MANON

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Wiener Staatsoper
9. Juni 2019

Dirigent: Frédéric Chaslin

Manon - Nino Machaidze
Chevalier Des Grieux - Juan Diego Flórez
Graf Des Grieux - Dan Paul Dumitrescu
Lescaut - Adrian Eröd
G. de Morfontaine - Michael Laurenz
Brétigny - Clemens Unterreiner
Poussette - Ileana Tonca
Javotte - Svetlina Stoyanova
Rosette - Zoryana Kushpler
Dienerin - Renate Gutsch
Pförtner - Dominik Rieger
Zwei Gardisten - Dritan Luca, Michael Wilder


„Manon am Pfingstsonntag“
(Dominik Troger)

In Anbetracht der herrschenden Temperaturen sollte sich das Interesse vielleicht mehr mit dem starken Einflug von Vanessa cardui Anfang Juni nach Mitteleuropa befassen und weniger mit Oper. Aber ist Manon nicht auch so ein lepidopterologisches Geschöpf, dass lebenslustig von Blüte zu Blüte flattert bis es ausgelaugt verstirbt?

Die aktuelle Aufführungsserie an der Wiener Staatsoper – an dieser Stelle wird deren dritte Vorstellung besprochen – wusste schon allein durch zwei Staatsopern-Rollendebüts Aufmerksamkeit zu erregen: Nino Machaidze als Manon und Juan Diego Flórez als Des Grieux.

Nino Machaidze hat bis dato an der Staatsoper nur dreimal die Adina gesungen (im Jahr 2014): Die Sängerin ist dem Wiener Publikum vor allem von ihren Auftritten in Rossinis „Il Turco in Italia“ und „Otello“ im Theater an der Wien bekannt. Ihr Einspringen 2008 bei den Salzburger Festspielen für Anna Netrebko ist ein wichtiges biographisches Detail, aber die Entwicklung ihres Soprans lässt sich daran nicht ablesen. Die Stimme enthält inzwischen (zu) viel Metall, das ihre etwas unstete Mittellage für meinen Geschmack oft störend anreicherte, was ihrer Manon nicht gerade einen jugendlichen Anstrich verpasste. Für die naiven Unschuld des Landmädchens klang ihre Stimme schon ein bisschen zu „reif“, für die Gavotte ein wenig zu schwerfällig, um brillant zu wirken, den Abschied vom kleinen Tischchen sang sie sehr verhalten, um seine romantische Lyrik nicht zu gefährden.

Machaidzes Interpretation gewann nach der Pause, wenn ihre naive Jugendlichkeit – von der Pariser Halbwelt bereits in Mitleidenschaft gezogen – immer mehr von existentiellen Verlustängsten und der rückwärtsgewandten Sehnsucht nach den ersten unschuldigen Liebesmomenten mit Des Grieux unterminiert wird. Dann griff eine Leidenschaftlichkeit um sich, der Des Grieux nicht gewachsen war, und die die Klostermauern für ihn aufsprengte – und auch im Finale ging das sich verzehrende Lebensfeuer Manons Hand in Hand mit dem herberen Sopranklang, der diesem flatterhaften Bühnengeschöpf aus der Feder eines Jules Massenet insgesamt ein bisschen zu „strenge“ Farben gemalt hat.

Mit dem Des Grieux hat Juan Diego Flórez seinem wohldosiert in die Wege geleiteten Fachwechsel einen weiteren Mosaikstein hinzugefügt. Jugendlich-naive Liebhaber sind immer ein Element dieses Sängers gewesen und der Des Grieux macht keine Ausnahme. Stimmlich ist bei Flórez ohnehin meistens alles vom Feinsten, sein Tenor färbt inzwischen ein bisschen „satter“, und dass in einem kleineren Haus seine Wirkung „durchschlagender“ wäre, ist auch kein Geheimnis.

Der Des Grieux liegt dem Sänger deutlich besser als beispielsweise der Edgardo – er lebt eine charmante Bühnennaivität, im Priestergewand ist er fast zu „schön“ um „wahr“ zu sein. Insofern war es ganz gut, eine Nino Machaidze an der Seite zu haben, die den schönen Priester mit expressiveren Farben zur Flucht aus seiner Klosterverschanzung verleitete. In diesem Bild und im Finale war Intensität spürbar, ein emotionales Prickeln, das auch den ersten eineinhalb Stunden des Abends sehr gut getan hätte – denn bis zur Pause hat sich die Begeisterung in engen Grenzen gehalten.

Adrian Eröd hat schon die Premiere vor zwölf Jahren als Lescaut bestritten. Sein Bariton mag eine Spur „trockener“ klingen als damals, aber sein Rollenporträt ist nach wie vor von einer beeindruckenden Homogenität: ein rücksichtsloser, auf lässig getrimmter Kerl, mit dem nicht gut „Kirschen essen“ ist. Clemens Unterreiner (Brétigny) ist bei wichtigen „Nebenrollen“, aus denen er gesanglich und darstellerisch viel herauszuholen vermag, ohnehin meist bestens aufgehoben. Als leidgeprüfter Vater durfte sich Dan Paul Dumitrescu würdig in Szene setzen. Michael Laurenz sang einen etwas „überkonturierten“ Guillot.

Die Inszenierung von Andrei Serban (laut Programmzettel inzwischen bei der 48. Aufführung „angekommen“), die das Geschehen in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts ansiedelt, hat die Postkutsche- mit der Eisenbahn-„Romantik“ getauscht und Manon in die Welt Films versetzt. Dass sich Manon in der Mansarde in Dessous hüllt, war gewiss der berühmten Premierenbesetzung geschuldet. Nun könnte man anmerken wie erotisch dieser oder jener Sopran mit schwarzen Strümpfen wedelt, aber es ist auch bemerkenswert, wie die Herren mit dieser Szene umgehen: Rolando Villazon mit nacktem Oberkörper als spärlich bekleideter, liebesnachttrunkener „Pin-up-Tenor“; Juan Diego Flórez mit weißem Leiberl und weißen Shorts, in denen er so korrekt aussah, als würde er frischgebügelt einen Anzug mit Krawatte tragen.

Wenn im Orchestergraben zum erotischen Lyrismus von Massenets Musik der „Holzhammer“ geschwungen wird, dann lässt sich der subtile, historisierende Esprit dieser Komposition dem Auditorium kaum vermitteln – doch das mag (zumindest nach der Pause) als ein Mittel gegen aufkommende Langeweile sogar positiv gewirkt haben. Schlussendlich wurde diese pfingstsonntägliche Vorstellung seitens des Publikums mit rund sechs Minuten langem Applaus bedacht.