MANON

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Wiener Staatsoper
7. Mai 2023

Dirigent: Bertrand de Billy

Manon - Pretty Yende
Chevalier Des Grieux - Charles Castronovo
Graf Des Grieux - Dan Paul Dumitrescu
Lescaut - Michael Arivony
G. de Morfontaine - Andrea Giovannini
Brétigny - Martin Häßler
Poussette - Miriam Kutrowatz
Javotte - Stephanie Houtzeel
Rosette - Daria Sushkova
Dienerin - Kristina Agur
Pförtner - Hacik Bayvertian
Zwei Gardisten - Wolfram Igor Derntl, Michael Wilder
Wirt - Nikita Ivasechko


„Manon im Repertoire“
(Dominik Troger)

Ein kleiner Hauch von königlichem Glanz schwebte an diesem Sonntagabend über der Vorstellung der Jules Massenetschen „Manon“ an der Wiener Staatsoper. Pretty Yende, am Vortag noch bei der Krönung von Charles III. in London engagiert, sang einen Tag später die Titelpartie in Wien.

„Royalisten“ werden mit der Staatsopern-„Manon“ trotzdem wenig Freude haben. Regisseur Andrei Serban und sein Ausstatter Peter Pabst haben die Handlung aus dem 18. Jahrhundert in das Pariser Ganovenmilieu der Zwischenkriegszeit verlegt. (Nicht auszudenken, wenn man in London einen „modernen“ Opernregisseur mit der Planung der Krönungsfeierlichkeiten beauftragt hätte!) Aber es gibt auf der Staatsoperbühne inzwischen viel Unansehnlicheres, als diese „Manon“-Inszenierung – und Serban/Papst haben keine Figuren verdoppelt, Live-Videos implementiert und was an weiteren Ärgernissen derzeit groß in Mode ist. (Die Produktion stammt aus dem Jahr 2007. Die beschriebene Vorstellung war laut Programmzettel die 56. Aufführung in dieser Inszenierung.)

Pretty Yende hat in den letzten Jahren international große Karriere gemacht, nach meinem Eindruck nicht immer mit Partien, die ihr wirklich liegen. Als Manon kann sie einige Vorzüge ins Feld führen. Sie verströmt warmherzigen, jugendlichen Liebreiz, passend zu ihrem cremigen Sopran. Im dritten Akt erfreute Yende mit sicheren, leicht angedunkelten Spitzentönen und Koloraturen, ohne sich dabei wirklich als „Glamourdame“ der Pariser Halbwelt zu inszenieren. Yende lässt das Publikum mitfühlen, ihrer Manon ist Des Grieux nicht egal – und zwar nicht aus nostalgischer Sentimentalität, sondern weil sie ihn wirklich liebt. Diese Liebe entflammt dann in Saint-Sulpice zu starkem Begehren und ist im vierten Akt bereits etwas ausgeglüht. Yendes Manon ist sich selbst gegenüber ein bisschen zu ehrlich, um auch für die luxuriösen und erotischen Ablenkungen einzustehen, die ihr zweifelhafter Ruf mit sich bringt. Dafür müsste sie mehr Koketterie zeigen, die Stimme  mehr prickelnden Silberglanz versprühen. Vor allem in den ersten drei Akten fehlte diese leichtgängige Beimischung „operettenhafter“ Unbekümmertheit, mit der Manon naiv und erfahrungshungrig auf die „schiefe Bahn“ ihres nur kurz währenden Lebens gerät.

Stilistisch war ihre Manon eher nicht in Paris zu Hause, ein Punkt, der bei ihrem Lover Charles Castronovo noch viel stärker ins Gewicht fiel. Er sang mit „veristischer Attitüde“, und selbst wenn er seinen baritonal gefärbten, ihm ein wenig in den Hals „gerutschten“, unsteten Tenor mit Kraft „herauslockte“, brachte er ihn kaum zum Leuchten. Einiges hat Castronovo durch sein um Manon besorgtes Spiel und seine Routine wieder ausgeglichen. Die Bühnenchemie war stimmig. Das Kennenlernen am Beginn auf der langen Bahnhofsbank ist ohnehin gut inszeniert: Die beiden rücken immer näher zusammen, ohne sich dabei anzusehen, bis sie plötzlich auf Tuchfühlung sind  und dann nimmt ihr Bühnenschicksal seinen Lauf.

Für die kleineren Rollen scheint das Staatsopernensemble im Vergleich zu früheren Aufführungsserien des Werkes derzeit nicht gerade aus dem Vollem zu schöpfen. Wenn man den in Dutzenden „Manon“-Aufführungen als Vater Des Grieux erprobten Dan Paul Dumitrescu als Maßstab nimmt, dann bot die Jugend an diesem Abend etwas schmale Kost: wie beispielweise Michael Arivony als Lescaut, Andrea Giovannini als Guillot de Morfontaine und Martin Häßler als Brétigny. Mit dieser Aufführungsserie steht der Wirt (Nikita Ivasechko) wieder auf dem Besetzungszettel. Die über viele Jahre lang gestrichene erste Szene (die in dieser Inszenierung vor dem Vorhang spielt) wurde wieder aufgenommen.

Bertrand de Billy hat seinerzeit die Premiere dirigiert, an seinem etwas lauten, die Handlung zuspitzenden Dirigat hat sich wenig geändert. An einem Repertoireabend wie diesem hilft das alle Mal, um das Publikum bei der Stange zu halten, obwohl einiges (etwa gleich der Beginn) zu grell und üppig geriet, so dass man sich mehr bei Puccini als bei Massnet wähnte. Im dritten Akt wurden die „neobarocken“ Einlagen gut herausgearbeitet – aber vieles hätte ein bisschen „duftiger“ und feingliedriger ausfallen können.

Am Schluss gab es rund fünf Minuten langen Beifall; der Szenenapplaus während der Vorstellung war rar und kurz.