von der Regie etwas seltsam gelöst, wenn der Vater dem Sohn ins Kloster gleich eine „Braut“ mitbringt, um ihn von den Vorzügen des „Ehelebens“ zu überzeugen. Das trägt wenig zum Verständnis bei, nimmt dem alten Des Grieux aber die einzige Chance, sich richtig zu profilieren. Guillot (Michael Roider) und Brétigny (In-Sung Sim) leisteten ihren Beitrag, Pousette (Simina Ivan), Javotte (Sophie Marilley) und Rosette (Juliette Mars), spielten eine wichtige Rolle in den mehr auf Revue getrimmten Szenen und sorgten da bestens für den nötigen Schwung.

An Schwung hatte auch das Orchester viel zu bieten, Bertrand de Billy ließ aus dem vollen musizieren, brachte die operettenhaften Passagen mit viel Pomp zum Knallen, und setzte in Sachen Liebe auf viel philharmonisch unterfütterte Empfindsamkeit. Doch so richtig ins delikate Musizieren trieb er die Musiker nicht hinein, er liebäugelte insgesamt mehr mit dem „veristischen“ Italien als mit einem „raffiniert-erotischen“ Frankreich.

Inszenierung (Andrei Serban) und Ausstattung (Peter Pabst) haben die Handlungszeit von 1721 in die Mitte der 1930er-Jahre verlegt. Das erste Bild, eine große Bahnhofshalle, fasst Manons Ausgangssituation gut zusammen – eine moderne Metapher für die Einsamkeit des Menschen, für plötzliche Begegnungen, für Abreisen in eine neue Zukunft – und bleibt trotzdem eine Art von Postkutschenstation des Massenzeitalters. Von ebenfalls guter Wirkung ist das Schlussbild: die fast leere, relativ dunkel gehaltene Bühne wird von Projektionen schwankenden Seetangs belebt, Natur- und Todesmystik werfen ihre leuchtenden Schatten über die zwei Menschen im Gezeitenstrom.

Die Inszenierung nimmt darauf bedacht, den Einzelszenen von Manon und Des Grieux viel Raum zu lassen, während die Massenszenen sehr revuehaft ablaufen (gleich zu Beginn und vor dem Vorhang die Szene mit dem Wirt, fast als Kabaretteinlage gestaltet). Diese thematische Gliederung ist aber auch im Stück zu spüren und trennt die Teile gut von einander ab.

Serban und Pabst lassen die Handlung in einer Ganovenatmosphäre spielen, die einen sozialen Rahmen bildet – Manon bewegt sich ziemlich frei darin und ohne dem hierarchischen Druck besonders ausgesetzt zu sein (der wird nur an Pousette, Javotte und Rosette thematisiert, die sich zum Beispiel mit anderen Mädchen in der Spielhölle des Transylvanischen Hotels betrinken müssen). Man hat oft das Feeling von Filmszenen, etwas monochrom in der Farbgestaltung – ein beabsichtiger Effekt, wie man aus dem Interview mit dem Produktionsteam im Programmheft schließen kann.

Die Personenregie ist stark auf Netrebko abgestellt, sie fügt sich dankbar darein ins Hinräkeln, Hinkuscheln, Hinlegen usf. Nicht nur in dem Metallglitzer-Kleid des vierten Aktes macht sie allerbeste Figur – es wird schon aus diesen Gründen schwer werden, fürs Repertoire eine „passende“ Zweitbesetzung zu finden... Dass die Choristen im ersten und dritten Akt links neben dem Orchester platziert sind, verschafft dem ganzen Bühnenbau eine leichte Unsymmetrie, aber das habe ich nicht als störend empfunden. Verbeugen ist nach den Bild- oder Aktschlüssen offenbar nicht vorgesehen.

Das Publikum feierte nach der Vorstellung Netrebko – und Alagna, weil beide fast immer zu zweit erschienen. Die Vorstellung endet kurz vor 22.15h, der Applaus wurde von den Fans bis nach halb Elf am Leben erhalten, endete erst nach Herablassen des Eisernen Vorhangs mit „Winkewinke“ vom rechten Proszenium. Ich selbst habe die Applausdauer auf eine gute Viertelstunde geschätzt, eine offenbar exaktere Messung erreichte mich heute dankeswerter Weise per Mail: demnach waren es genau 21 Minuten. De Billy wurde auch stark beklatscht, auch Eröd. Das Regieteam kam einmal zu zweit auf die Bühne, da gabs ein, zwei Buhs, ansonsten zustimmenden Applaus, kaum Bravorufe. Bei seinen wenigen Solovorhängen hat Alagna starken Beifall erhalten, Netrebko bei ihren sehr stürmischen.

Dass das Haus ausverkauft war und viele Kartensuchende im Eingangsfoyer „auf ein Wunder“ hofften (mehr oder weniger mit der gezückten 100 Euro-Note als Köder in der Hand), versteht sich von selbst...